Wenn die Störche sterben

Alle reden von Familienpolitik – aber Kinder kommen keine: Die Dynamik des Geburtenrückgangs ist nicht mehr zu bremsen.

Irgendwie tun alle furchtbar überrascht, wenn Jahr für Jahr weniger Kinder geboren werden. Dabei braucht man nicht einmal Statistik, um zu wissen, dass keine Kinder eben keine Kinder kriegen. 1964 zählte man in Deutschland noch knapp 1,4 Millionen Neugeborene; 1974 waren es schon über eine halbe Million Geburten weniger. Und 2011 wurden mit 663.000 Kindern nur halb so viel geboren wie 1964. Weil also immer weniger Kinder geboren werden, beschleunigt sich der Bevölkerungsfall in diesem Land ohne Zutun.

Aus dieser Falle könnte sich unsere Bevölkerung nur befreien, wenn plötzlich Kinder begehrt wären wie Apple-Produkte. Derzeit ist im statistischen Mittel jede deutsche Frau mit 1,3 Kindern gesegnet. Um nur den derzeitigen Stand der Geburten beizubehalten und das Sterben der Störche zu verhindern, müsste jede Frau, sagen die Statistiker und der gesunde Menschenverstand, wenigstens zwei Kinder gebären. Dafür kämpft die Familienpolitik – mit rund 150 Familienförderprogrammen, die insgesamt 195 Milliarden Euro an Eltern und Sprösslinge verteilen. Glaubt man den emsigen Familienpolitikern, ist dies aber immer noch viel zu wenig. Deswegen soll das Betreuungsgeld kommen, deshalb werden Krippen gebaut.

Aber die hyperventilierende Familienpolitik ist für die Katz’ und nicht fürs Kind: Mit dem Wissen um Empfängnisverhütung nimmt die Geburtenzahl stetig ab; seit 150 Jahren ist das in Westeuropa zu beobachten. China vergreist, und jetzt wird auch die muslimische Welt erfasst. Es scheint, als ob immer perfektere Formen der Geburtenbeschränkung einem Bedürfnis nach Begrenzung der Fortpflanzung entspräche – global und in allen Kulturen. Und während die Familienpolitik gegen ein weiteres Absinken der Geburtenzahlen kämpft, stellen verwandte Politikbereiche die Weichen in andere Richtungen: Noch 1954 formulierte der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs: “Die sittliche Ordnung will, dass sich der Verkehr der Geschlechter grundsätzlich in der Einehe vollziehe, weil der Sinn und die Folge des Verkehrs das Kind ist”. Geglaubt hat es schon damals kaum einer mehr, und heute lacht man darüber. Der rot-grüne gesellschaftliche Mainstream habe “Probleme mit dem Begriff Familie, weil Familie mit einem konservativen oder reaktionären Verständnis” gleichgesetzt werde, sorgte sich selbstkritisch in seiner Amtszeit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Seither wird über alle Parteien hinweg die rechtliche Sonderstellung der Familien abgebaut – weil sonst unverheiratete Paare, gleichgeschlecht-liche Beziehungen oder die Zweit- und Drittehe benachteiligt wären. Rechtlich ist die Ehe längst nur noch ein loser, nur kurze Jahre geschützter Verbund – und Kinder das größte anzunehmende Risiko für den nichterwerbstätigen Teil.

Kinder als privates Elend

Ohnehin gilt der Karriere-Single oder das Doppelverdiener-Paar als das gesellschaftliche Maß der Dinge. Daran gemessen sind Kinder ein Armutsrisiko. So viel kann die Familienpolitik gar nicht fördern wie an Geld und Urlaub verloren geht, wenn einer der Partner zu arbeiten aufhört – die schlaflosen Nächte neben fiebernden Kindern als Opportunitätskosten noch nicht mitgerechnet. Um immer mehr Geld locker zu machen, beschwören Familienpolitiker das Elend von alleinerziehenden Müttern – und sehen nicht, dass sie eine andere Botschaft verstärken: Wir lernen durch ständige Wiederholung: Kinder sind der Weg ins private Elend. Und unsere famose -Sozialministerin Ursula von der Leyen will arbeitslose Schlecker-Frauen zu Krippenteilzeitmuttis umschulen – um die Erziehungsleistung zu verbessern. Was für eine Idee! Statt mit den eigenen Kindern zu spielen oder ihnen sprechen zu lehren, sollen das zukünftig Staatsbedienstete machen – während die richtigen Väter und Mütter ihrerseits an den Supermarktkasse oder im Büro arbeiten, um die Fremd-Erziehung finanzieren zu können.

Wann haben wir eigentlich zum letzten Mal gehört, dass Kinder das einzige Glück bedeuten, das über uns hinausreicht?

(Erschienen auf Wiwo.de am 07.07.2012)

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