Vorwärts, nicht zurück

Wir erleben eine existenzielle Krise Europas, es wird noch viel mehr Geld verbrannt werden – und doch gibt es zu einer vertieften Integration keine wirkliche Alternative.

1. Auch wenn die Bundesregierung es nicht eingestehen will – von den Kreditmilliarden sehen wir keinen Cent mehr wieder. Griechenland ist bankrott, darf es aber nicht sein, sondern muss versuchen, sich gesund zu sparen. Das wird nicht funktionieren. Stellen wir uns vor, zehn Jahre nach der deutsch-deutschen Währungsunion hätten wir Brandenburg und Thüringen einen solchen Sparkurs empfohlen. Die Menschen wären noch schneller davongelaufen, als sie es ohnehin tun, die Binnenkonjunktur endgültig zusammengebrochen – man kann einen Aufschwung nicht ansparen, nur herbeiinvestieren.

2. Daher werden wir neue Milliarden nachschießen müssen. Eine Währungsunion bei offenen Grenzen erzwingt Umverteilung von den reichen in die armen Gegenden. Das kennt man als Länderfinanzausgleich. Der West-Ost-Transfer hat uns mehr als 1000 Milliarden Euro gekostet. Italiens prosperierender Norden zahlt für Kalabrien und Sizilien riesige Beträge. Mecklenburg-Vorpommern, auf sich gestellt, wäre so hoffnungslos dran wie Griechenland, bloß kälter.

3. Also dann lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Man könnte ja Griechenland aus dem Euro drängen. Überlassen wir die Rechtsfragen den Juristen. Das eigentliche Problem ist: Ein Aufdröseln Europas würde ungeheure Zentrifugal‧kräfte auslösen, die nicht mehr beherrschbar wären. Ein reicher, industrialisierter Norden oben und unten ein armer Süden und bettelarmer Südosten, beides Regionen, die im Chaos versinken – das ist keine erstrebenswerte Zukunft, und sie erinnert fatal an die Neunzigerjahre: Der Balkan entflammte im Krieg, und Europa schaute hilflos zu. Die Welt funktioniert nicht wie ein Ponyhof, und China, Russland und die USA werden ein verwinzigtes Kerneuropa entlang der Rheinschiene nicht als gleichrangigen Partner akzeptieren.

4. Im Ergebnis ist es gleichgültig, ob sich da noch Benelux an Deutschland und Frankreich anhängt oder ob gleich wieder die Deutsche Mark für ein dann wieder isoliertes Deutschland eingeführt wird: Gemessen an den Kosten des Zurückdrehens der europäischen Integration, wären die Griechenland-Hilfen nur Peanuts.

5. Diese Punkte sind intellektuelles Allgemeingut in Athen. Die Rufe nach Hilfe sind nur mühsam kaschierte Erpressung; die europäische Transferunion nur ein anderes Wort für ein hellenisches Sozialprogramm. Daher war es richtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hilfen an eine Aufgabe der griechischen Souveränität in der Finanz- und Sozialpolitik geknüpft hat. Wenn wir Glück haben, beginnt sich so ein Ordnungsmuster nach nordeuropäischen und deutschen Wirtschaftsvorstellungen durchzusetzen. Es ist falsch, wenn die SPD behauptet, die Bundesregierung habe die Hilfen verzögert und damit verteuert. Bedingungslose Hilfe käme einer Blankovollmacht zum direkten Griff auf unsere Einkommen gleich und wer leichtes Geld kriegt, reformiert nicht.

6. Die unumgänglichen Transfers dürfen aber nicht die Zahlungsbereitschaft der Deutschen überfordern. Hier ist die Belastungsgrenze erreicht. Es ist kein Populismus, das zu sagen – sondern Selbstschutz.

7. Was in Europa fehlt ist Führung. Europa torkelt – hoffentlich in die richtige Richtung. Dieses Fehlen einer nachvollziehbaren Erklärung und klaren Ansage ist die eigentliche Bedrohung Europas. Wir sind dabei, das Erbe de Gaulles, Adenauers und Schumachers zu verspielen. Besser wäre, die Krise aktiv zu gestalten.

(Erschienen am 08.05.2010 auf Wiwo.de)

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