Perchtenlauf und Rauhnächte im aufflammenden Wahlkampf

Die Rauhnächte bis zum Feiertag der Heiligen Drei Könige gelten in der Alpenregion als Umbruchszeit. Winteraustreibungen und Masken sollen erschrecken und dem eigenen, inneren Schrecken Ausdruck verleihen. Dabei geht es grob her, in jedem Fall gespenstisch.

Schon das Radioprogramm war anders. Die Verkehrsnachrichten berichteten von „Wartezeiten bei der Einreise“ an den Grenzübergängen Walserberg und Kiefersfelden. Diese Formel war zwar ein Dutzend Jahre wegen der Grenzöffnung in Europa nicht mehr zu hören, sie kam den Sprechern aber ganz routiniert über die Lippen. Es gibt also wieder verkehrswirksame Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich; ein Albtraum. Die Maßnahme ist wohl unumgänglich, weil Europa seine Außengrenzen nicht schützen kann – eine Pleite der Politik. Eine CDU-Kanzlerin dreht nach langen Windungen und Weigerungen zurück, was unter ihrem Vorgänger Helmut Kohl eingeführt worden war. Es fühlt sich an wie ein politischer Perchtenlauf, lärmende Umzüge mit Masken dämonischer Weiber, heidnischer Göttinnen sowie wilder und zahmer Tiere, mit Gebrüll und Glocken – jetzt geht es nicht um heidnische Bräuche, sondern um Schengen. Und um Wahlkampf. Der wird wild und anders.

Abschieben leicht gemacht

Es war nicht die einzige Nachricht. Es fing mit Innenminister Thomas de Maizière an; neben einem Potpourri von Maßnahmen, wie Zentralisierung der Verfassungsschutzämter in Berlin kam auch ein wirklich neuer und vielversprechender Vorschlag: Abschiebeeinrichtungen in Flughafennähe. Dort könnten diejenigen, die kein Bleiberecht haben, zusammengefasst und schneller in ihre Herkunftsländer gebracht werden.

Eigentlich fehlten nur Sozialdemokraten, die von „Abschiebe-KZs“ sprachen. Mit diesem Begriff hatten sie 2015 die Einrichtung von Transitzonen politisch erschlagen, die in Grenznähe bei Asylbewerbern schnelle Entscheidungen und Rückführungen ermöglichen sollten, ehe die Betreffenden quer durchs Land verteilt werden.
Aber nein, diesmal kein „KZ“.

Vielmehr ist die CSU schuld, weil Entwicklungshilfeminister Gerd Müller Entwicklungshilfegelder nicht von Rücknahme der Emigranten nach Deutschland abhängig mache, sagt Parteichef Sigmar Gabriel. Und jetzt wird´s richtig grob und laut:

Die SPD will nach dem islamistischen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt schärfer gegen Hassprediger vorgehen. „Salafistische Moscheen müssen verboten, die Gemeinden aufgelöst und die Prediger ausgewiesen werden, und zwar so bald wie möglich“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel dem Magazin Der Spiegel. Und weil es noch nicht reicht, hat er gleich einen Kulturkampf ausgerufen: „Wenn wir den Kampf gegen den Islamismus und den Terrorismus ernst meinen, dann muss es auch ein kultureller Kampf werden“, sagte der SPD-Vorsitzende. Das bedeute, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken und dafür zu sorgen, „dass Stadtteile nicht verwahrlosen, Dörfer nicht verkommen und Menschen sich nicht immer mehr radikalisieren“. Links überholt rechts. Ob es hilft, die bösen Geister auszutreiben?

Das ist doch erstaunlich. Wurde Gabriel über Weihnachten islamophob, auch so ein Begriff aus dem Vokabular des psychosozialen Wortkriegs? Noch vor Weihnachten jedenfalls wäre jeder als Rechter beschimpft worden, der solche Sätze schreibt. Da reibt man sich die Augen und sieht grimmige Masken.

Sternsinger mit frisch aufgetragener Schuhcreme

Aber unter den Sternsingern ist ja auch immer einer mit schwarzer Schuhcreme im Gesicht. Bekanntlich scherte sich das Christentum nicht um Nation und Hautfarbe, und in der CDU gab es ja eigentlich lange nur Schwarze.

Rund um Heilig Drei Könige jedenfalls hörten sich die Nachrichten des Bayerischen Rundfunks wie ein ständiger Lagebericht aus Kloster Seeon an, ein malerischer Winkel im Chiemgau, wo die CSU anstelle des aufgegebenen Wildbads in Kreuth tagte. Sie forderte eine Quote für Wölfe, aber vor allem eine Obergrenze für Migration; seit einem Jahr der Dauerbrenner. Aus der CDU kam sogar gelegentlich Unterstützung, etwa von Julia Klöckner, die den Deckel allerdings flexibel gestalten will. Aber Seehofers in täglichen und gelegentlich im Stundentakt vermittelten Häppchen würde eine dramatische Veränderung der Asylpolitik mit sich bringen. Schließlich hat er auch die automatische Voll-Allimentierung von Zuwanderern und ihrer Familien einschließlich Rente in Frage gestellt – vermutlich eines der Themen, das langfristig Deutschland am stärksten belastet: Von der Illusion, durch diese Zuwanderung werde die angebliche Facharbeiterlücke geschlossen, ist ja nichts übrig geblieben.

Es geht also um die langfristige massive Zuwanderung in das Sozialsystem, die dieses belastet. Da passt ein Zwischenruf aus Brüssel, wo der Vorsitzende der konservativen Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, eine Überprüfung aller „Flüchtlinge“ fordert – genau die Öffnung der Grenzen und der damit verbundene Kontrollverlust aber hatte die größte, emotionalste und auch erbittertste Kritik an Angela Merkel ausgelöst. Da darf Hessens MP Volker Bouffier nicht fehlen, der diesmal – anders als bisher – der CSU ausdrücklich zustimmt: Flüchtlinge übers Mittelmeer sollen nicht per Frontex nach Sizilien, sondern gleich wieder zurück gebracht werden- eine sehr späte Erkenntnis, die wie bei der AfD abgeschrieben klingt.

Es ist ein Wettlauf um Wählerstimmen – mit Masken, Getöse und Gelärme, der vom vergangenen Jahr ablenken soll und alles Neue verspricht. Ob es dann auch kommt?

Grüne Perchten, allüberall

Perchtenläufe sind im Alpenraum verbreitet; in den voralpinen Ausläufern allerdings eher selten. In Tübingen allerdings macht der grüne Oberbürgermeister gleich richtig Krach wie bei einem ganz großen Umzug: Grüne, sagte er der BamS, dürften nicht Teil des Sicherheits-Problems werden. Frauen beklagten sich, „dass gerade Freiheiten verloren gehen, die sie über Jahrzehnte erkämpft haben … Wenn der Eindruck entsteht, dass wir im Zweifel eher die Täter vor Kontrollen schützen als Frauen vor Übergriffen, wird uns das viele Stimmen kosten.“ Tatsächlich machten die Grünen auf ihrer Basisbefragung zum künftigen männlichen Teil ihres Spitzen-Duos deutlich, dass sie den Absturz bei den kommenden Wahlen fürchten. Und Parteivorsitzende Katin Göring-Eckhardt empfahl, ganz im Gegensatz zu Palmer, doch Sicherheitsschlösser für Einkommensschwache zu subventionieren, damit die Wohnungen derer mit schmalen Geldbeutel geschützt werden können: Eine sehr umfangreiche Privatisierung der öffentlichen Sicherheit.

Die grüne Hilflosigkeit ist mit Händen zu greifen – da sah man sich schon Seit`an Seit`mit Angela Merkel im Kabinettsraum sitzen – und plötzlich rutscht die Kanzlerpartei einfach weg. Alle, wirklich alle? Nein, Peter Tauber, CDU-Generalsekretär und Stimme seiner Vorsitzenden, rutscht gleich wieder zurück. FDP-Chef Lindner, der gerade beim liberalen Perchtenlauf in Stuttgart konkrete Maßnahmen und nicht nur Worte von der CDU eingefordert hatte, rede „teilweise wie AfD-Vize Gauland, trage aber statt eines abgewetzten Tweed-Sakkos einen überteuerten Maßanzug“. Die FDP, in der viele gehofft hatten, diesmal werde es friedlicher mit CDU als Koalitionspartner, sieht sich vorab frustriert: Ihr Preis wird schon mal klein geredet. Perchtenlauf ist einfach ein großes Durcheinander.

Zonen, in denen sich nichts ändert

Man ist schon fast beruhigt, dass in manchen Teilen der Republik kein solches Getöse herrscht. In Berlin, wo die rot-rot-grüne Regierung die Amtsstuben bezogen hat, lehnt die grüne Justizsenatorin die Installation von Video-Überwachung ab und beglückt das Abgeordnetenhaus mit einem Bericht über Unisex-Toiletten. Wir haben ja keine Probleme und bleiben in unserer Blase. Und in Baden-Württemberg,wurden die Einmalzahlungen gestrichen: Eltern von Drillingen oder Vierlingen erhielten bislang 2.500 Euro Unterstützung. Oder hat der Wahnsinn da nur eine andere, dauerhafte Tradition?

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