Deutschland schwimmt

Schade, dass moralisierendes Gerede und romantische Träume keinen Strom erzeugen. Bis es so weit ist, sollten wir diskutieren, wie die Rahmenbedingungen einer Energiepolitik für den Industriestandort Deutschland bei einem schnellen Atom‧ausstieg aussehen könnten.

Bis 2050 werden dann Kosten und Investitionen in Höhe von 1455 Milliarden Euro für den Umbau zu regenerativen Energien fällig. Das entspricht den Kosten der Wiedervereinigung. Diese Zahl, errechnet aus den Analysen des grün orientierten Sachverständigenrats für Umweltfragen, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Weitere Konsequenzen: Die Klimaziele sind nicht zu halten. Allein während des dreimonatigen Atom-Moratoriums werden anstelle der sieben stillgelegten Reaktoren Kohle- und Gaskraftwerke eine CO2-Menge in die Luft jagen, die der durch regenerative Energien eingesparten Menge eines ganzen Jahres entspricht. Der grüne Strom ist dreckig und teuer.

Für mindestens 10 bis 15 Jahre werden fossile Kraftwerke die einzige tatsächlich verfügbare alternative Energiequelle sein. Wir sollten uns verabschieden von einer öffentlichen Debatte, die von einem schnellen und billigen Umstieg träumt. Natürlich ist das möglich – langfristig. Es ist aber doch sehr erstaunlich, wie leichtfertig vage Ideen und visionäre Konzepte für die Tat genommen werden. Die großtechnische Umsetzung von Windparks, Gezeitenkraftwerken, Stromleitungen, Energiespeicheranlagen (für die es außer Speicherseen vorerst nur Konzepte gibt), aber auch flächendeckende Wärmedämmung und effizientere Maschinen für Industrie und Haushalt sind ein zeitfressendes Mammutprogramm. Damit werden viele neue Arbeitsplätze entstehen. Es werden aber nicht nur ökologisch-idyllische sein. Wir werden auch über die Wiederbelebung des Steinkohlebergbaus nachdenken. In stromintensiven Branchen, von der Chemie- bis zur Automobilbranche, werden Arbeitsplätze verloren gehen. Bayern und Baden-Württemberg, weit weg von Kohle und Wind, werden am härtesten zu leiden haben. Zu den Verlierern werden auch einige Hoffnungsindustrien gehören. Es ist kaum vorstellbar, dass wir weiterhin mit über 100 Milliarden Euro Solarenergie und Biogas subventionieren, Techniken, die keinen merklichen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Dazu kommen die Zerschneidung der letzten Naturräume durch Stromtrassen, der Anbau lebensfeindlicher Energiepflanzen, CO2-Kavernen und noch mehr enervierende Windparks.

In der Debatte machen sich Gedanken breit, die unselige Assoziationen auslösen: Schon wird von einer „Westfront“ gegen Frankreichs Nuklearreaktoren geredet, werden norwegische Fjorde für deutsche Speicherkraftwerke verplant oder Importverbote für chinesische Solaranlagen gefordert. Und die Bundesregierung will ernsthaft anderen Ländern die Prüfung ihrer Energieanlagen vorschreiben. Der deutsche Romantizismus, der Größenwahn und die aggressive Sprunghaftigkeit finden neue Betätigungsfelder.

Macht die Bevölkerung dabei mit? Wer könnte den breiten gesellschaftlichen Konsens gestalten und tragen? Die Union hat mit ihrem Atom-Populismus, nach Libyen-Debakel und ihren gebrochenen Währungsversprechen (ja, das war auch in diesen Tagen) Glaubwürdigkeit verspielt. Die SPD muss erst zurück aus der sozialpolitischen Randständigkeit zu einer realistischen Industriepolitik finden. Und die Grünen in der Stunde ihres Triumphs die wohl folgenschwerste Aufgabe meistern: die Wende zum Dafürsein – und das erfordert, auch schmerzhafte, unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Die Helden des Protests müssen dann die Enttäuschung ihrer Wähler aushalten, denen man Realitäten schlicht verschwiegen hat. Mit den Kernkraftwerken wird auch das ökologische Wunschkonzert abgeschaltet, von dem man sich mittels billigen Atomstroms einlullen ließ.

Aber so ein tragfähiges Konzept ist nicht in Sicht. Deutschland schwimmt.

(Erschienen auf Wiwo.de am 26.03.2011)

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