Der Wahnwitz überholt die Wirklichkeit der Zeit: Eine Woche Deutschland

Journalisten haben es schwer derzeit: Was man als Spaß oder Ente identifiziert - ist Wirklichkeit! Sie meinen es ernst! Politik und Medien außer Rand und Band, und das Beste ist: Sie merken es nicht. Die meinen es ernst.

imago images / Müller-Stauffenberg

Es sind schlechte Zeiten derzeit für Spaßmacher und Kabarettisten. Die Wirklichkeit ist so spaßig und komisch, mit derartigen Ausbrüchen des Unsinns und Wahnsinns, dass man die Realität als eine Art einzige große Heute-Show wahrnimmt – schlechte Witze inklusive und komplett irreal: Wahnwitz.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz ruft per Internet die Bürger auf, ihre Nachbarn zu bespitzeln. Dafür wird ein „Hinweistelefon eingerichtet für Hinweise zu Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus“, dort sollen wir anrufen, wenn wir „beobachten, dass sich Personen aus Ihrem Umfeld diesbezüglich radikalisieren“. TE hat darüber zunächst nicht berichtet. Ich habe es für einen Witz gehalten, fürchtete hereinzufallen: Das schien doch zu sehr DDR, zu sehr Nazi-Deutschland, aber ich wurde eines besseren belehrt. „Es geht nicht um Denunziantentum, sondern wir wollen jede Möglichkeit nutzen, an Informationen zu gelangen“, erklärt blauäugig der Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldewang. Ich nehme an, ich soll meine Nachbarn anzeigen, wenn sie einen Schäferhund Gassi führen oder ihre Töchter blonde Zöpfe tragen; das sind ja die dringenden Hinweise auf Rechtsradikalismus, die die Amadeu Antonio-Stiftung herausgegeben hat – finanziert von der Bundesregierung über das Familienministerium und der Stiftung des Freudenberg-Konzerns, der die guten Vileda-Wischtücher und viele andere Haushaltsartikel verkauft. Sollen wir mit Vileda künftig die braunen Flecken wegputzen?

Mit Vileda gegen braune Spuren?

Dazu passt eine zweite Meldung, die wir nicht genommen haben – wieder eine echte journalistische Fehlentscheidung. Ich habe die Meldung geschoben, die schon zur Verbreitung vorlag, nämlich dass ein Verein geile Männer in Kindergärten schickt, wo sie mit den Kindern kuscheln sollen, um deren Sexualität zu trainieren. Das war wohl in evangelischen Kindergärten Berlins und andernorts üblich; wiederum übrigens scheint es eine bislang noch nicht bestätigte Verbindung zur Amadeu-Antonio-Stiftung zu geben, die ja schön länger auf der Suche in Kindergärten ist: Allerdings nicht nach Päderasten, sondern Mädchen mit blonden Zöpfen, deren Aussehen auf die Einstellung der Eltern hindeutet. Ich habe den Bericht darüber zunächst gestoppt. Ich habe das für einen „Hoax“ gehalten, einen vorweggenommen Aprilscherz in der komplett falschen Jahreszeit. Man darf ja nicht alles glauben. Und wiederum hat die Realität den Scherz überholt. Allerdings ist es für die wohl sexuell belästigten und vielleicht sogar missbrauchten Kinder kein Scherz. Aber der rot-rot-grüne Senat Berlins wäscht seine Hände in Unschuld. Und so nimmt die Woche ihren wahnwitzigen weiteren Verlauf.

Dresden erklärt sich zur Nazi-Stadt

Die Stadt Dresden ruft den „Nazi-Notstand“ aus. Was ist in Dresden passiert? Werden Juden oder andere religiöse Minderheiten abtransportiert? Der Dritte Weltkrieg vorbereitet? Eine V2 in der Semperoper montiert? Nichts von alledem. Es ist die übliche Banalisierung des Bösen. So werden die Verbrechen des Nationalsozialismus, der Holocaust, der Weltkrieg, die unsäglichen Verbrechen kleingeredet auf Gartenzwerg-Niveau. Eigentlich ist das Leugnen des Holocausts ein Straftatbestand; seine Banalisierung durch den Stadtrat Dresdens eine der größten Dummheiten, die mir je untergekommen ist. Dresden erklärt sich damit zur Nazi-Stadt. Dafür ist sie nicht nur viel zu schön, zu bunt, kulturell zu wertvoll. Aber überlegen Sie beim nächsten Dresdner Stollen, ob sie wirklich Nazi-Food konsumieren wollen.

Plagiate in SPD-Doktorarbeiten erlaubt

Da ist vergleichsweise harmlos, dass die extrem triviale Doktorarbeit von Franziska Giffey auch noch über weite Strecken abgeschrieben ist. Abgesehen von den geklauten Zeilen und Seiten – diese Doktorarbeit hat das Niveau einer Seminararbeit im zweiten Semester. Nicht einmal dafür reichen Intellekt und Geist unserer Familienministerin. Sie muss ihren Doktor-Titel nicht abgeben. Auch hier müssten sich Bürger aufregen, die für diese Buchstaben Jahre ihres Berufslebens geopfert und hart gearbeitet haben. Es gibt eben Bürger und führende Sozialdemokraten, die via Amt über dem Recht stehen. Wäre ja auch gelacht, wenn immer alle gleich wären. Franziska Giffey ist gleicher als klug.

Und so jagt eine Sensation die nächste und man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Hass gegen Rechte ist Bürgerpflicht

Im Deutschlandfunk wird zum „Hass gegen Rechte“ aufgerufen. Da biegen sich die Rundfunkgesetze und der journalistische Ethos verfällt in einen Heulkrampf. „Wir müssen hassen lernen“, aber natürlich „das Richtige hassen“.

Das ist da ernsthaft zu hören. Keinem ist es peinlich. Großartig, die Erziehung zum Hass auf den richtigen Klassenfeind war Erziehungsideal der DDR. In einer „Handreichung zur Sozialistischen Wehrerziehung“, die 1974 erschien, wird erklärt: „Die Erziehung zum Haß steht demzufolge nicht im Widerspruch zu den edlen Zielen des Sozialismus.“ Sie ist wieder da, könnte man meinen.

Gut, dass da die Bundesregierung ein Programm gegen „Hass und Hetze“ auflegt. Schließt sie jetzt den Deutschlandfunk für seine Hasspredigten? Kriegen wir dann die 700 Millionen zurück, die das Hass-Programm an Gebührengeldern verschlingt? Natürlich nicht. Es geht ja um „Hass und Hetze“ im Internet. Im Internet ist eben alles möglich, was sonst nur über öffentlich-rechtliche Kanäle an Hass und Hetze aus den Lautsprechern tröpfelt.

Titanic und Gauland bei der FAZ

An dieser Stelle möchte ich allerdings dem Satiriker und Komiker Jasper von Altenbockum für seine gelungenen Texte danken. Er schreibt in der Papier-FAZ dazu folgenden Comic-Text, der allerdings als solcher nicht markiert ist, was aber nicht weiter schlimm ist: Die klugen Köpfe können schon Wahn und Wirklichkeit, Witz und Realitätsbeschreibung trennen. Altenbockum also schreibt zum Hass- und Hetze-Gesetz der Bundesregierung. »Damit ist hoffentlich ein Schlussstrich unter die Ära eines libertinären Wildwuchses in Medien und Netzwerken gezogen worden, die „sozial“ zu nennen die Verirrung anzeigt, die dahintersteckte.« Er freut sich über künftige Zensurmaßnahmen, um jeder Parallelwelt ein Ende zu bereiten »in der wie selbstverständlich zivilisatorische Maßstäbe verletzt werden dürfen, die in der vermeintlich rückständigen „alten“ Welt genauso selbstverständlich geächtet sind«. In früheren Jahren hätte in der FAZ ein Text gestanden wie dieser hier von Tomas Spahn, der aufzeigt, wie mit unbestimmten Begriffen wesentliche Elemente unserer Rechtsordnung zerstört werden. Aber seit die notorisch spaßfreie Witzezeitung Titanic die FAZ-Innenpolitik übernommen hat, verschieben sich eben die seriösen Quellen ins Netz

Was Altenbockum nicht weiß in seiner Schreibstube, dass das Presserecht keinen Deut unterschiedlich ist für seine „alte“ Welt und die neue, die er noch nicht so richtig kennt, wie auch, wenn man Leitartikel noch auf Papyrus denkt. Bis zum Abend des selbigen Tages. Da erlebte die FAZ den Einbruch der neuen Wirklichkeit. Da wurde nämlich bekannt, dass die FAZ anläßlich ihres 70-jährigen Bestehens feierte und dazu im Berliner Restaurant Borchardt auch Alexander Gauland geladen hatte, der dem Haus tatsächlich über viele Jahre eng verbunden war: Als Herausgeber der Märkischen Allgemeinen, einem Blatt des FAZ-Konzerns, als Gastautor und Edelfeder. Also einer der alten Recken, der für Altenbockums so benannten „Wildwuchs und Verletzung zivilisatorischer Maßstäbe“ steht, wie viele Kritiker der FAZ vorwerfen. In den sozialen Medien tobt seither das, was man einen Shitstorm nennt, über diese „Nazizeitung“, gern wird auch „Alte weiße Zeitung“ genommen.

Das ist also nach hinten losgegangen. Oder liege ich falsch? Muss es jetzt möglichst schnell kommen, das Hass- und Hetze-Gesetz der Bundesregierung, damit Gauland unbeschadet zukünftig wieder auf FAZ-Partys das Glas heben kann und sich niemand darüber beschwert? Oder wird er dann nicht mehr eingeladen, schließlich stört doch der Oppositionsführer genau so wie Twitter die Ruhe der halbamtlichen Medien? Dabei wäre es so einfach: Freiheit ist unteilbar. Man verteidigt sie nach allen Seiten. Dafür stand die FAZ vor Titanic. Und dafür wird sie noch gelesen.

Meinungsfreiheit und steigende Auflage bei der ZEIT

Alte Blätter haben es halt manchmal schwer mit der neuen Zeit, das gilt natürlich auch für DIE ZEIT. Sie hat zu einem Kongress über Meinungsfreiheit in die Paulskirche eingeladen. Wer meinte, am Ort des ersten freigewählten deutschen Parlaments würde DIE ZEIT eine Feder schwingen für die Meinungsfreiheit, der hat sich getäuscht gesehen. Meinungsfrei ist, wer die Meinung der ZEIT teilt. Alle anderen sind „Neu-rechts“ und damit der gesellschaftlichen Ächtung ausgeliefert; selbstverständlich auch der Verfasser dieser Zeilen. Da freue ich mich, dass mir die ZEIT trotzdem ein Geschenk verabreicht hat. 12 Monate darf ich sie kostenlos lesen, per e-paper und was es sonst noch an journalistischem Tingeltangel aus Hamburg da gibt. Kostet mich keinen Cent, läuft nach einem Jahr garantiert ohne eigene Kündigung aus. Jetzt weiß ich wenigstens, wie das geht mit der Auflagensteigerung, für die DIE ZEIT sich loben läßt: »Deutlich zulegen konnte hingegen “Die Zeit”: Sie gewann extrem starke 3,7% hinzu. Zwar ging es auch hier wie bei “SZ” und “Handelsblatt” bei den ePaper-Abos nach oben – um deutliche 20.247 Exemplare«, schreibt der Branchendienst meedia. So also geht das in die Zukunft – mit Verengung des Meinungskorridors auf die eigene und Gratis-eAbos; vielen Dank und Glück auf für die wirtschaftliche Zukunft mit immer weiter wachsenden Gratis-Abos, alte, aber nicht mehr gute Tante ZEIT.

Aber nun haken wir uns unter im Nazi-Notstand, stoßen mit Alexander Gauland und dem armen Jasper von Altenbockum auf der nächsten FAZ-Party an; wenn uns der Hass des Deutschlandfunks auch verfolgt bis in den Kindergarten, statt den Päderasten an die Wäsche zu gehen, die dort Zugang erhalten. Eine anstrengende Woche neigt sich ihrem Ende entgegen. Da kommt die Meldung, dass Russland zukünftig das Internet kontrollieren will, denn Hass und Hetze sind eine Sache, die rund um den Globus rauscht auf ihrem verheerenden Vernichtungszug. Aber halt. Die Bundesregierung mahnt Wladimir Putin, Gerhard Schröders Muster-Demokraten:
Er möge bitteschön, „die Informations- und Meinungsfreiheit achten.“

Es ist wirklich eine sehr schwere Zeit für Spaßmacher, Spötter und Kabarettisten, wenn die Wirklichkeit und DIE ZEIT die allerlustigsten Sachen schreiben und selbst die FAZ beginnt, spaßfreie Witzchen wie Titanic zu machen – und es noch nicht einmal merkt. Das kann man alles nicht erfinden. Auch, wenn uns das Lachen im Hals stecken bleibt. Nach dem von den Nazis vertriebenen Nobelpreisträger Otto Stern wurde in Hamburg ein Hörsaal benannt. Jetzt müssen Polizei-Hundertschaften die Freiheit der Lehre in genau diesem Hörsaal schützen. Es sind die geist- wie erinnerungslosen Studenten der rotgrünen Abteilung, die ihre Dummheit demonstrieren. Natürlich gelten für diese Gruppe eigene Regeln, übergesetzliche. Und vergessen Sie nicht: Rufen Sie beim Hinweis-Telefon des Bundesamts für Verfassungsschutz an, wenn Ihr Nachbar eine Glatze hat oder eine Lederjacke trägt. Das Bundesverdienstkreuz wartet. Sie müssen nur lernen, die „Richtigen“ zu hassen, oder war das jetzt anders gemeint?

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