Spaghetti-Konjunktur

Konjunkturprognosen sind eine gewagte Angelegenheit. Unterschiedlichste Kurven, die wirtschaftliche Aktivitäten widerspiegeln, verlaufen nicht gebündelt wie in einem ordentlichen Kabelbaum, sondern kreuz und quer – eher wie eine satte Portion Spaghetti. Dann noch ordentlich Soße obendrauf; das macht die Sache zwar appetitlicher, aber nicht transparenter. Derzeit wird das Essen ziemlich kalt. Denn in diesen Wochen schlagen die Folgen der Finanzkrise auf den Arbeitsmarkt durch: Entlassungen, Kurzarbeit, Werkschließungen, Insolvenzverfahren. 

Zählen Sie einfach die Meldungen über verdampfende Arbeitsplätze in Ihrer Tageszeitung – diese Kurve hat eine eindeutige Richtung. Sie hängt über den Tellerrand wie eine weichgekochte Nudel. Diese Wahrnehmung wird auf die Stimmung beim Einkaufsbummel durchschlagen, an den Werbeständen der Parteien in den Fußgängerzonen zu spüren sein und die neuerdings rauchfreie Luft über den Stammtischen vergiften. Bislang war die Finanzkrise ein Thema für Banker, Politiker und uns Journalisten. Jetzt erreicht sie alle. Unsere Gesellschaft lebt und definiert sich über Arbeit. Wir werden einen düsteren Frühling erleben, einen Tiefpunkt der Stimmung, kurz: einen schwarzen Frühling.

Es gibt auch – Spaghetti-Teller sind nun mal unübersichtlich – andere Hinweise, man muss sie nur finden und sie zu kosten wissen. Einige Earlybirds – Konjunkturforscherdeutsch für die ersten Frühlingsboten – deuten darauf hin, dass es Wendesignale gibt. Es sind vor allem die monetären Indikatoren wie Bargeldbestände und Sichteinlagen, Zinsstruktur und Wechselkurse, die am frühesten bei Veränderungen reagieren. Obwohl diese Frühlingsboten, die Singdrosseln und Feldlerchen der Konjunkturbeobachter, sehr aussagekräftig sind, werden sie meist überhört. Schon vor einem Jahr intonierten sie den aktuellen Abschwung – aber damals wurde ihr Alarm im allgemeinen Jubel über sinkende Arbeitslosenzahlen überhört.

So ist es wohl auch diesmal: Im Gedröhn der lauten Arbeitsmarktdaten gehen die frühen und feinen Signale unter. Das ist die Gefahr für Unternehmen und Politik: Der Arbeitsmarkt und die daraus entstehenden Nöte und Sorgen beherrschen die Stimmung – wer sich aber danach richtet und entsprechend Personalpläne, Konjunkturpolitik und Investitionsvorhaben ausrichtet, wird die falsche Richtung einschlagen: Abwärts, obwohl es wieder aufwärts geht. So weit verhalten sich viele Unternehmen durchaus richtig, die versuchen, über Kurzarbeit und Zeitarbeitskonten ihre Stammbelegschaften durch das Tal der Tränen zu bringen. Aber machen wir uns nichts vor: Die wirkliche Bewährungsprobe kommt in den kommenden Monaten der Depression und wachsenden Erlöslücken.

Denn das Tal wird tiefer und länger verlaufen als in bisherigen Rezessionen. Und der Aufstieg wird flacher ansteigen – ein Konjunkturanstieg für Gehfaule, nicht für Kletterer. Der Grund ist die Krise der Finanzindustrie und der Banken. Es sind ziemliche Eisbrocken, die da aufgetaut werden müssen und die vorerst verhindern, dass frisches Geld und sinkende Zinsen zu den Unternehmen gelangen. Weitere Belastungen, etwa durch süd- und osteuropäische Staatsanleihen, werden zu neuen Abschreibungen und niedrigeren Kreditspielräumen der Banken führen. Trotzdem kommt das Geldgeschäft allmählich in Bewegung. So können sogar die krisengeschüttelten LBBW und Commerzbank erstmals seit Herbst wieder frisches Geld in Milliardenhöhe einsammeln.

Daher wird es wohl noch ein Jahr dauern, bis dem fröhlichen Gezwitscher der Earlybirds spürbare und für alle sichtbare Veränderungen folgen. So lange müssen wir von der trüben Soße der Unsicherheit und sich abkühlender Stimmung leben.

(Erschienen am 07.02.2009 auf Wiwo.de)

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