Macht ohne Wille

Mutlos, perspektivlos: Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument vorweggenommenen Scheiterns auf dem Weg in eine Wünsch-Wirtschaft.

Es weihnachtet früh in Berlin. Die Politiker der großen Koalition wünschen sich viel. Seitenlang listen sie in ihrem Koalitionsvertrag auf, wie die Unqualifizierten, Unvermittelbaren und Unwilligen fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden sollen – um ein paar Seiten weiter den Arbeitsmarkt wieder so zu blockieren, dass genau diese Problemgruppen garantiert keinen Arbeitsplatz mehr erhalten können. In der großen Koalition regiert nicht der Wille, das Machbare so zu gestalten, dass es zum Ziel führt, sondern das Wünschen an und für sich. Sie wünschen sich Arbeitsplätze herbei, doch im gesamten 185-Seiten-Papier findet sich keine einzige Idee, wie diese Wunsch-Arbeitsplätze entstehen könnten – aber für die Unternehmen hunderterlei Belastungen und Schikanen, die Arbeitsplätze vernichten.

Wenn dann die Wirklichkeit sich nicht an die Vorgaben der politischen Wünsch-Wirtschaft halten sollte, ist das eben ein Problem der Wirklichkeit, meinen die Koalitionäre. So werden die paar Überschüsse der Rentenversicherung sofort für die Rente mit 63 Jahren und Mütterenten verschustert und zukünftige Beitragszahler ausgeplündert. Zukünftige Gesetze sollen einem Demografie-Check unterworfen werden – diese Koalition scheitert schon an den selbst formulierten Zielen. Das ganze Land wird mit noch mehr Bürokratie überzogen, und gleichzeitig wird Bürokratieabbau versprochen. Da wird gleichzeitig umweltfreundliche, sichere und bezahlbare Energie gefordert. Aber die verheerenden Folgen der erneuerbaren Subventionsenergien werden mit mehr Subventionen für Kohlekraftwerke bekämpft, was gleichermaßen Klima wie Geldbeutel belasten wird. Willkommen in der Wünsch-Wirtschaft.

Weil sich jeder etwas wünschen darf, wurde die Barrierefreiheit auf Bahnhöfen ebenso Regierungsprogramm wie die Förderung der Erforschung der Frauenbewegung in der DDR, das Verbot des in Deutschland so häufig aufgetischten Walfleisches, der Warnhinweis beim Dispokredit und mehr Platz für Hund, Katz und Wellensittich im Tierheim. Das ist ja alles gut und schön, aber unter Regieren, unter Zukunftsgestaltung hat man sich irgendwie mehr vorgestellt als ein Bienenmonitoring auf Bundesebene. Zu den großen Fragen dagegen bietet der Koalitionsvertrag nur dröhnendes Schweigen: Wie geht es denn nun weiter mit einem Europa, dessen Süden implodiert, in dem Großbritannien desertiert, Frankreich sich selbst so stranguliert, wie sich Deutschland mittels Koalitionsvertrag wirtschaftlich kastriert. Während die gesetzliche Rente ruiniert wird, fehlt jede Idee, wie denn die Zerstörung der privaten Altersversorgung durch die ruinöse Niedrigzinspolitik verhindert werden könnte. Aber dafür soll die Bahn pünktlicher fahren, steht da. Vermutlich hat der begnadete Modelleisenbahner Horst Seehofer Wissen aus dem Hobbykeller auf die Welt übertragen.

Der Schuldenabbau wird herbeigewünscht, aber mit monströsen Mehrausgaben verunmöglicht und sicherheitshalber auch als Ziel gleich wieder dementiert: So kann wirklich nach den Buchstaben nichts schiefgehen, und doch ist alles nichts.

So ein Sammelsurium unwichtiger Details, grotesker Widersprüche und beängstigender Leerstellen kommt zustande, wenn die widersprüchlichen Wünsche sich abgrundtief misstrauender Parteien zu einem politischen Gulasch verkocht werden. Die Union führte einen Wahlkampf ohne Inhalt und Gestaltungswille; dranbleiben ist alles. So war sie in den Verhandlungen der willfährige Partner einer SPD, die sich als gesamtgesellschaftlicher Betriebsrat versteht, der den Veggieday in der Kantine als Beitrag zum Weltklima feiert. Die große Koalition hat Macht, aber keinen Willen.

Das Beste an dem Vertrag ist, dass er keiner ist, sondern nur eine Absichtserklärung. So werden sie uns mehr schulmeistern als regieren und hoffen, dass keine Störung der guten Wirtschaftslage ihre Wünsch-Wirtschaft stört. Wenn nicht, wird die Wünsch-Wirtschaft ein Problem kriegen, nicht die Wirklichkeit.

(Erschienen auf Wiwo.de am 30.11.2013)

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