Was ist konservativ?

Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, läge die Koalition aus Union und FDP rund zwölf Prozentpunkte hinter Rot-Grün, so die Meinungsforscher von Allensbach. Gerade bei Wählern, die sich selbst als konservativ bezeichnen, spürt man eine tief sitzende Unzufriedenheit. Es ist das kränkende Gefühl, von der CDU nicht mehr gewollt zu sein; ja sogar, dass die Stimmen dazu missbraucht würden, um der Bundeskanzlerin die Macht zu erhalten, bis sie ihre Zukunft bei den urbanen, emanzipierten Lebensstilgrünen in den Großstädten gefunden hat.

Konservative fühlen sich in ihren zentralen Wertvorstellungen nicht mehr repräsentiert: Frauen, die ihre Kinder noch selbst erziehen, wird die angeblich minderwertige Rückständigkeit ihres Lebensstils quasi regierungsamtlich vorgeworfen. Katholiken stellen fest, dass die gesetzliche Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch zur faktischen Freigabe des jederzeitigen Schwangerschaftsabbruchs uminterpretiert worden und die Entscheidung über das Leben einer fixen Gebrauchsmoral anheimgestellt ist.

Die letzten Reste des staatlichen Schutzes für Ehe und Familie werden gerade abgetragen. Ist die Familie, die mit Kindern den engen Zeithorizont einer Generation sprengt, wirklich völlig gleichzusetzen mit einer weniger verbindlichen, temporären oder gleichgeschlechtlichen Lebensabschnittspartnerschaft? Wäre es nicht besser, die Familien zu stärken? Aber das Familienministerium ist zu einer Clownsnummer degradiert, und das Sozialministerium wird zum Geldautomaten umgebaut, an dem man sich per Chipkarte ohne eigenen Beitrag und Bemühen bedienen darf. Eigenverantwortung ist ein hoher Wert, und eigenes Bemühen steht vor einem Rechtsanspruch. Das gilt auch für Migranten. Ist es wirklich nicht vermittelbar, dass es hier eine Bringschuld gibt, nämlich sich um die deutsche Sprache zu bemühen und auch muslimische Mädchen an den Errungenschaften einer modernen Gesellschaft teilhaben zu lassen, ehe man Migranten generell als besonders unterstützenswerte Minderheit in Obhut nimmt?

Es wächst das Gefühl, dass man den Familien unfaires Verhalten vorwirft, wenn sie sich um das schulische Fortkommen ihrer Kinder bemühen. Gegen die Anstrengungen der Bildungsbürger und derjenigen, die ihren Kindern eine bessere Zukunft organisieren wollen, werden in Hamburg und Nordrhein-Westfalen Schulprogramme inszeniert, die die Leistungsfähigen auf das Niveau der Bildungsverweigerer drücken sollen – im Namen von Gleichheit und Solidarität.

Viele haben die CDU gewählt, weil sie wenigstens in der CSU den Garanten sahen, der solche Werte verteidigt. Seit in München der sprichwörtliche Bock sich zum Gärtner aufschwang, ist auch die CSU auf dem Kurs dahin, wo die CDU schon seit Längerem angekommen ist: unter die 30-Prozent-Marke.

Andere erhofften sich von der FDP, dass wirtschaftliche Eigenverantwortung und Leistung wieder anerkannt werden. Jetzt sehen sie sich als Zwangsteilnehmer einer permanenten Christopher-Street-Day-Parade und sind irritiert von schnarrenden Attacken aus dem Berliner Justizministerium auf kirchliche Institutionen.

Das sind Stimmen, die sich verlängern lassen – etwa zur Verteidigungspolitik. Nun lassen sich katholische Soziallehre, Patriotismus und Wirtschaftsliberalismus schwer zu einem widerspruchsfreien Programm vereinen. Den schicken Parteifunktionären in Berlin-Mitte gelten Konservative als aussterbende Gruppe alter Männer aus Süd-West. Ohne Rücksicht darauf wird die CDU wertentkernt und stromlinienförmig für den Windkanal des Zeitgeistes geschliffen. Kann man regieren gegen diese zornige Minderheit, die zu den Leistungsträgern zählt? Dieses Experiment ist wohl schon heute gescheitert.

(Erschienen am 28.08.2010 auf Wiwo.de)

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