Jetzt kommt viel Europa

„Mehr Europa“ – so lautet die Heilsformel in der Euro-Krise. Das Rezept gilt auch für den Arbeitsmarkt – mit allen Nebenwirkungen.

Wer nur A sagt, aber nicht B, kriegt die Euro-Krise: Wer leistungsstarke und -schwache Länder unter einem Einheits-Währungsdach zusammensperrt und Inflationsliebhaber mit Inflationsangsthasen in einem Raum, darf sich nicht wundern, wenn es mit der gemeinsamen Währung knirscht und eiert und alle verlieren. Ohne mehr Europa wird der Euro nicht gesund, so lautet das Mantra.

Beim gemeinsamen Arbeitsmarkt sieht es nicht anders aus – da treffen Länder mit starker Wirtschaft, hohen Löhnen und satten Sozialleistungen auf Habenichtse. Der Durchschnittslohn in Bulgarien beträgt gerade 3,70 Euro pro Stunde; in Rumänien sind deutsche Hartz-IV-Leistungen ein übliches Ärztegehalt. Wenn sich jetzt die Europäer auf den Weg machen, um ihre Lage zu verbessern, darf man sie dafür nicht so garstig schelten wie die CSU; das Glück zu suchen ist aller Menschen Recht. Und wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, dann kommen wir zur D-Mark – erinnert uns das an was? Das einzig Überraschende ist die gespielte Überraschung darüber. Denn wer in Europa a) Freizügigkeit verspricht, kann dann b) Europas Bürger nicht per Fingerabdruck nach Nationalität und Sozialstatus selektieren.

Wollten nicht alle a) mehr Europa? Jetzt kommt b) Europa persönlich zum Sozialamt und wird die europaweite Anpassung auch in der Sozialpolitik erzwingen, so wie es die Fiskalunion vormacht. Dabei werden die Mindeststandards sinken, damit die Anreize für Sozialtourismus nicht zu hoch bleiben. Mehr Europa bedeutet mehr Umverteilung und mehr Gleichmacherei. Dabei gewinnen eher die da oben. Die deutsche Industrie jubelt über neue willige, billige und vor allem junge Arbeitskräfte, die Rettung vor dem Fachkräftemangel. Schon steigt die Beschäftigung – und gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Das passt zusammen, weil die neuen Arbeitsplätze an Zuwanderer gehen, während die Langzeitarbeitslosigkeit der Einheimischen andauert. So verfestigt sich der Elends-Sockel, denn am „German Trash“ geht der Aufschwung vorbei. Der Mindestlohn ist auch der Versuch, das eingeborene Prekariat vor der neuen Schmutz-Konkurrenz zu schützen, die sich gern auch für sieben, sechs oder fünf Euro ausbeuten lässt – für Zuzügler ist das nicht wenig, sondern schnell verdientes Geld. So hat jede Partei wieder ihre Klientel in der Wagenburg: Die CSU hetzt gegen den Zuzug in Sozialsysteme. Die SPD will den Arbeitsmarkt gegen die neue Konkurrenz von unten abschotten – rein ja, aber arbeiten? Nein. Dann doch gleich Sozialamt?

Uneingeschränkt freuen dürfen sich auch die Rentner und Pensionäre. Sie gewinnen, wenn zuzieht, wen sie nicht selbst aufgezogen haben. Mit Steuern und Beiträgen hält die wachsende Multikulti-Belegschaft das Altersheim Deutschland am Laufen. Jedes Jahr sterben mehr Menschen als nachgeboren werden; so verschwindet jedes Jahr eine Stadt von der Größe von Mainz mit 200.000 Menschen. Und Jahr für Jahr vergrößert sich das graue Volk der Rentner und Pensionäre dazu. Jedes Jahr eine zusätzliche Alten-Stadt von der Größe Bonns will finanziert, versorgt – und irgendwann gepflegt werden.

Geht das gut? Seit Kriegsende hat Deutschland immer neue Wanderungswellen verkraftet; erst Flüchtlinge und Heimatvertriebene, und wer aus Pommern im Rheinland strandete, war fast so fremd wie heute ein Sinto in Schwaben. Dann Italiener, Griechen, Spanier und Türken; 2000 Moscheen zählt das Land inzwischen. Jetzt Osteuropäer und Flüchtlinge aus Somalia und Syrien. Europa wird in Sonntagsreden gefordert; soziale Konflikte in Duisburg und Mannheim, Streit vor Flüchtlingsheimen in Berlin-Marzahn sind der Alltag. Um die da unten kümmern sich die Sonntagsredner nicht, sie wohnen ja auch woanders. Bei den Mai-Wahlen zum Europaparlament wird sich zeigen, ob die kühnen Entwürfe von den Wählern bestätigt werden – oder das Konstrukt die Menschen überfordert. Jetzt geht es wirklich um mehr oder weniger Europa.

(Erschienen auf Wiwo.de am 11.01.2014)

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