Tichys Einblick
Deutschlands halbherziger Kampf

Antisemitische Attacke in Hamburg: Angreifer spielte Rolle in Holocaust-Film

Es scheint wie eine Karikatur des deutschen Kampfes gegen Antisemitismus, ist aber die Wirklichkeit: Ein 16-jähriger Araber schlägt einen Juden zusammen – zuvor war er Teil eines Projektes gegen Antisemitismus. Das Opfer wird vielleicht bleibende Schäden davontragen. Von Sandro Serafin.

imago images / Ukrinform

Dass die Wirklichkeit in Deutschland bisweilen die absurdesten Gedankenspiele übertrifft, ist keine neue Erkenntnis. Der Fall eines brutalen antisemitischen Angriffs auf einen Juden in Hamburg vor zwei Wochen (TE berichtete) stellt das einmal mehr unter Beweis. Denn wie jetzt bekannt wurde, ist der mutmaßliche Schläger ein 16-jähriger Araber mit deutschem Pass aus Berlin, an dem deutsch-ungarischen Film „Evolution“ beteiligt, der am Freitag beim Filmfestival in Hamburg gezeigt wurde. Dieser dreht sich um drei Generationen einer jüdischen Familie – von der Shoa bis in die Gegenwart – und behandelt auch die Frage „des wachsenden Antisemitismus in einer scheinbar liberalen Gesellschaft“.

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Es geht noch weiter: Der Schläger von Hamburg mit dem Namen Aram A. spielt im Film sogar die Rolle eines Judenhassers, der einen jüdischen Schüler tätlich angreift. Die Szene ist auch in einem Trailer zu sehen. Die zuständige Schauspielagentur hat die Zusammenarbeit mit dem Antisemiten inzwischen beendet, „auch wenn Aram die Tat bereut, geständig ist, sich einem Verfahren und einer entsprechenden Strafe stellt“, wie es in einer Stellungnahme heißt. Die Polizei hatte den Jugendlichen am Dienstagmorgen an seinem Wohnort in Berlin aufgespürt. Festgenommen wurde er nicht, „da keine Haftgründe vorlagen“.

Der Fall ist geradezu eine Karikatur des Umgangs mit Antisemitismus hierzulande: Während das Problem in salbungsvollen Reden, in staatlich geförderten Projekten oder eben in Filmen durchaus immer wieder eine Rolle spielt, ändert sich in der Praxis nichts.

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Das Opfer des Angriffs, der bei einer kleinen Israel-Mahnwache in der Innenstadt erfolgt war, hat das Krankenhaus inzwischen wieder verlassen. Der 60-jährige Jude zog sich einen Joch- und Nasenbeinbruch zu. Durch den Schlag war auch ein Glassplitter in sein Auge eingedrungen. Er musste mehrfach operiert werden. Im Gespräch mit Bild-TV zeigte sich der Mann immer noch angeschlagen, klagt über Kopfschmerzen, Probleme beim Essen und massive Sehschwierigkeiten, da sich durch den Angriff die Pupille vergrößert hat. Deshalb trägt er auch eine Augenklappe. „Das wird noch eine ganze Zeit dauern, bis das wirklich alles ausgeheilt ist, wenn es überhaupt alles ausheilt“, sagte er.

In dem Interview wiederholte der Betroffene auch seine Kritik, dass bei Tätern mit ausländischem Hintergrund oftmals weggeschaut werde. Ein Blick in eine Polizeimeldung vom Dienstag unterstreicht das Problem: Dort heißt es lediglich, bei dem aufgefundenen Tatverdächtigen handle es sich „um einen 16-jährigen Deutschen“. Weitere Hintergründe zum Täter finden sich nicht. Der Antisemitismusbeauftragte des Hamburger Senats, Stefan Hensel, appellierte jüngst: „Antisemitismus muss endlich von der Politik als die dramatische Bedrohung für Deutschlands Juden benannt werden, die er ist.“ Vielleicht sollte der Senat einmal bei sich selbst anfangen: Der Regierende Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat sich immer noch nicht wahrnehmbar zu dem Fall geäußert.


Sandro Serafin (22) studiert Geschichts- und Kulturwissenschaften in Gießen. 

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