Bundesprogramm Demokratie leben! wird dauerhaft finanzierte Einrichtung

Unter dem Strich steht der Feind eher „rechts“ als „links“. Derzeit werden auf der Website von Demokratie leben! 22 Modellprojekte zu rechtsextremen Orientierungen und Handlungen aufgeführt aber nur 8 zur so genannten linken Militanz. In der Suchfunktion liefert das Wort „Rechtsextremismus“ über 2.100 Ergebnisse, „Rechtspopulismus“ über 1.200 - „Linksextremismus“ 27, „Linksradikalismus“ 5, „linke Militanz“ 55, (Islamismus 350).

imago/photothek

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat im Februar die Weichen für eine eigene „Abteilung für Demokratie und Engagement“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gestellt. Bislang war die Zuständigkeit in einer anderen Abteilung mit verortet. Im Fokus steht die Förderung von Initiativen über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und Bundes-Freiwilligendienste. Leiter der neu geschaffenen Abteilung ist Dr. Heiko Geue, seit fünf Jahren bereits Abteilungsleiter im BMFSFJ. In diesem Jahr soll darüber hinaus die „Deutsche Engagementstiftung“ gegründet werden. Mit ihrer Hilfe „soll die Zivilgesellschaft möglichst unbürokratisch unterstützt werden“.

Im laufenden Jahr stehen dem Programm, nach 120,5 Mio. Euro im Vorjahr, 115,5 Millionen Euro für 16 „Landesdemokratiezentren“ und 260 „Partnerschaften für Demokratie“ zur Verfügung. Bundesweit werden nach Angaben des Ministeriums mehr als 600 Projekte gefördert. Im vergangenen Jahr hatte Familienministerin Giffey entschieden, die Aktion Demokratie leben!, die ursprünglich von 2015 bis 2019 laufen sollte, zu entfristen und damit über das Jahr 2019 hinaus fortzuführen. Auf der Programmkonferenz Demokratie leben! im November 2018 in Berlin verkündete Giffey: „Das Programm wird eine neue Förderrichtlinie bekommen. … Es geht weiter, weil Demokratie keine Aufgabe ist, die man mal macht und dann wieder beendet. Und deshalb ist unser langfristiges Ziel ein Demokratiefördergesetz in Deutschland, mit dem wir es schaffen, die demokratischen Strukturen, die wir hier haben, auch auf feste sichere Füße zu stellen, eine gute verlässliche Jugendarbeit zu machen.“

In der F.A.Z. vom 05.09.2018 forderte Franziska Giffey, ein Demokratiefördergesetz müsse „unmissverständlich klar“ machen, dass es „auch die Aufgabe des Staates“ sei, „die demokratische Bildung junger Menschen auf allen Ebenen zu organisieren“. Giffeys Vorgängerin Manuela Schwesig (SPD) hatte sich ebenfalls für ein solches Gesetz stark gemacht. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist von „nachhaltiger Absicherung von qualitativ guten Programmen zur Demokratieförderung und Extremismusprävention“ die Rede.

Entfristung schon länger angedacht

Die „Entfristung“ von Demokratie leben! ist offenbar schon länger angedacht. Auf der Website des Bundesprogramms findet sich ein undatiertes, mutmaßlich 2016 publiziertes 36-seitiges Gutachten „Rechtliche Fragen zur Schaffung eines Bundesgesetzes ‚Demokratieförderung‘“. Autor ist der renommierte Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, mitgearbeitet hat Rechtsanwältin Dr. Franziska Drohsel, LL.M. Als Auftraggeber firmiert das Bundesfamilienministerium. Battis und Drohsel führen aus, eine staatliche Finanzierung von Projekten zur Demokratieförderung und zur Bekämpfung des Neonazismus verletze die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG nicht, „da es dem Staat nicht verwehrt ist, auch wertende Äußerungen zu vertreten, die die inhaltliche Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz wahren“. Sie ziehen „eine Stiftung des bürgerlichen Rechts oder eine öffentlich-rechtliche Stiftung“ als „Modelle“ in Erwägung, „die eine Verstetigung mit sich bringen und eine Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure ermöglichen“ könnten. Eine entsprechende Grundgesetzänderung sei nicht nötig und habe wohl auch geringe Realisierungschancen.

Bereits im Februar 2013 hatten 22 Organisationen – unter ihnen der DGB, die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) und die Zentralräte der Juden, Muslime sowie Sinti und Roma – Battis, Drohsel sowie als Dritten Prof. Dr. Klaus Joachim Grigoleit mit einem anderen Gutachten mit erkennbar ähnlicher inhaltlicher Zielrichtung beauftragt. Der Titel der 58 Seiten umfassenden Expertise: „Rechtliche Möglichkeiten zur Verstetigung der finanziellen Mittel zur Demokratieförderung und Bekämpfung des Neonazismus“. Darin erklären die drei Verfasser, eine langfristige, dauerhafte Finanzierung der Arbeit gegen Neonazismus und zur Demokratieförderung sei verfassungsrechtlich möglich. Die Förderung demokratischer Kultur und die Bekämpfung des Neonazismus – andere Gefährdungen wurden offenbar weniger gesehen – unterliegen staatlicher, insbesondere aber gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Zur Wahrnehmung dieser Verantwortung „bedürfen entsprechende gesellschaftliche Projekte eines gewissen Maßes an Finanzierungssicherheit.“ Auch in diesem Gutachten wird die Errichtung einer Stiftung bürgerlichen Rechts oder auch die Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung für juristisch realisierbar gehalten. „Die Gründung einer GmbH ist verfassungsrechtlich zulässig.“

Im Mai 2016 folgte ein Offener Brief unter anderem an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem viele Unterzeichner/innen, darunter Pro Asyl, Der Zentralrat der Muslime e.V., Die neuen deutschen Medienmacher und das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Amadeu Antonio Stiftung) Alarm schlagen:

„Unsere rechtsstaatliche Demokratie ist in Gefahr, denn sie wird von Feinden unseres Grundgesetzes bekämpft. Neue Dimensionen des Hasses treten zu Tage. Die Unterschiede zwischen Gerüchten, Lügen und rechtspopulistischer Agitation verwischen zunehmend. Die Profiteure sind diejenigen, die Hass und Hetze gegen Geflüchtete, gegen Engagierte, gegen Journalist_innen, gegen die Zivilgesellschaft und nicht zuletzt vor allem gegen Politiker_innen säen. Rechtspopulistische Organisationen berufen sich immer wieder auf die Meinungsfreiheit, wenn es zum Beispiel um rassistische Hetze oder abwertende und diskriminierende Äußerungen gegen Frauen geht … Die bisherige Förderung der Bundesprogramme sieht im Wesentlichen die Förderung von Modellprojekten vor: Wir haben aber gute und erprobte Konzepte für die präventiv-pädagogische Praxis, die wir ausbauen und verstetigen müssen. Dafür brauchen wir eine stabile Grundlage, die mehr Nachhaltigkeit und Planungssicherheit schafft.“ Die Autoren erwarteten „dringlich“ noch vor Ende der Legislaturperiode ein Gesetz zur Demokratieförderung.

Noch kein Gesetzentwurf der Bundesregierung

All diese Bemühungen sind jetzt offenbar von Erfolg gekrönt. Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen wollten es am 6. Februar 2019 in einer Kleinen Anfrage (Drucksache 19/7561) genauer wissen: „Wann beabsichtigt die Bundesregierung ein Demokratiefördergesetz auf den Weg zu bringen?“ Die Bundesregierung hat dazu am 21. Februar Stellung bezogen (Drucksache 19/7972) und hier auch auf das seit 2010 existierende Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ beim Bundesinnenministerium hingewiesen, das im Austausch mit Demokratie leben! stehe. Die Anfrage der Grünen thematisiert darüber hinaus die „Einsetzung einer Expertenkommission zum Thema Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft sowie Umsetzung der Empfehlungen des Unterausschusses ‚Bürgerschaftliches Engagement‘“. Diese Expertenkommission war im geltenden Koalitionsvertrag angekündigt worden. Die Federführung wird wohl beim Bundesinnen- und Bundesjustizministerium liegen. Die Vorbereitungen zu dieser Expertenkommission, erläutert das Bundesinnenministerium, seien aktuell noch nicht abgeschlossen. Unter anderem sei noch nicht entschieden, wie die Mitglieder des Bundestages eingebunden und nach welchen Kriterien die Experten ausgewählt werden.

Ein Sprecher des BMFSFJ erklärte auf Nachfrage zum Demokratiefördergesetz, auch nach der Entfristung des Programms Demokratie leben! durch Ministerin Giffey im vergangenen Jahr „besteht weiterhin Handlungsbedarf. Häufig ergibt sich die Situation, dass ein sehr erfolgreiches Projekt in einer Kommune nicht dauerhaft unterstützt werden kann, weil dies einer bundesgesetzlichen Regelung bedürfte. In einem zweiten Schritt müssten Projekte, die gut laufen auch in andere Kommunen ausgeweitet werden können. Auch diesen Schritt dürfen wir derzeit ohne ein Bundesgesetz nicht machen. Um das zu ändern und künftig systematisch Initiativen vor Ort unterstützen zu können, die sich für die Demokratie stark machen, setzen wir uns für ein Demokratiefördergesetz ein. … Die qualitativ guten Bundesprogramme im Bereich Extremismusprävention und Demokratieförderung sollen nachhaltig abgesichert und ausgebaut werden.ׅ“ Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung liege aber bisher nicht vor. Man sei dazu unter anderem in Gesprächen mit den Fraktionen im Deutschen Bundestag.

Das Aktionsfeld von Demokratie leben!

Damit dürfte Demokratie leben! unter veränderten juristischen Rahmenbedingungen eine dauerhafte Existenz sicher sein, wobei spannend bleibt, wie groß der jährliche Finanzrahmen sein wird. Der Aktionsradius ist momentan schon bemerkenswert breit. Demokratie leben! beansprucht, zahlreiche „Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ zu bekämpfen ( „Rassismus“, „Muslimfeindlichkeit“ usw.), gezielt die Demokratie „im ländlichen Raum“ zu stärken, Radikalisierungsprävention zu betreiben, das „Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft“ wie auch „Engagement und Vielfalt in der Arbeits- und Unternehmenswelt“ zu fördern, im Bildungsbereich Demokratie zu sichern, „Hass im Netz“ entgegenzutreten sowie Prävention im Strafvollzug und bei der Bewährungshilfe zu leisten und auch noch für „Antidiskriminierung und Frühprävention im Vorschulalter“ zu sorgen. Das erfordert logischerweise eine vernetzte Infrastruktur. Dazu gehören neben den bereits erwähnten Landesdemokratiezentren und lokalen „Partnerschaften für Demokratie“ (Städte, Landkreise) 35 nichtstaatliche Partner als „bundeszentrale Träger“, darunter die Aktion Courage e. V. Bundeskoordination Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, das Anne Frank Zentrum, die Amadeu Antonio Stiftung, die Türkische Gemeinde und die Natur-Freunde Deutschlands. Entsprechend heterogen sind die Modellprojekte, die „Augen auf! Rechtspopulistischem Rassismus entgegentreten“, „Respekt für Religion – Gemeinsam für kulturelle und religiöse Vielfalt in Sachsen-Anhalt“, „Mitbestimmung und Eigenverantwortung der Geflüchteten“ oder „Kita differenzsensibel!“ heißen.

Wie evaluiert man die Stärkung der Demokratie?

Für die Evaluation und wissenschaftliche Begleitung der Demokratieförderung zeichnen bislang das Deutsche Jugendinstitut, München/Halle, das Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. und Camino – Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich GmbH, Berlin, verantwortlich. Die bilanzierenden Berichte der Begleitforschung sind umfangreich. Trotzdem dürfte es bei einem so breit angelegten Programm nicht leicht sein, „Leistungen, Erträge und Erkenntnisse“ zu bewerten, also nicht nur beschreibende systematische Überblicke über Zielgruppen, Akteure, Zielsetzungen, angewandte Methoden zu geben, sondern wissenschaftlich-analytisch nachzuweisen, dass einzelne örtliche Projekte oder Gruppen von Projekten 1. Demokratie gefördert/verbessert haben und 2. Radikalisierung verhindert oder eingedämmt haben. Zumal Prävention – als Maßnahme zur Verhinderung von unerwünschten Ereignissen und Zuständen, die mit einer gewissen unterstellten Wahrscheinlichkeit eintreffen könnten, wenn nichts getan würde – in ihrem Erfolg schwer zu messen ist.

Der Werbe-Film zum Programm

Demokratie lebt! neuerdings auch in einem halbstündigen, am 19. Februar im Babylon (Berlin-Mitte) uraufgeführten „Dokumentarfilm“ der Regisseurin und Autorin Elise Landschek, die durchs Land reiste und Experten interviewte. Der Film des Projekts Prävention „Wie die Demokratie gerettet werden soll“ stellt fest: „Hass breitet sich aus, in allen gesellschaftlichen Schichten … Woher kommen Angst, Hass und Extremismus? Und was können wir dagegen tun?“ Der Parlamentarische Staatssekretär im BMSFSJ, Stefan Zierke, erklärte dazu , der Film greife die drängenden gesellschaftlichen Themen und Probleme auf und gehe unter anderem der Frage nach, „wie gefährlich eine steigende Radikalisierung, aus der Mitte der Gesellschaft heraus, für unsere Demokratie ist“. Darüber hinaus werden Ursachen für Radikalisierung und damit Ansatzpunkte für Präventionsarbeit und ihre Aufgaben thematisiert.

Zusätzlich zum Bewegtbild wird der Filmbetrachter zu einer „Reise“ eingeladen, dies in Form eines Argumentationsweges quasi mit Navi. Hier lernt er, „Angst und Hass“ gefährdeten die Demokratie. Sie erschüttern das Vertrauen in ihre wichtigsten Institutionen wie Medien, Politik, Justiz. Die Menschen sähen die Dinge wesentlich düsterer, als sie seien. „Wenn Menschen sich nicht ernst genommen fühlen, wenn ihre Meinungen ignoriert und ihre Ängste als falsch abgestempelt werden, dann wächst die Wut. Auf diejenigen, die auf der ‚richtigen‘ Seite stehen. Eltern, die Nachbarn, die Politiker, die Medien, das System. … Standardvoraussetzungen für eine Radikalisierung gibt es nicht. Manche fühlen sich einsam oder haben einen wichtigen Menschen verloren. Andere berichten von dem starken Gefühl, benachteiligt zu sein. Wieder andere haben während ihrer Kindheit Gewalterfahrungen machen müssen.“

Die Reise endet im Resümee: „Die Ursachen, warum sich jemand radikalisiert, liegen tief. Im Zeitalter von Globalisierung gibt es immer mehr Menschen, die sich als ‚Verlierer‘ wahrnehmen und Wut auf die vermeintlichen ‚Gewinner‘ entwickeln. Es haben sich Gräben aufgetan in der Mitte unserer Gesellschaft, die wir jahrelang als stabil und friedlich wähnten. Das ist natürlich nicht nur in Deutschland so. Einige unserer europäischen Nachbarländer zeigen uns, was passiert, wenn die Extremen die Oberhand gewinnen. Es müssen die Gräben geschlossen werden zwischen Arm und Reich, zwischen Osten und Westen. Zwischen ‚uns Deutschen‘ und ‚den Fremden‘. Den Hass zu besiegen, das ist nicht nur Aufgabe des Staates, sondern die von uns allen.“

Das Resümee ist ja nicht ganz falsch, aber auch schlicht gestrickt. Es legt den Fokus auf die irregeleiteten Seelen, die aufgrund persönlicher Probleme den im öffentlichen Diskurs allgegenwärtigen „Hass“ entwickeln. Es bringt diese individualpsychologische Befindlichkeit aber eher locker mit irritierenden und vielleicht wirklich Besorgnis erregenden gesamtgesellschaftliche Zuständen und Entwicklungen in Verbindung, die durchaus mit Auslöser von Verunsicherung sein können. Man möchte es schon gern genauer erfahren: Wie bitte schließt man – eben: um die Demokratie „zu retten“ –, unabhängig vom Ausmaß der Zuwanderung, wohl unstrittig vorhandenen Integrationsproblemen, nachweisbarer Armut von Bevölkerungsteilen, die genannten Gräben ganz konkret? Wobei die Filmemacher selbst, vor der Oberfläche ihrer ausgewählten positiven Statistiken, sich über die Polarisierung zu wundern scheinen: „Sie haben es gut, die Menschen in Deutschland. … Das Durchschnittseinkommen wächst … Die Arbeitslosigkeit sinkt. Es gibt weniger Kriminalität … Aber irgendetwas stimmt nicht in Deutschland … Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr … Das merkt man immer noch bei der Flüchtlingsthematik …Die Angst wird größer vor dem vermeintlich Bösen und Fremden … Wir alle dürfen nicht aufhören, miteinander zu sprechen, füreinander einzustehen und Argumente gegen falsche Behauptungen zu setzen“. Gut und schön. Nur: Wer entscheidet, was richtig, was falsch ist?

Demokratieförderung: Der Teufel steckt im Detail/den Begriffsbestimmungen

Dass zahlreiche Zivilorganisationen, die durch die die Entfristung von Demokratie leben! künftig faktisch stetige Einnahmen garantiert bekommen, einem Demokratiefördergesetz freudig entgegensehen, kann man ihnen nicht verdenken. Es wird auch niemand bestreiten, dass die Stärkung der Demokratie, das Werben für Toleranz gegenüber Minderheiten und Migranten, das aktive Engagement in Vereinen sowie der Kampf gegen „Extremismus“ sinnvolle Anliegen sind. – Allerdings steckt der Teufel wie so oft im Detail.

Ein Grundproblem bleibt, wie Begriffe wie „Rechtspopulismus“ oder „Extremismus“ mit Inhalt gefüllt und konkretisiert werden, was als unakzeptabel, was als tolerabel gilt ist, ob radikale linke Positionen/Linkspopulismus überhaupt ein Thema sind, inwieweit auch Migranten und Minderheiten nüchtern gesehen werden, nicht nur als diskriminierte Subjekte. Ist man schon ein halber Fremdenfeind, wenn man einen Zuwanderer „Wo kommen Sie (denn eigentlich) her?“ fragt? Hier bleibt den Verantwortlichen ein beträchtlicher Ermessenspielraum. Dies lässt sich an den umstrittenen Aktivitäten und Zielen der strengen Amadeu Antonio Stiftung gut beobachten, die akribisch nur „flüchtlingsfeindliche Vorfälle“, nicht andere Kriminalität, in Listen verewigt.

Die zwischen 2015 und 2019 unter der Schirmherrschaft von Demokratie leben! durchgeführten x-hundert Projekte und Veranstaltungen sind schwer auf einen Nenner zu bringen. Ein gemeinsames Merkmal ist aber: Sie sind überwiegend optimistisch am realpolitischen Ziel des „weltoffenen“ Deutschlands bzw. der „vielfältigen“ multikulturellen und -religiösen Einwanderungsgesellschaft orientiert, der vor allem „Menschenfeindlichkeit“ und „(Alltags-)Rassismus“ von Mitbürgern sowie „die Zunahme von Gewalt und Bedrohungen gegen Geflüchtete und Engagierte“ im Wege stehen. Dies ist nach landläufiger Ansicht, auch im Vokabular, eher ein linksorientiertes Weltbild.

Einzelne Projekte und Veranstaltungen kaprizieren sich etwa auf das „Phänomen des ‚besorgten Bürgers‘, der AfD wählt und mit Pegida spazieren geht“; beklagen, dass „spätestens seit der Silvesternacht 2015/2016 in Köln Taten wie sexuelle Übergriffe bzw. jegliche Gewalt gegen Frauen von Rechten instrumentalisiert (werden), um fremdenfeindliche Hetze zu verbreiten“. Der ZEIT-Journalist Mohamed Amjahid liest auf der Veranstaltung „Rassismus im Alltag“ aus seinem Buch „Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein“. In Offenbach wird über „Die prekäre Mitte und der Rechtspopulismus“ debattiert: „Die Aufnahme von 900.000 Flüchtlingen im Jahr 2015 war ein Katalysator für die Etablierung des Rechtspopulismus in Deutschland.“ Das Dresdner Projekt „Open Saxony!“ propagiert u.a. Zuwanderung als „Lösung des Fachkräftemangels“ und „gelebte Weltoffenheit“ gleichzeitig.

Im Zentrum: Rechtsextremismus und -populismus

Unter dem Strich steht der Feind eher „rechts“ als „links“. Derzeit werden auf der Website von Demokratie leben! 22 Modellprojekte zu rechtsextremen Orientierungen und Handlungen aufgeführt aber nur 8 zur so genannten linken Militanz. In der Suchfunktion liefert das Wort „Rechtsextremismus“ über 2.100 Ergebnisse, „Rechtspopulismus“ über 1.200, „Linksextremismus“ 27, „Linksradikalismus“ 5, „linke Militanz“ 55, (Islamismus 350). Dieses Ungleichgewicht resultiert evtl. historisch daraus, dass Manuela Schwesig bei der Ankündigung des Bundesprogramms Demokratie leben! im Jahr 2014 die Bekämpfung von „Rechtsextremismus“, „rechter Gewalt“ und „Fremdenfeindlichkeit“ als Herzensangelegenheit hervorhob – und die bisherigen Programme gegen linke Militanz ihrer Vorgängerin Kristina Schröder (CDU, 2009 bis 2013 im Amt) als wirkungslos einordnete. In der Presse wurde Schwesig mit dem Satz zitiert, Linksextremismus sei als Problem „aufgebauscht“.

Vorgängerin Kristina Schröder sieht allerdings nach der Expansion des Programms mittlerweile nicht nur die rechte radikale Seite der Gesellschaft im Visier der Demokratie-Schützer. Der „Kampf gegen rechts“, bilanzierte Schröder 2018 in der Tageszeitung „Die Welt“ (24.08.), „zielt auf die bürgerliche Mitte“. Die Linke habe die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ausgeweitet. „Vom Staat unterstützt wird alles bekämpft, was nicht links ist – der Linksextremismus verharmlost.“ Der antitotalitäre Konsens sei zerstört, und die CDU müsse sich entscheiden. Im Rückblick auf die Geschichte von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart sieht Schröder vor allem die ausländerfeindlichen Gewalttaten Anfang der 90-er Jahre als Zäsur. Im Verlauf der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland habe die politische Linke „einige entscheidende Umdeutungen vor(genommen): vor allem dessen, was eigentlich bekämpft werden soll. Aus dem Kampf gegen Rechtsextremismus wurde der ‚Kampf gegen rechts‘“, der sich in den gängigen Rechtsextremismus-Studien der Parteistiftungen von SPD, Grünen und Linken als Kampf gegen den „Extremismus der Mitte“ präsentiere. Der „Kampf gegen rechts“ sei wörtlich zu nehmen: „Es geht darum, politische Überzeugungen, denen teilweise wahrscheinlich sogar Anhänger der Union der Mitte zustimmen würden, als illegitim im demokratischen Diskurs zu brandmarken.“

Schwesig hatte auch die Abschaffung der so genannten Extremismusklausel in die Wege geleitet. Sie war unter Schröder noch Bestandteil der staatlichen Förderung. Danach mussten sich Initiativen, Organisationen und Vereine, die staatliche Unterstützung bekommen, schriftlich mit Unterschrift zur Verfassung bekennen. Zivilgesellschaftliche Initiativen hatten sich aber unter Generalverdacht gesehen und die Klausel scharf kritisiert. Im Begleitschreiben zum Zuwendungsbescheid heißt es jetzt, „dass extremistischen Organisationen oder Personen, die nicht die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten, keine direkte oder indirekte Förderung zuteilwerden darf …“. Die Amadeu Antonio Stiftung kritisiert auch die alternative Regelung als bestehen bleibendes „Misstrauen gegen die Projektträger und deren Partner“.

Düstere Weltsicht?

Derweil halten diese ihrerseits ein Misstrauen gegenüber ihren Mitbürgern durchaus für legitim. Hier deutet sich allerdings ein immanentes psychologisches Handicap der engagierten Demokratieförderung an: Wer von Prävention und vom Kampf gegen falsche Haltungen sogar in der ominösen starken „Mitte der Gesellschaft“ „lebt“, ist leicht in der Gefahr, exakt das zu tun, was er seinen Zielgruppen zuschreibt: die Umwelt als gefahrenvoll zu empfinden, sprich: vorhandene negative Phänomene zu übertreiben bzw. zu verallgemeinern. Da warnt man dann vielleicht doch gerne – weil es die eigene Existenzberechtigung und die Notwendigkeit, immer neue Projekte zu initiieren, belegt – vor einer „steigenden Radikalisierung aus der Mitte der Gesellschaft heraus“, unerträglicher „rassistischer Hetze“ oder einem „neuen Ausmaß an menschenverachtendem Verhalten … Kinder schnappen rassistische Bemerkungen oder antisemitische Einstellungen auf und geben sie weiter“ (Franziska Giffey).

Gerade wenn das Modellprogramm Demokratie leben! jetzt in einen Dauerzustand überführt wird, erhalten die mit offiziellen Weihen ausgestatteten „Demokratie(projekt)träger“ großen politischen und pädagogischen Einfluss zum Beispiel in Kitas, Schulen, Vereinen. Man wird darauf achten müssen, dass sie nicht übereifrig ihre eigenen Weltanschauungen und Vorstellungen von Demokratie verbreiten und nicht gefallende Meinungen zu flott in der Schublade „rassistisch, menschenfeindlich, rechtspopulistisch“ entsorgen. Und dass nicht der Eindruck entsteht, ohne die fleißigen Mitarbeiter und Projekte von Demokratie leben! „können“ die Menschen in Deutschland „Demokratie“ eigentlich gar nicht (mehr) so richtig.

Was für wenig Vertrauen in herkömmliche Institutionen wie Landeszentralen für politische Bildung, Schulen, Familien, Vereine spräche.

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Kommentare ( 72 )

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Bummi
4 Jahre her

Geldverschwendung für Parteipropaganda.

Otis.P. Driftwood
5 Jahre her

Fräulein Dr. Drohsel von der „Roten Hilfe“ war einmal JUSO-Vorsitzende. Schön, sie jetzt in Lohn und Brot beim Ministerium zu sehen. Ihr Hauptanliegen ist übrigens „die Überwindung des Kapitalismus´“. Es wird wirklich Zeit, daß der Verfassungsschutz im Regierungssumpf stochert.

alex01130
5 Jahre her

Und wieder ein schönes Beispiel, wie weit wir inzwischen in 1984 gelandet sind. „Demokratie Leben“ ist das genaue Gegenteil von Demokratie leben. Demokratie leben staatlich gefördert, dient nur der Verhinderung regierungskritischer Initativen also der Demokratie. Und ist natürlich eine schöne permaente Einnahmequelle für Scholz & Friends und andere.

Bill
5 Jahre her

Mit dem Geld schafft sich die Regierung eine treue Klientel die dauerhaft die aktuelle ** wählen wird. Nur darum geht es.

Bummi
5 Jahre her

Geldverschwendung. Es geht nur um Parteipropaganda. Ein sanierter Kindergarten wäre sinnvoller…

Thorsten
5 Jahre her
Antworten an  Bummi

eher Versorgungsposten für demnächst abgewählte CDU und SPD „Politdarsteller“…

Ingolf Paercher
5 Jahre her

„Na und?“, möchte man fast fragen. Einfach mal in die Sonntagsumfrage gucken, es zeichnet sich Schwarz- Grün bundesweit ab. Das ist nunmal Demokratie. Vom Parteiensystem ist keinerlei Änderung zu erwarten, ein Umsturz noch weniger. Also müssen wir auch noch Demokratieerziehung friedlich über uns ergehen lassen. „Dancing towards desaster“, war aus Mike Batts kongenialer Umsetzung der Groteske „The Hunting of the Snark“ von Lewis Caroll (achja, White Rabbit ist auch recht lesenswert): https://www.youtube.com/watch?v=Cuhm23HoOmc Ich könnte mich noch über etliche Zeilen weg ereifern, allein, es erscheint mir langsam die Mühe nicht mehr wert, die Verblödeten über die Machtgierigen aufzuklären. Alles gut, weiter… Mehr

Nachdenkerin X
5 Jahre her

Zum Fürchten. Danke für die ausführliche Recherche. Täusche ich mich, oder gilt jetzt schon der Bürger, der auch von der Regierung sowie der Justiz erwartet, daß sie sich uneingeschränkt an Recht und Gesetz halten, als „Demokratiefeind“? Ich als „Wessi“ habe da nicht so den Durchblick, aber war es nicht auch in der DDR gefährlich, sich auf die Verfassung zu berufen?

H. Priess
5 Jahre her

Ich hatte da so ein Bild vor Augen: 1900 Jahrhundert, Lehrer in der Schule, Knaben übers Knie und mit dem Rohrstock jedes Wort ein Hieb auf den Hintern: Ich-werde-dir-schon-bei-bringen-was-Demokratie-bedeutet!!!!! Oder Wahlweise: 1800 Jahrhundert, Waschweib am Fluß, hochrotes Gesicht, irrer Blick, die Wäscheklatsche drohend erhoben: Ich werde dir beibringen wer hier das Sagen hat!!!!

Andreas aus E.
5 Jahre her

„Zivilgesellschaft“, „demokratisch“, „Flüchtling“, „Nazi“ – all diese Begriffe lösen auch bei mir Abwehrreflex aus, wenn nicht sogar Brechreiz.
So wie bspw. auch „Querköpfe“. Das ist der Titel einer Sendung im Deutschlandfunk, wo regimetreues „Kabarett“ mit Zwangsgebühr beatmet wird.

Man verzeihe mir bitte die drastische Ausdrucksweise, aber das ** mich alles nur noch an.

🙁

Andreas aus E.
5 Jahre her

Es wird ein hartes Stück Arbeit werden, diesen riesigen Augiasstall auszumisten. Man kann nur hoffen, daß es dann keine allzu „unschönen Bilder“ geben wird. Auf die „Jobcenter“ – die dann wieder, wie es richtig ist, „Sozialämter“ genannt werden – wird ein Haufen Arbeit zukommen, wenn das ganze Geschmeiß der in all diesen „Zivilgesellschaften“ untergekrochenen Leute dort ihre Anträge stellen werden. Diese Leute, durch die Bank Geschwätzler, in das normale Leben zu integrieren wird ja kaum möglich sein, und so viele Straßenfeger braucht man nicht. Auch die juristische Aufarbeitung dürfte Gerichte auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen, man ist ja kein Stalin oder… Mehr