Bettler im Bellevue

Der Fall Wulff zeigt, was passiert, wenn klare Grenzen zwischen Staat und Unternehmen, Politik und Geld verwischen.

So wie der sprichwörtliche Elefant den Porzellanladen zerdeppert, gefährdet ein tapsiger Wulff das Schloss Bellevue: Manche empfinden schon Mitleid mit dem Gejagten, der mit verschwurbelten Aussagen haarscharf an Wahrheit wie Lüge gleichermaßen vorbeizielt und mit jeder Entschuldigung neue Verdächtigungen auslöst.

Bundespräsident Christian Wulff schlingert ohne eigenes Maß entlang der schwammigen Grauzone zwischen legitimer Interessenvertretung und problematischer Einflussnahme. Seit Jahrzehnten sind die Sommerfeste der Bundespräsidenten wahre Orgien des Sponsorings; Leistungsschauen deutscher Winzer, Bierbrauer, Würstchenfabrikanten und Autobauer. Jeder Besucher erhält einen Regenschirm geschenkt. Darf man auch der Präsidentengattin ein Kleidchen spenden, am liebsten mit Logo, logischerweise? Schließlich laufen ja auch Filmdiven Reklame für Haute Couture und steigen Prominente und Politiker aus gesponserten Edelkarossen. Der eine fährt billig, der andere drängelt billig sein Produkt auf die Bildschirme. Das heißt auf Neusprech Win-win-Situation. Oder zahlt vielleicht doch ein Dritter drauf? Häufig sind es die Farben staatsnaher Unternehmen wie der Telekom, die man bei solcherart Veranstaltung sieht; lange haben so Glücksspielindustrie und Zigarettenlobby gegen ihre öffentliche Ächtung gekämpft. Auch stark regulierte und daher vom Gesetzgeber besonders abhängige Branchen wie Pharma und Gesundheit sind auffällig. So werden die Grenzen verwischt: Wenn der Bundespräsident als oberster Repräsentant unseres Volkes sein Sommerfest von Sponsoren finanzieren lässt – warum nicht auch Bundesländer, Städte und Gemeinden? Dort springen die Stadtwerke, die regionalen Winzerverbände und die Ortsgrößen der Wirtschaft für etwas ein, wofür der Staat nur noch wenig Geld und noch weniger Mut hat: für Repräsentation und Selbstdarstellung. Wenn die Landesvertretungen den immer selben Gratis-Essern in Berlin zu ihrem Parcours der Eitelkeit verhelfen oder die Bundesländer den Tag der Deutschen Einheit begehen: Warum zahlen sie nicht selbst? Warum betteln unsere obersten Repräsentanten wie der Kassier des Schützenvereins beim Getränkegroßhändler um Freibier? Sie glauben, es zu müssen – weil wir eine Neidgesellschaft sind. Denn würde das Sommerfest im Schloss Bellevue auf Steuerzahlerkosten ausgerichtet, dann aber hallo! Die Schlagzeilen würde kein Gewählter überleben, in Berlin nicht und auch nicht in Kleinkleckersdorf. Am Nationalfeiertag in Frankreich marschiert die Truppe im Gleichschritt hinter dem Präsidenten, und oben fauchen die Kampfflieger; in Deutschland müsste, wenn wir uns überhaupt so etwas trauen würden, der Phantomjäger “Badische Versicherungskammer” per Kondensstreifen an den Himmel schreiben – Sponsoring eben. Maßstab des Politischen ist heute der Hartz-IV-Empfänger: Irgendeiner rechnet immer aus, wie viel denen da unten durch die da oben gerade wieder verloren geht. Die Parteien haben die genauestens kontrollierten Parteispenden durch ungenau dargestelltes Sponsoring ersetzt; beim Parteitag lässt sich der Parteivorsitzende, der zufällig auch Ministerpräsident oder sonst was Hohes ist, gerne zu einem Plausch am teuren Stand herab mit offenen Ohren für großzügige Ohrenbläser.

Seit der Affäre Wulff ist das vertraute Geben und gerne Nehmen in schiere Angst gekippt: Jetzt bleiben die Promi-Logen der Unternehmen bei Bundesligaspielen frei, kein Politiker traut sich mehr zum Firmenjubiläum. Oper und Uni bangen um die großzügige Dotation: Neuerdings deuten alle mit dem Finger auf alle, am liebsten in investigativen Enthüllungsorganen. Seit Wulff gilt als kriminell, was vorher als “Social Corporate Responsibility” oder “Good Corporate Citizenship” hochgelobt wurde. Aus der Grauzone wird eine Glaubwürdigkeitsfalle, und die Bürger reagieren genervt.

Wir sind ein Land, in dem keiner mehr weiß, was sich gehört. Und wir sind gründlich. Jetzt zählen wir Wulffs Hosenknöpfe und geben wie er den reuigen Schlawiner, denn wichtig ist jetzt eins: sich nur nicht erwischen lassen.

(Erschienen auf Wiwo.de am 11.02.2012)

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