Finanzmärkte: EU hat keinen Plan B

Aussagen von US-Finanzminister Steven Mnuchin von baldigen Steuersenkungen drängten negative Faktoren wie enttäuschende Geschäftsberichte der Unternehmen, mäßige US-Konjunkturdaten und anhaltende politische Unsicherheiten in den Hintergrund.

© Spencer Platt/Getty Images

Die Unsicherheit im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Frankreich, das Verfassungs-Referendum in der Türkei und die Spannungen um Nordkorea haben tiefe Spuren an den Finanzmärkten hinterlassen. Abzulesen ist dies nicht nur an der schwachen Börsenentwicklung der vergangenen Handelstage, sondern auch an Risikoindikatoren wie dem BofA Merrill Lynch Global Financial Stress Index, der den höchsten Stand seit Januar erklommen hat. Gefragt ist daher aktuell das, was Sicherheit verspricht. So legten zuletzt die Notierungen von deutschen Anleihen und Gold zu. Das Edelmetall hat seit Jahresanfang in Euro rund neun Prozent an Wert gewonnen. Mehr als etwa der Deutsche Aktienindex DAX.

Nicht ohne Grund; denn die Europäische Union hat Diplomaten zufolge keinen „Plan B“, falls am Sonntag in Frankreich die beiden Kandidaten mit einer EU-kritischen Haltung in die Stichwahl um das Präsidentenamt einziehen.

„Die Wahl in Frankreich ist die eigentliche Schicksalswahl Europas“, sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Eine EU ohne Großbritannien sei zwar denkbar. Ein Austritt Frankreichs aber, wie ihn Le Pen und Mélenchon fordern, würde die EU sprengen.

Sorgen um Frankreich bei jedem Wahlausgang

Doch selbst wenn weder Marine Le Pen vom „rechtsextremen“ Front National noch der „linksextremen“ Jean-Luc Mélenchon das Rennen machten, gebe es Sorgen über die Reformfähigkeit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone, sagten mehrere EU-Diplomaten der Nachrichtenagentur Reuters.Denn auch dem parteiunabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron und dem Konservativen Francois Fillon trauen in Brüssel nicht alle zu, das Land und damit auch die EU voranzubringen. Im Falle eines Sieges des EU-Befürworters Macron – dem deshalb Lieblingskandidaten vieler Verantwortlicher in Brüssel und Berlin – droht eine Blockade im französischen Parlament, weil seine Bewegung „En Marche“ dort bei der Wahl im Juni kaum eine Mehrheit gegen die etablierten Parteien erringen dürfte. Der durch eine Affäre um Scheinbeschäftigung angeschlagene Fillon wird in Brüssel wiederum wegen seiner Nähe zur Regierung in Moskau misstrauisch beäugt. Schon in der Vergangenheit waren in der EU immer wieder Forderungen aufgekommen, die Sanktionen gegen Russland zu lockern. Das könnte sich mit Fillon an der Spitze Frankreichs verstärken. Sowohl er als auch Macron dürften zudem auf erheblichen Widerstand stoßen, wenn sie wie angekündigt den französischen Sozialstaat umkrempeln wollen.

Media Tenor International aus Zürich hat in den vergangenen 15 Monaten über 52.000 Expertenzitate in renommierten Finanzmedien analysiert. Das Ergebnis, das Hinweise auf mögliche Anlagetrends bei Investoren geben soll: Im Hinblick auf Japan zeichnen die Analysten ein eher positives Bild. „Zu Japan hat sich das Meinungsklima in den Analystenzitaten zuletzt verbessert“, so Matthias Vollbracht, Leiter Unternehmensanalyse bei Media Tenor International. Offenbar sind die Experten von der Innovationskraft japanischer Unternehmen bei der Digitalisierung angetan. Die Eurozone, die nach dem Brexit-Entscheid zunächst stark im Sentiment gefallen war, wurde zuletzt deutlich positiver beurteilt. Doch der Langzeittrend zeigt auch Verlierer wie Südafrika, das derzeit unter schweren politischen Turbulenzen leidet: „Im Hinblick auf Südafrika verschlechtert sich die Einschätzung immer mehr“, erklärt Vollbracht, und auch zu Russland haben die Bewertungen wieder ins Negative gedreht. Die Einschätzungen zur Entwicklung in Großbritannien verharren ebenfalls seit sechs Monaten im deutlich negativen Bereich, und das, obwohl die Regierung die Situation deutlich positiver einschätzt.

US-Märkte abgekoppelt

Abgekoppelt von dieser Entwicklung haben sich gegen Ende der Woche die US-Märkte. Die Wall Street jedenfalls konnte am Donnerstag ihre jüngste Schwäche eindrucksvoll abschütteln. Aussagen von US-Finanzminister Steven Mnuchin, wonach die Regierung schon bald die Steuern senken könnte, drängten negative Faktoren wie die insgesamt enttäuschenden Geschäftsberichte der Unternehmen, mäßige amerikanische Konjunkturdaten und die anhaltenden politischen Unsicherheiten in den Hintergrund. Im Dow Jones landeten die Aktien von Travelers mit minus 1,26 Prozent auf dem letzten Platz. Tornados und Hagelstürme hatten dem Versicherer im ersten Quartal überraschend deutlich zugesetzt. Dennoch kündigte Travelers an, für weitere 5 Milliarden US-Dollar eigene Aktien zurückkaufen zu wollen.

Zweitgrößter Verlierer im Leitindex waren die Titel von Verizon, die 1,08 Prozent einbüßten. Der Telekommunikationskonzern meldete wegen eines Kundenschwunds zum Jahresauftakt einen Gewinnrückgang. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis je Aktie lag leicht unter den Erwartungen der Analysten.

Dagegen eroberte American Express dank überzeugender Quartalszahlen mit plus 5,92 Prozent die Dow-Spitze. Der Kreditkarten-Anbieter hatte zwar einen weiteren Gewinnrückgang hinnehmen müssen, übertraf aber dennoch die Erwartungen.

Im Nasdaq 100 übernahmen die Papiere von eBay mit einem Kursrutsch von 3,91 Prozent die rote Laterne. Die Online-Handelsplattform hatte zwar die Erlöse und die Nutzerzahl zu Jahresbeginn weiter gesteigert. Allerdings hatten die Anleger mit einem optimistischeren Ausblick des Unternehmens gerechnet, das für das laufende zweite Quartal einen Umsatz von rund 2,3 Milliarden Dollar in Aussicht stellte.

Derweil zeigten sich die Anteilscheine des Elektroauto-Herstellers Tesla mäßig beeindruckt von einer Rückrufaktion sowie einem Bericht über eine Sammelklage wegen des Fahrassistenzsystems „Autopilot“: Nach einem anfänglichen Kursrutsch von bis zu knapp 2 Prozent halbierten sie letztlich ihr Minus.

Was man bei alldem nicht vergessen darf: Der S & P 500 bildet die Kursentwicklung der 500 bedeutendsten US-Unternehmen ab. In der Realität dominieren aber wenige Titel den wichtigsten US-Aktienindex, stellt das US-Analysehaus Fundstrat im Wallstreet Journal fest. So lässt sich anhand von zehn Aktien aus dem Konsumgüter- und Technologiesektor mehr als die Hälfte der Kursentwicklung des gesamten S & P erklären: Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon, Facebook, Johnson & Johnson, Procter & Gamble, Visa, Oracle und Philipp Morris machten 53 Prozent der S & P-Kursgewinne von rund fünf Prozent seit Januar aus. Das lässt sich zum Teil dadurch erklären, dass in marktkapitalisierungsgewichteten Indizes wie dem S & P größere Titel größeren Einfluss ausüben. Doch die überdurchschnittliche Dominanz einiger Titel verdeutlicht auch, dass Papiere von Apple, Facebook und Amazon allein für ein Drittel der S & P-Kursanstiegs seit Jahresanfang verantwortlich sind. Dabei machen die drei gemeinsam gerade einmal neun Prozent des S & P aus. Wer tatsächlich ein breit gestreutes US-Portfolio kaufen will, sollte daher in einen Index investieren, der Titel gleichgewichtet. Für US-Werte ist dies beispielsweise der dbx S & P 500 Equal Weight ETF (ISIN: IE 00B LNM YC9 0).

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Kommentare ( 3 )

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MUKS
6 Jahre her

WER finanziert MACRON Wahlkampf? Er ist unabhängig, wie er sagt, also keine Parteifinanzierung. WENN Mainstream Medien und Mainstream Politiker sein Sieg wünschen, ich wünsche es um so weniger. Bei La Pen weiß man wenigstens, was ihre Maximalforderung ist. Ich vermute, auch mit ihr wird Frankreich die EU nicht verlassen, wenn es zu Reformen kommt. Wir können herumreden. Die größte Herausforderung ist die moslemische Einwanderung zu stoppen, die Außengrenze nachhaltig zu schützen. Grenzschutz an der Außenseite muss kollektiv finanziert werden. Am besten wäre, wenn die Brüsseler Administration geschlossen zurücktreten würde, sie haben schon so viel Unsinn beschlossen. Sie sind nirgendswo mehr… Mehr

hasenfurz
6 Jahre her

Stimmt. Aber für Nichts braucht es üblicherweise auch keine dicken Tresore.

F.Peter
6 Jahre her

Bei dem herrschenden Währungs-, Finanz- und Volkswirtschaftsdesaster hilft auch kein Plan B mehr. Das einzige, was noch interessieren dürfte, ist die Frage, wann es kracht!