Magere Daten-Diät

Wie schön wird Einkaufen, wenn erst das Anstehen an der Kasse wegfällt – weil die Funkchips an den Bierflaschen in meinem Wagen der Kasse längst zugeflüstert haben, was und wie viel ich zu zahlen habe. Wie angenehm finde ich es, wenn ich an einer Hotline per Namen begrüßt werde und der Berater schon auf dem Schirm hat, was ich dort wann gekauft habe. Wie schön, wenn das Ticket bei der Bahn entlang meiner Fahrtstrecke automatisch gelöst und abgebucht wird, statt dass ich immer am Automaten in der Geldbörse herumfummeln muss. Und wenn meine Hemden und Socken erst Funkchips tragen, die selbst an der Waschmaschine die richtige Temperatur einstellen – das ist wahrer Fortschritt.

Aber es ist auch unheimlich: Längst ist bekannt, was ich kaufe, wofür abgebucht wird, mit wem ich über die Refinanzierung meiner Hypothek verhandle, welche Bücher ich bestelle, wo ich mein Auto tanke, welches Kino-Ticket ich erwerbe und wo ich dann sitze; dass ich graue Pullis bevorzuge. Dass ich ihn heute in der Trattoria Tavola zu einem Glas Barolo dabei hatte, wird bald automatisch per Funkchip an meinen Kardiologen übermittelt, wobei so nebenbei mitgeteilt wird, dass ich den Weg dahin mit der S-Bahn-Linie 7 zurückgelegt habe. Unser Leben, unsere Vorlieben, unsere Abneigungen, kurz: Jede unserer Lebensäußerungen wird in einem allumfassenden Nackt-Scanner erfasst, verfolgt, analysiert und zu Geschäftszwecken gespeichert. Es geht um mehr als Suchbegriffe bei Google und Vorschlagslisten bei Amazon. Es geht darum, dass die winzigsten Datenspuren durch „Reality Mining“ ausgebeutet werden.

Was ist daran so schlimm? Für den, der sich an die indiskrete Gesellschaft der Moderne gewöhnt hat – wenig. Internet-Nutzer gehen meist lässig damit um; informationelle Selbstbestimmung ist für sie ein Begriff aus der Datensteinzeit des vorigen Jahrtausends. Die Stasi erscheint lächerlich mit ihren Kartei‧kästen, in denen sie buchstäblich ersoffen ist, und mit ihren abgefangenen Faxen, zu deren Ausdruck das Thermopapier fehlte; der Zank um die Steuer-CD aus der Schweiz gestrig: Wer häufig auf das Stichwort „Gold“ und „Schweiz“ geht, hat wohl was in Zürich liegen, liebes Finanzamt? Erraten. Und welcher Bankname wurde letzte Woche abgefragt? Danke, keine Fragen mehr.

Bedrohlich sind nicht die scheinbar belanglosen Informationen. Es ist das Zusammenlegen kleinster Informationsspuren. Privatheit stirbt nicht im Internet, sondern an der Supermarktkasse. Waren es früher der Staat und seine Geheimpolizei, sind es heute innovative Existenzgründer des Datenbergbaus, die viele Bits zum Puzzle unseres Ich zusammenlegen. Der Übergang zum totalen Überwachungsstaat bleibt fließend: China hat es bei Google versucht, und unsere famose Bundesregierung hat zugestimmt, dass alle unsere Bankdaten automatisch an die USA überspielt werden. Erst das Europäische Parlament hat diesen Persönlichkeitsverrat gestoppt.

Das zeigt unsere Schwierigkeiten mit den Tausend Datenzwergen, die uns mit ihren feinen Seilen fesseln wie Gulliver: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist im Datenwust verschüttet worden. Jeder Einzelne muss seine Daten schützen. Bald wird es zwei Gruppen geben: die vollständig durchleuchteten Ignoranten – und die, die selbstbewusst auf Daten-Diät achten, gelegentlich ihr Telefon abschalten, wie einst Opa noch bar bezahlen und nicht alle Möglichkeiten des Reality Mining an sich ausprobieren lassen. Und manche fordern einen „Datenbrief“ – damit wir wenigstens einmal im Jahr selbst erfahren, was andere über uns längst wissen. So klein ist unsere Privatsphäre bereits geworden.

(Erschienen am 20.02.2010 auf Wiwo.de)

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