Avanti Dilettanti

Unglaublich, aber wahr: Die neue Koalition hat schon abgewirtschaftet, noch ehe sie richtig angetreten ist.

Avanti Dilettanti, vorwärts ihr Stümper, so lautet das Programm eines Berliner Kabaretts. Die Wirklichkeit überholt die Spötter: Die große Koalition ist noch nicht im Amt und schon eine Lachnummer. Das Kabarett muss die Rolle der Opposition spielen, weil die links-grüne, ideologisch neosozialistische Opposition zur ebenfalls linkspopulistischen Regierung keine Alternative ist und bürgerliche Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten.

In einer übermütigen Stimmungsmelange aus Kindergeburtstag und Wünsch-dir-Was fordern die über 300 beteiligten Koalitionspolitiker Wahlgeschenke im Wert von fast 50 Milliarden Euro. Für die Finanzierung reichen nicht mal historische Rekordsteuereinnahmen. Abbau der Schulden, nachhaltige Finanzierung? Papperlapapp.
Zur Bedrohung werden die versprochenen Rentenerhöhungen. Sie werden fällig, wenn die dann wenigen Beitragszahler ohnehin schon mit bestehenden Ansprüchen überfordert sind. Um ihnen noch mehr auf das Noch-Mehr draufzupacken, will SPD-Chef Sigmar Gabriel das Renteneintrittsalter von 67 auf 63 Jahre vorverlegen. Wie mit nur 30 Beitragsjahren 30 und mehr Rentenjahre finanziert werden sollen, weiß nur der größte lebende deutsche Rentenmathematiker Gabriel ganz alleine.

Wie in einem Rausch werden alle, aber auch alle Reformen der Agenda 2010 kassiert, mit denen die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren so dramatisch und wirkungsvoll halbiert werde konnte. Insbesondere SPD-Politiker räumen die Erfolge der Regierung Schröder ab, als sei die eine feindselige Besatzungsmacht gewesen, von der man sich jetzt befreien kann. Es ist aber nur ein einziger riesiger Sozialschwindel: Leistungen werden versprochen, die die Lage der Schwächsten, der Minderqualifizierten und Arbeitslosen verschlechtern. Der Arbeitsmarkt wird wieder verriegelt, Junge ausgegrenzt. Das Beispiel Frankreichs das eben diese Reformen nicht bewältigte und mit dramatischer Überschuldung und 26 Prozent Jugendarbeitslosigkeit gepeinigt ist, scheint Vorbild zu sein. Alle wollen dahin, wo der traurige französische Präsidentendarsteller François Hollande bereits steht: inmitten der rauchenden Ruinen seines Linkspopulismus.
Notwendige Reformen fehlen. Die irrwitzige Förderung grüner Teuerenergie treibt die Industrie aus dem Land – aber der Mut zur Veränderung fehlt. Nachhaltige Sicherung von Renten und Sozialleistungen? Fehlanzeige.
Manche vermuten hinter dem Koalitionspalaver den Versuch, die Belastungsgrenze der Unternehmen, insbesondere des von den Linken so verhassten Mittelstandes, zu testen. Die Summe der Maßnahmen liest sich eher wie ein Angriff gegen das eigene Volk.
Oder ist es ein Masterplan von Angela Merkel? So absurd sind die Koalitionsverhandlungen, dass sie sich selbst entwerten. Die Konturen einer Art neuen Präsidialsystems werden schärfer, in dem ein starker Kanzler gegen die Wirrköpfe in den Parteien regiert. Dazu passt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sich endgültig und freiwillig zu parlamentarischen Pfötchenhebern haben entmachten lassen: Sie dürfen nur noch absegnen, wozu sich im Koalitionsvertrag die Parteien selbst ermächtigt haben und was von den SPD-Mitgliedern stellvertretend für das gesamte deutsche Volk für richtig befunden wurde. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde das Parlament so verächtlich behandelt. Vor diesem Hintergrund warten manche auf einen Befreiungsschlag, der das Land aus den Wirren der wild gewordenen koalitionären Räterepublik befreit, und wenn es ein Triumvirat aus Merkel, Gabriel und Seehofer ist, das das Machbare, Sinnvolle, Notwendige und Bezahlbare zusammenfügt.
Aber das wird schwer sein. Ansprüche sind geweckt, Erwartungen schießen ins Kraut. Regieren lässt sich mit diesem Verhau nicht. Es wird nicht ohne Neuwahlen, wie auch immer, machbar sein. Es ist nicht Dilettantismus, sondern Machtpolitik pur.

(Erschienen auf Wiwo.de am 09.11.2013)

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