Corona-Update zum 12. Mai: Notfallmechanismus oder Notfall-Vorschlag?

In ihrer Pressekonferenz vom 6. Mai verkündeten die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin, dass ein Notfallmechanismus dafür sorgen solle, dass die Situation nicht außer Kontrolle gerät. Die Landkreise entscheiden aufgrund ihrer eigenen Einschätzung durchaus verschieden.

imago Images/snapshot

In der Ministerpräsidentenkonferenz vom 6. Mai verabschiedeten die Bundesländer und die Kanzlerin einen sogenannten „Notfallmechanismus“ als Bedingung für die weitreichenden Lockerungen der Corona-Auflagen. Der Notfallmechanismus sieht vor, dass die Landkreise die Rate der Neuinfektionen ihrer Einwohner streng überwachen sollen. Kommt es innerhalb von sieben Tagen zu 50 oder mehr neuen Corona-Fällen pro hunderttausend Menschen, so sollen die jeweiligen Landkreise selbstständig das öffentliche Leben wieder einschränken. Die neue Herangehensweise tauscht also den Vorschlaghammer der bundesweiten Verordnungen gegen das Skalpell regionaler Eingriffe.

Die Idee des Notfallmechanismus ist dabei eine typisch deutsche Konstruktion: Das Dezentralisieren von Entscheidungsgewalt und hyper-regionale Herangehen an die Problematik der Pandemie ist die logische Konsequenz der Hoheit der Länder über ihre Reaktion auf das Virus. Und es ist eine gute Herangehensweise insofern, als sie größtmögliche Flexibilität und Selbstverantwortung ermöglicht. Auch können so die Kollateralschäden eines deutschlandweiten Shutdown minimiert werden, während ein außer Kontrolle Geraten der Krankheit verhindert wird.

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 Doch gleichzeitig übt ein solches lokalisiertes Vorgehen Druck auf die Entscheider aus. Dies war im Anfang der Pandemie zu sehen, bei dem die Bundesländer sich in einen regelrechten Überbietungswettbewerb zueinander befanden, darin, wer die strengsten Restriktionen vorweist; und es war während den Lockerungen auch zu beobachten, bei denen in dem einen Land zu solchen in den anderen zur Folge hatten – manches Mal eben nicht aus medizinischen oder ökonomischen, sondern aus politischen Motiven.

Eine ähnliche Problematik besteht mit dem Notfallmechanismus: Der zuständige Landrat wird von seinen Nachbarlandkreisen unter Druck gesetzt. In dem einen Landkreis alle Geschäft zu schließen, währen man im Nachbarlandkreis fröhlich in den Biergärten sitzt, ist den Bürgern auf emotionaler Ebene nur sehr schwer vermittelbar. Die Landräte, die eben auch Politiker sind, könnten deswegen mitunter auch ein Interesse daran haben, ihre Fallzahlen herunter zu rechnen und den Notfallmechanismus nicht in Gang zu setzen.

Ein Landkreis, der den Notfallmechanismus in Gang setzt, ist zum Beispiel der Landkreis Coesfeld in Nordrhein-Westfalen. Weil dort in einem Schlachthof 254 Personen positiv auf Corona getestet wurden, beschloss der Landrat die für den 11. Mai anstehenden Lockerungen (Öffnungen von Fitnessstudios, Biergärten und großen Geschäften, Lockerung der Kontaktbeschränkung) bis zum 18. Mai zu verschieben.

Auch der Landkreis Sonneberg in Thüringen hat die Neuinfektionsgrenze überschritten. Dort konzentriert sich die Vielzahl der bekannten neuen Infektionsfälle auf ein Krankenhaus. Wie der MDR berichtet, plant das Landratsamt keine Einschränkungen des allgemeinen öffentlichen Lebens, stattdessen wurde ein Aufnahmestopp im Krankenhaus verhängt.

Auch der Landkreis Greiz, ebenfalls Thüringen, überschreitet die Infektionsgrenze: Innerhalb einer Woche wurden dort bis zum vergangenen Sonntag 75,4 Personen pro hunderttausend Einwohner als infiziert gemeldet. In einem Interview mit der WELT erklärt die Landrätin Martina Schweinsburg (CDU), der Landkreis würde „sich nicht in Quarantäne begeben“. Stattdessen sollen die Einschränkungen noch lokaler, nur in den südlichen Gegenden des Landkreises stattfinden. In Greiz habe man sich ja so lange so gut an die Vorgaben des Robert Koch-Instituts gehalten, außerdem würde es keinen Sinn machen, nur einen Landkreis zuzumachen, wenn die umliegenden Landkreise trotzdem öffnen dürfen; die Bürger werden ja nicht mit Überqueren der Landkreisgrenze gesund.

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Andernorts versucht man sich mit allen Regeln der Statistik den Notfallmechanismus vom Hals zu halten. In der kreisfreien Stadt Rosenheim (Bayern) waren zum Beispiel zum 6. Mai 49 Neuinfektionen/HT innerhalb einer Woche bekannt. Also eine weniger als nötig, um den Mechanismus in Gang zu setzen. Weiterhin, so Wolfgang Hierl, Leiter des Staatlichen Gesundheitsamts Rosenheims, müsse man beachten, dass ein Großteil der Neumeldungen auf Massentests in den örtlichen Asylbewerberheimen zustande gekommen sei. Da die Asylbewerberunterkünfte jedoch unter Quarantäne stünden, so Hierl, könne man die dortigen Fälle aus der Statistik der Gesamtbevölkerung herausrechnen. Unter diesen Umständen würde man nur auf 35 Neumeldungen/HT innerhalb einer Woche kommen.

Laut Passauer Neuen Presse ist dieser sogenannte „Inzidenzwert“ zum Sonntag auf 50,5 gestiegen, betrug am 7. Mai sogar 52,7. Doch diese Zahl ist immer unter Einbeziehung der Asylbewerberheime errechnet. Im umliegenden Landkreis Rosenheim (zu dem die gleichnamige Stadt nicht zugehörig ist), lag am Sonntag die Inzidenz sogar nur bei 29,5 Fällen pro hunderttausend Einwohner innerhalb einer Woche. Das macht die Behauptung, ohne die Asylbewerberunterkünfte würde die Inzidenz in Rosenheim-Stadt deutlich niedriger liegen, immerhin glaubhafter, denn die Bevölkerung des Landkreises Rosenheim hat ja viel Kontakt mit der Stadt Rosenheim – man arbeitet im Zweifel im gleichen Betrieb oder kauft in den gleichen Geschäften ein, sollte also eine ähnliche Fallzahl haben, auch wenn sie im Landkreis, der weniger dicht besiedelt ist als die Stadt, geringer ist.

Es zeigt sich: der Notfallmechanismus ist mehr eine Art Notfall-Vorschlag, denn wer will, kann seine Zahlen herunter rechnen, bis sie passen – oder aber die Regelungen einfach ignorieren – vorausgesetzt, der zuständige Ministerpräsident schaut wohlwollend weg.

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Kommentare ( 15 )

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MajorTOm
3 Jahre her

Um brauchbare Daten zu bekommen, müssten sich mindestens 60% der Deutschen die App aufs Handy ziehen. Wenn ich mich so umschaue, wie aufgeheizt die Stimmung aktuell ist, werden sie (wenn überhaupt) auch nicht mehr als 60% finden, die das mitmachen. Ich hole mir das definitiv nicht und wenn sie mich zwingen wollen, kaufe ich mir wieder ein altes Nokia. Wollen die mich dann zwingen, mir ein Smartphone zu kaufen? Auf welcher rechtlichen Grundlage denn, bitte? Mumpitz von vorne bis hinten…

MajorTOm
3 Jahre her

Die Berechnung von R ist zum Teil völlig willkürlich. Vor 4 Wochen hat das RKI die Berechnung angepasst, weil am Wochende schlechtes Wetter war und die Leute weniger unterwegs. Deshalb hat man die vermuteten Infektionen am Wochenende aus der Bilanz subtrahiert, dafür aber die Infektionen von Montag bis Freitag mal zwei multipliziert.
Jetzt wird die Berechnung erneut geändert, weil das RKI glaubt, die Zahlen seien zu hoch und nicht plausibel. Wer jetzt nicht merkt, wie politisch beeinflusst diese Zahlen sind, der ist doch vom Schrubber geflitzt.

Meine Frage ist nur, wie unglaubwürdig sich das RKI eigentlich noch machen möchte?

MajorTOm
3 Jahre her

Der Not-Mechanismus ist, wie die Maskenpflicht auch, reine Augenwischerei, damit die Politik das Gesicht wahren kann. Die Bevölkerung beobachtet die Politik gerade mit Argusaugen, tausende Menschen bundesweit gehen auf die Straße, und die Politik weiß, dass die Bevölkerung weiß, dass die Politik (Schmipfwort hier einfügen) gebaut hat. Um jetzt nicht dazustehen wie der Ochs vorm Berge, wird so getan, als wären das irgendwie effiziente Maßnahmen, die wir jetzt alle noch machen müssten, dabei ist die Pandemie schon vorbei, und deshalb passt das RKI auch gerade den Verrechnungsschlüssel für den R-Faktor an – die Zahlen sind zu hoch und die Menschen… Mehr

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  MajorTOm

Das, was um uns ist, ist die „neue Normalität“.
So hat sie es uns „verlautbart“.

Zami
3 Jahre her

Ich frage mich jeden Tag. Wann werden Merkel und ihre Elite sowie Tierarzt und Drosten abgeführt. Und endlich vor Gericht gestellt. Wegen Hoh Verrat. Sie sind verantwortlich für die Menschen die aus Angst sich das Leben nahmen. Für Menschen die Schwer Krank sind, und OP brauchten. Diese Menschen mussten Sterben weil gewissen lose Politiker, Angst vor Merkel haben und nicht auf ihre Diäten verzichten wollen. Sie Alle Tragen die Verantwortung, Unschuldiger. Ich hoffe das alle auch der Staatsfunk zur Verantwortung gezogen werden. Es erinnert alles an Zeiten 1933 und 1979. Danke an das Volk die erwacht sind. Nur gemeinsam sind… Mehr

mlw_reloaded
3 Jahre her

„Vorschlaghammer der bundesweiten Verordnungen“ – Moment, Merkel/Spahn haben sich doch ganz im Gegenteil komplett rausgehalten (aus Angst vor Verantwortung). Man ließ Laschet und Söder das Feld pflügen und „empfahl“ dann die medial bevorzugte Variante. Das Kleinklein der regionalen Anpassungen singt dasselbe Lied. Bloß nichts falsches tun, also im Zweifel wegdelegieren.

HGV
3 Jahre her

Das ganze ist doch ein taktisches Spiel der Zentralisten aus Berlin. Zuvorderst steht da die Staatsratsvorsitzende Merkel, die am Liebsten die Knute in der Hand gehalten hätte. Passend dazu gibt es ja auch weitere Kommentare. Dazu kommt die „Opposition“ der Grünen und Linken, die die zentrale Verantwortung nach DDR-sozialistischem Muster behalten wollen. Was den Föderalismus der Länder anbelangt: Abgesehen von einigen Klitschen-Ländern sind die Bundesländer so groß, wie andere Staaten in der EU. Die Verantwortung hat immer bei den Ländern gelegen und erst nach Intervention von Wendehals Söder ist der Bund und Merkel überhaupt tätig geworden. Mit der Verlagerung auf… Mehr

Mein Name ist Lohse
3 Jahre her

Man hat den „Notfallmechanismus“ vor allem deshalb installiert, damit man mit Statistiktricks die sich anbahnenden, immer größer werdenden Demonstrationen vielleicht ermeiden könnte. Im März wurde die Reproduktionszahl als das entscheidende Kriterium angesehen. Als die Ziele nicht nur erricht, sondern vielfach übertroffen wurden, war die Reproduktionszahl plötzlich im April dann gar nicht mehr wichtig und vor allem wurde sie seitens der Regierenden und RKI als gar nicht so aussagekräftig gebrandmarkt. Jetzt aber ist sie plötzlich doch wieder wichtigstes Entscheidungskriterium und das zwielichtige RKI soll wieder Entscheider über Leben und Tod einer Gesellschaft sein? Ich habe mittlerweile den Eindruck, manche Kräfte wollen… Mehr

Vielfahrer
3 Jahre her

Das Hochschnellen der Fallzahlen in Greiz und Zeulenroda – andere Kommunen des Landkreises sind kaum betroffen – ist wohl ebenfalls auf die Durchführung von Tests in größerem Umfang zurückzuführen. Wie man den örtlichen Medien entnehmen konnte, wurden Anfang letzter Woche so um die 1.000 Tests durchgeführt. Übrigens sehr zum Missfallen der dortigen Landrätin, wie man hört. Und selbstverständlich wurde man fündig. Den tatsächlichen Krankenstand hat dies allerdings kaum bis gar nicht beeinflusst. Insofern ist die Reaktion von Frau Schweinsburg durchaus nachvollziehbar.

Hannibal ante portas
3 Jahre her

Jetzt erfährt man zumindest einmal wo die lokalen aktuellen „Ausbrüche“ herstammen: Massenunterkünfte jeglicher Art! Dies verlangt nach zielführenden Maßnahmen in diesen Einrichtungen und nicht nach Shutdown im ganzen Landkreis: TÄGLICHE Testungen des Pflegepersonals (genügend Kapazitäten sind mittlerweile vorhanden!), bei vor Ort untergebrachten Arbeitern müssen wesentlich besser Hygienemassnahmen/ Einrichtungen umgesetzt werden und bei Asylunterkünften muss dies genauso geschehen im Notfall zeitnah mit EFFEKTIVEN Polizeieinsätzen.

Kassandra
3 Jahre her

2 links zum Stand der Dinge:
Auf der Achse eine Standortbestimmung von Prof. John Ioannidis/Stanford University in Zusammenfassung mit link auf das (auch übersetzte) Originalpapier:
https://www.achgut.com/artikel/wer_hat_angst_vor_Professor_Ioannidis

Interview mit Dr. Gunter Frank, der Herrn K. und die Wissenschaftler, die seine „Thesen“ untermauern, zueinander brachte, auf youtube (20:00 min):
https://www.youtube.com/watch?v=YYCbXBQwhtE&feature=youtu.be

Albert Camus: „Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit.