Tichys Einblick
Vor den Landtagswahlen

CDU und Linke in Thüringen: Das einst Undenkbare wird wahrscheinlich

Die Landtagswahl in Thüringen könnte in die bundesrepublikanische Parteiengeschichte eingehen. Womöglich bringt sie eine Koalition hervor, die noch vor kurzem unvorstellbar schien. Es offenbart sich das endgültige Ende der CDU als programmatisch ernst zu nehmende Partei. 

Mike Mohring und Bodo Ramelow

imago Images

Thüringens Wähler sind zwar nicht gerade repräsentativ für Gesamtdeutschland. Aber die Landtagswahl dort am kommenden Sonntag dürfte trotzdem strukturelle Veränderungen der parteipolitischen Landschaft nach sich ziehen, die für ganz Deutschland bedeutsam sind. Der Linken winkt endgültig ihre Eingemeindung ins Parteien-Establishment.

Dahin ist in Thüringen, wenn die jüngeren Umfragen nicht völlig daneben liegen, die Option auf Fortsetzung der bisherigen Koalition des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow mit SPD und Grünen. Seine eigene Partei bleibt zwar wohl stärkste Kraft (einmalig in Deutschland), aber die SPD hat – wenig überraschend – harte Wählereinbußen zu erwarten. Die Linke steht nach infratest-dimap vom 17. Oktober bei 29 Prozent, bei der letzten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, ebenfalls am 17. Oktober veröffentlicht, bei 27 Prozent. Die SPD bei acht bzw. neun und die Grünen bei sieben bzw. acht Prozent.

Aber auch CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring hat wohl keine Aussicht auf eine Koalition, die er seinen Wählern einigermaßen plausibel machen könnte. Sein Lieblingskoalitionspartner, die FDP, kratzt in allen jüngeren Umfragen an der 5-Prozent-Hürde. Auch wenn sie es drüber schaffte, bräuchte Mohring noch die SPD und wohl auch die Grünen. Na, dann viel Spaß bei den Koalitionsverhandlungen. Wenn die FDP es nicht in den Landtag schafft, reicht es womöglich auch mit der SPD und den Grünen nicht. Das gab es noch nie bei einer deutschen Wahl seit dem Zweiten Weltkrieg.

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Man muss sich klarmachen, was das bedeutet: Alle altbundesrepublikanischen Parteien zusammen haben kaum die Hälfte der Thüringer Wähler hinter sich. Die CDU, die 1999 unter Bernhard Vogel 51 Prozent der thüringischen Wähler für sich gewann, ist halbiert, die SPD zu einer Kleinpartei abgestiegen. Die andere Hälfte der Wähler teilt sich auf die Nachfolgepartei der einstigen SED und eine rechte Protestpartei auf. Ob deren Wählerpotential noch größer wäre ohne ausgerechnet den Exponenten des radikalen „Flügels“, Björn Höcke, als Landeschef, ist ungewiss. Ebenso ungewiss ist, ob die Linke schwächer wäre, wenn nicht der Pragmatiker Ramelow, sondern ein Radikaler an ihrer Spitze stünde.

Rein rechnerisch gibt es voraussichtlich drei Zweierkoalitionen, die mehr als 50 Prozent der Parlamentssitze umfassen, nämlich Kombinationen der drei größten Parteien Linke, CDU und AfD. Völlig irreal ist eine zwischen AfD und Linke – obwohl beide ausweislich von Wählerwanderungsbefragungen durchaus auch teilweise ähnliche Milieus ansprechen.

CDU-Chef Mike Mohring, der vor allem in Einwanderungsfragen schon des öfteren sanfte Kritik an Angela Merkel geäußert hat, aber auch vor einem Rechtsruck seiner Partei gewarnt hat – wie nicht anders zu erwarten – eine Zusammenarbeit geschweige denn eine Koalition mit der AfD kategorisch ausgeschlossen. Schon 2014 nach dem ersten Landtagswahlerfolg der AfD, hatte sich Mohring blutige Finger bei seinen Berliner Parteifreunden geholt, als er Presseberichten zufolge versucht hatte, eine Absprache mit Höcke zu treffen, um die Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten zu verhindern. Im damaligen Wahlkampf hatte Mohring noch im Gegensatz zur damaligen CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht von vornherein ausschließen wollen. Aber die AfD und Deutschland waren 2014 bekanntlich noch in anderer Verfassung als heute.

Spätestens 2017 hatte Mohring dann offenbar seine Lektion in christdemokratischer Stromlinienförmigkeit gelernt und sich gegen einen „Rechtsruck“ der CDU ausgesprochen. Mohring weiß eben, wie man als CDU-Politiker in höchste Weihen kommt: bloß keine Kanten zeigen und im Zweifel dem im deutschen Parteienbetrieb mittlerweile strukturell verankerten Links- und Gründrall nachgeben. Da droht schließlich keine Gefahr, als böser Bube gebrandmarkt zu werden.

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Zwar hat Mohring in diesem Jahr auch versprochen, was ein CDU-Kandidat bis vor nicht allzu langer Zeit gar nicht versprechen musste: dass er mit der Linken auch nicht koalieren werde. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigen aber, dass das vorsichtige Süßholzraspeln mit der Linken in Merkels CDU für weit weniger skandalös gehalten wird als die geringste Spur von Zweifeln an der Ausgrenzungstaktik gegenüber der AfD. Die Vermutung, dass eine (linke oder grüne) politische Programmatik eine Koalition mit der CDU unmöglich mache, hat Angela Merkel schließlich selbst mehrfach und zur Genüge widerlegt.

Vor die Wahl gestellt, entweder nicht zu regieren oder mit der Linken zu regieren, dürfte Mohring wahrscheinlich also sein Geschwätz von gestern widerrufen und sich dann doch mit Ramelow zusammenraufen. Die Presse und seine Berliner Parteifreunde dürften ihm Absolution erteilen und darauf hinweisen, dass Ramelow schließlich zu den pragmatisch-gemäßigten Linken gehört. Und so viel schlimmer als die im Todeskampf von allen guten Geistern verlassene SPD und Göring-Eckardts Grüne ist dieser vielleicht ja auch wirklich nicht.

Die Thüringer Landtagswahl könnte also nicht weniger als die endgültige Eingemeindung der SED-Nachfolge-Partei in den Club der arrivierten Parteien bedeuten. Und für diejenigen, die es noch nicht wussten: die endgültige Offenbarung des programmatischen Vakuums bei der CDU.

Und die AfD? Die kann sich dann tatsächlich als einzige echte Opposition, als „Alternative“ zu den von ihr so genannten „Altparteien“ präsentieren. Die Bedeutung der Thüringenwahl wird, wenn sie so ausgeht, wie die Umfragen nahelegen, also in der weiteren Vertiefung des politischen Grabens und der Erosion der alten bundesrepublikanischen Parteiendemokratie bestehen.

Für die alte Mitte der Bürger, die die programmatische Vergrünung und Linkswendung der ehemaligen bundesrepublikanischen Volksparteien nicht mitmachen wollen, wird die Wahlentscheidung immer verzweifelter: Aus alter Treue und Gewohnheit CDU wählen und dann miterleben, dass diese einem Linken den Weg in die Staatskanzlei frei macht und alles aufgibt, was ihr einst wichtig zu sein schien? Oder doch einen „gärigen Haufen“, der es nicht schafft, sich von zwielichtigen Rechtsauslegern zu trennen, und zu dem man sich nicht offen bekennen kann, ohne seinen bürgerlichen Ruf und vielleicht sogar seine berufliche Existenz zu gefährden? Beide Entscheidungen dürften bürgerlichen Wählern, also jenen, die vor zwanzig Jahren in Thüringen und Sachsen für absolute CDU-Mehrheiten sorgten, ein gewaltiges Unwohlsein bereiten.

Die parteipolitischen Verhältnisse, die in Thüringen noch etwas dramatischer als in Gesamtdeutschland sind, bestätigen immer deutlicher, dass dieses Land, wenn seine regierenden Parteien so weitermachen, auf dem besten Weg in eine neue Dichotomie ist, in ein neues System der zwei Lager: Auf der einen Seite eine Gruppe aus den inhaltlich ausgezehrten, fast nur noch vom Willen zum Machterhalt beziehungsweise schieren Überleben motivierten Parteien der alten Bundesrepublik, die sich mangels politischer Orientierung der euphorischen grünen Eine-Welt-Partei und den linken Abwicklern der sozialen Marktwirtschaft ausliefern. Die Grünen als Flaggschiff des Establishments mit den alten Parteientankern im Schlepptau und der Linken als ostdeutsches Beiboot – und auf der anderen Seite eine Gegen-Partei, die sich immer wieder selbst diskreditiert und vom Establishment wie ein aus dem dunklen Orkus erstandener Dämon behandelt wird, den man immer wieder mit Bannsprüchen belegt, um sich nicht daran erinnern zu müssen, dass dieser Aufstieg vor allem die Folge eigenen Versagens ist.

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