Tichys Einblick
Netzdurchsetzungsgesetz

Auch ansteckend: „Hass und Hetze“

Das Bundeskabinett hat eine Novellierung des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes verabschiedet. „Es schützt Nutzer Sozialer Netzwerke vor Bedrohungen und Hetze im Internet“, so die Begründung. Doch nicht nur Juristen fragen: was ist das?

Die Paarformel Hass und Hetze war vor fünf Jahren noch unüblich, heute ist sie politisch sprichwörtlich und klingt wie Kind und Kegel, Ross und Reiter und viele andere Wendungen im Deutschen, die zwei gleich anlautende Wörter zu einer neuen, formelhaften Einheit verbinden. Von wem stammt diese Formel und was hat sie bewirkt?  

Das „Wörterbuch der Deutschen Gegenwartssprache“ (WDG; 6 Bände, 1961-1975) definiert Hass als „starkes Gefühl der Feindschaft, der Ablehnung“ und Hetze, neben „Hast, Eile“ sowie „Hetzjagd“, als „[verbale] Erzeugung von ungerechtfertigtem Hass“. Wer hetzt, muss also reden; wer Hass empfindet, nicht: es gibt einen „stillen“ Hass. Ist Hass an sich schlecht? Sprachlich nicht: Das WDG nennt als Beispiel auch „gerechten Hass“, und unter dem Suchbegriff „Gott hasst“ findet man bei Google 24.000 Einträge, zum Beispiel: „Gott hasst die Sünde und liebt den Sünder“. 

Entstehung und Ausbreitung

Als Einzelwörter sind Hass bzw. Hetze schon seit dem Mittelalter im Deutschen belegt. Das Wortpaar Hass und Hetze tritt im öffentlichen Sprachgebrauch aber erst seit 2015 auf, und zwar im Zuge der aus den USA kommenden Diskussion über hate speech (Hassrede, Hasssprache) in den sozialen Netzwerken. Zeit-Online berichtete am 15.12.2015, der (damalige) Bundesjustizminister Maas habe sich mit den Betreibern von Online-Plattformen auf Maßnahmen verständigt, „um die Verbreitung von Hass und Hetze [im Netz] zu bekämpfen“. Diese „Bekämpfung“ konkretisierte sich dann im „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ vom 1. September 2017. Es verpflichtet die Netzbetreiber, strafbare Handlungen wie „Beleidigung“, „üble Nachrede“, „Verleumdung“, „Volksverhetzung“, „Bedrohung“ auf ihren Plattformen zu unterbinden und darüber zu berichten. 

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Das Gesetz schaffte keinen neuen strafrechtlichen Tatbestand, sondern zielte darauf ab, das geltende Strafrecht auch in der Internet-Kommunikation durchzusetzen; deshalb seine Kurzbezeichnung „Netzdurchsetzungsgesetz“. Als – nicht juristische – Sammelbegriffe für rechtswidrige Inhalte im Netz wurden in der öffentlichen Diskussion zunächst „Hassrede(n)“ und „Hasskommentare“ verwendet, dann vor allem die Formel „Hass und Hetze“, deren Bezeichnungsfeld sich rasch erweiterte: Einerseits auf die gesamte politische Kommunikation, online und offline, andererseits auf alle politisch unerwünschten Meinungsäußerungen, gleichgültig ob strafbar oder nicht. In diesem Sinne erklärte die Bundeskanzlerin in einer Rede (9.11.2016):

„Wir müssen erleben, wie hemmungslos Hass und Hetze gezeigt werden – nicht nur in der Anonymität des Internets, sondern auch auf offener Straße, bei Demonstrationen oder vor Flüchtlingsunterkünften.“

Kommunikative Folgen

Wer eine Meinung als „Hass und Hetze“ klassifiziert, erklärt sie für nicht diskussionswürdig und kriminalitätsverdächtig; man muss sich also mit ihr nicht befassen: Zum Beispiel wird jede Diskussion über die Migration nach Deutschland überflüssig, ja schädlich, wenn hinter der bildlichen Aussage Das Boot ist voll oder der Warnung vor drohender Islamisierung „Hass und Hetze“ steckt. 

Im öffentlichen Diskurs funktioniert der Vorwurf „Hass und Hetze“ nicht nur zur Abgrenzung, sondern auch zur Ausgrenzung, welche das Gegenüber sozusagen unter kommunikative Quarantäne stellt. Man vermeidet deshalb Kontakte und wird vorsichtig: Nach einer Allensbach-Umfrage vom Mai 2019 stimmten 63 Prozent der Befragten (deutsche Wohnbevölkerung ab 16 Jahre) folgender Aussage zu: „Heutzutage muss man sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert“;  als heikelste Themen gelten „Flüchtlinge“ (71%) und „Islam“ (66%). 

Andererseits wird von Regierung, Leitmedien und Organen der Zivilgesellschaft  beklagt, „die Grenzen des Sagbaren“ hätten sich ausgeweitet zu „Hass und Hetze“. So erklärte der Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing anlässlich der Verleihung des „Toleranzpreises“ an eine Fernsehmoderatorin:

„Antisemitismus, Fremdenhass, Hetze, Hatespeech (Hassrede), Ausgrenzung sind Gift, das sich in unserer Gesellschaft gegenwärtig ausbreitet.“ (Starnberger SZ, 27.1.2020)

Wer hat nun Recht – die Mehrheit der Deutschen, die kommunikative Vorsicht empfehlen, oder ihre politisch-mediale Führungsschicht, für die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit sich „Hass und Hetze“ in der Gesellschaft (nicht nur im Internet) ausbreiten? Und woher kommen der Hass und die Hetze, das „Gift“ (lateinisch virus)? Darüber werden die Meinungen auseinandergehen, die sprachliche Herkunft der Wortformel „Hass und Hetze“ ist allerdings eindeutig: Sie ist ein Erbe der Regierung Merkel und wurde 2015/16, während der Flüchtlingskrise und den Beratungen über das Netzdurchsetzungsgesetz, in die politische Kommunikation eingeführt. 

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