Berlin ist Dortmund

Die Stadt Dortmund hat traurige Berühmtheit durch ihren Oberbürgermeister erlangt, der am frühen Morgen nach der Kommunalwahl zugeben musste, dass in der Stadtkasse 100 Millionen Euro fehlen – eine krasse Wählertäuschung. Am Morgen nach der Bundestagswahl ist ganz Deutschland ein einziges großes Dortmund: Auch in Berlin wird die neue Koalition nach einem Kassensturz schnell einräumen müssen, dass der deutsche Steuer- und Sozialstaat am Ende ist. 

Das 100-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt 2010 ist nur eines von vielen. Die Bundesagentur für Arbeit ist klamm, die gesetzliche Krankenversicherung nur dank eines Zwölf-Milliarden-Zuschusses aus dem Bundeshaushalt flüssig, die Rentenversicherung längst eine Enteignungseinrichtung für alle, die heute jünger als 40 Jahre sind: Während im Wahlkampf heutigen Rentnern noch schnell die Rentenhöhe garantiert wurde, gehen den aktiven Beitragszahlern rund sechs Prozent ihrer Altersbezüge verloren.

So wie die Rentenversicherung bis zum äußerst Erträglichen ausgereizt wurde, hat die Regierung Merkel/Steinmeier vorher schon das Steuersystem strapaziert. Es ist pervers, wenn heute gut verdienende Facharbeiter mit einem Grenzsteuersatz abkassiert werden – als wären sie Millionäre. Der private Konsum leidet immer noch unter der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Steuererhöhung für Reiche? Viel Vergnügen, so viele Reiche können rot-rote Politiker gar nicht für das Steuerrecht erfinden, wie Deutschland für den Schuldenabbau braucht. Längst weicht der Staat auf verdeckte Steuern aus, um sich zu finanzieren – mit Energiesteuern, Rundfunkabgaben, Solar- und Windradhilfen, mit überhöhten Gebühren für jeden Handschlag beim Amt, für jeden Liter Frisch- oder Abwasser und für jede Mülltonne – die Liste wird immer länger.

Kürzen auf der Ausgabenseite? Beim öffentlichen Dienst, bei Pensionären, Rentnern und Krankenversicherten? Auch davon war vor dem Wahltag aus gutem Grund nicht die Rede.

Nun sind die Deutschen ja ein geduldiges Volk mit großer Leidensfähigkeit, was die Drangsalierung durch die Obrigkeit betrifft. Wirkliche Steuersenkungen erwartet kaum einer. Aber die Verbitterung wächst, dass der Staat seine Grundfunktionen nicht mehr erfüllt: sichere S-Bahnen für die, die abends noch nach Hause müssen; Schulen, die Wissen und Chancen für morgen vermitteln.

Mehr Sicherheit, bessere Schule

Und es ist auch nicht so, dass die Deutschen hartherzig gegenüber jenen wären, die zu wenig zum Leben verdienen oder von staatlichen Hilfen abhängig sind – über 40 Prozent unseres Haushalts läuft unter der Überschrift soziale Leistungen. Aber es wächst das Gefühl, dass die Mitte ausgequetscht wird und die ganze Schufterei und Zahlerei zu keinem guten Ende führt. Mit Sparen hier, neuen Abgaben für alle und Steuererhöhungen dort, also mit dem Instrumentarium des Umverteilungsstaates, sind diese Herausforderungen nicht zu bewältigen.

Deutschland braucht eine mutige Politik des Wachstums. Die Finanzkrise, auch mit dieser Illusion muss aufgeräumt werden, hat die langfristigen Probleme nicht verursacht, sondern ihr Aufbrechen nur um etwa zehn Jahre vorverlegt. Die allmähliche Überalterung der Bevölkerung, die Verfestigung von Arbeitslosigkeit und dauerhafter Armut in vielen Städten und Regionen, die Schwäche bei Innovationen und der Verlust von Zukunftsmärkten – das ist kein böser Streich der Boni-Bankern. Unsere Gesellschaft brennt auch, auch wegen der kurzfristigen Wohlfühlpolitik. Im Wahlkampf ist über all das nicht geredet worden.

Koalitionsvereinbarung und Regierungsbildung aber werden schon in den nächsten Tagen und Wochen zeigen, ob die neue Regierung den Mut zum Neuanfang hat.

(Erschienen am 26.09.2009 auf Wiwo.de)

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