Wie jeden Tag eine neue Sprachsau durchs Dorf getrieben wird

Das „Postfaktische“ hat es bekanntlich zum Wort des Jahres gebracht. Was bedeutet es? Fakt ist, die Kanzlerin hat das „Postfaktische“ als Begriff durch demonstrativen Gebrauch geadelt. Das steht so in Spiegel und Zeit und entspricht demnach der Wahrheit.

Postfaktisch gesehen hat die Flüchtlingslawine 9/15 dem Land der Dichter und Denker auch sprachlich eine quantitative Bereicherung gebracht. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht immer neue Vokabeln, Redewendungen, Wortschöpfungen wie aus fernen Ländern am Strand der deutschen Sprache landen. Meist im Gewande von Anglizismen, Fremd- und Lehnwörtern und zuverlässig ins Bewusstsein der Menschen geschleust vom Beifallschor der Qualitätsmedien. Fakt ist, dass sich die Mehrheit derjenigen, die schon länger hier leben, mit der Diversity im Allgemeinen und im Gefolge mit der fast inflationären Wort-Vielfalt im Speziellen überfordert fühlen.

Dem kann abgeholfen werden, schlagen CDU-Granden deshalb vor, indem man der wissensarmen Bevölkerung nämlich die Faktenlage nur mit Klartext erklären müsse. Dessen ungeachtet haut unsere Kanzlerin immer wieder neue Begrifflichkeiten und sprachliche Wendungen raus, für die man eigentlich einen Duden bräuchte. Das „Postfaktische“ hat es jetzt bekanntlich zum Wort des Jahres gebracht. Was bedeutet nun postfaktisch? Man kann es so erklären: Fakt ist zweifellos, dass die Kanzlerin das „Postfaktische“ als Begriff durch demonstrativen Gebrauch geadelt hat. Das steht so in Spiegel und Zeit und entspricht demnach der Wahrheit.

Postfaktisch ist dagegen das Gefühl, dass sich die Kanzlerin dabei etwas gedacht hat und gezielt in den Raum stellte. Hier kommen wir aber dem Hatespeech gefährlich nahe, einem Wort, das wohl nur Bundesjustizminister Heiko Maas und Sprachstasi Anetta Kahane ohne Sprühverlust über die Lippen bringen. Postfaktisch gesehen.

Jedenfalls fällt Dreierlei auf:

  1. Die neuen Begriffe transportieren Botschaften, produzieren Schlagzeilen und zwingen dazu, sich damit zu beschäftigen. Manche Medien stürzen sich begierig darauf wie Fliegen aufs Mett, hätscheln es wie Neugeborenes und schreiben es in den Himmel. Nur die Begriffsstutzigen und Sprach-Hinterwäldler, meist auch noch als unverbesserlich rechts eingestuften Bürger, verstehen nur noch Bahnhof. Die müssen erstmal im Duden oder bei Facebook nachschlagen und sind für eine Weile beschäftigt, in der sie ihr freches Maul halten. Die intellektuelle Elite dagegen hat den Wortfremdlingen längst „Refugees welcome“ zugerufen und versteht den sprachlichen Geheimcode. Denn, Achtung:
  2. Der Neusprech ist meistens mit etwas Bösem, Verachtenswertem, Dummem verbunden. Zum Beispiel: kein Gutmensch lässt sich vom Postfaktischen treiben, ihm ist Hatespeech ein Graus. Nur die Bösen und Dummen lassen sich davon vereinnahmen.

Und 3.: Die gepimpten Sprachhülsen sind fast sämtlich political-correctness-affin. Das heißt, sie kommen recht neutral daher, gehen fast schon transgenderhaft über die Lippen, sie beleidigen fürs Erste niemanden, bis endlich denen, für die sie gedacht sind, die Bedeutung und Zuordnung dämmert. Begriffe wie Populisten, Rassisten  gehören dazu. Ihre Aura sollte man meiden wie schlechten Atem, suggeriert die Botschaft, wenn man nicht unbedingt sadomaso und aussätzig  sein will.

Diesem Mechanismus folgend beliebt es manchem Politiker , eifrig assistiert von Medien,  ständig eine neue Sprachsau durch Dorf zu treiben. Wir gleiten jetzt aber ins Narrative ab, auch so einem Wort, das selbst manch Altlateiner unter den weißen alten Männern erstmal bei Wiki ergooglen musste.

Also besser schnell zurück zu den Fakten. Der Flüchtlings-Neusprech fördert nicht gerade den deutschen Sprachgebrauch. Die Inflation der Worte führt eher zur Sprachverschlechterung und ist – der Schlenker sei gestattet – auf Dauer z.B. nicht gut für das Bundeskriminalamt, das aktuell drohenden Nachwuchsmangel befürchtet, weil die BewerberInnen Probleme mit der deutschen Sprache hätten. Wen wundert es da, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Einstellungsanforderungen wohl soweit abgesenkt haben muss, dass selbst ein zeitweiliger Pornodarsteller Gelegenheit bekam, gefährliche  Islamisten zu beobachten und sich als Spion zu betätigen. Mal sehen, wie das Land, in dem wir schon länger leben, im 2016er Pisa-Bericht abschneidet.

Kraft durch Schönrechnen
Hannelore on top
Manchmal benutzen Politiker auch gern eine verkürzte Fremd-Sprache, wenn sie die finanziellen Auswirkungen der schönen heilen Flüchtlingswelt auf dem Bierdeckel darstellen wollen. So spricht Hannelore Kraft von „on top“, wenn sie uns mitteilen will, dass die F-Kosten für die nächsten zwei Jahre zwar über 50 Milliarden ausmachen, aber selbstverständlich deswegen Rentnern, Kleinverdienern, Wohnungssuchenden, Kinderreichen, Krankenversicherten u.v.m. nichts, aber auch gar nichts weggenommen wird. Dabei hat sich die Regierung doch kürzlich erst aus einer Krankenkassenrücklage zur Deckung für die Krankheitskosten der Flüchtlinge bedient. Auch so kann man postfaktisch die schwarze Null retten. Man sieht daran schön, dass die Anti-Postfaktiker bisweilen selbst dem Postfaktischen zu erliegen scheinen.

Überhaupt scheint unsere Kanzlerin oft selbst die „Mutter alles Postfaktischen“ zu sein, wenn sie z.B. früher von „Flüchtlingen“ sprach und Zahlen damit verband. Mit Fakten hatte das nichts zu tun, denn faktisch waren die wenigsten der Genannten „Flüchtlinge“ im Sinne gesetzlicher Definition und Menschenrechtsvereinbarungen. Diese Widersprüchlichkeit scheint auch Berlin erkannt zu haben. So verwundert es nicht, wenn neuerdings Flüchtlinge in „Menschen, die noch nicht so lange hier leben“  gegendert werden und sprachliche Wendungen, die sich überholt und/oder gelitten haben, durch Nichtgebrauch wieder in der Versenkung verschwinden: Die Mantras „Wir schaffen das“, „Willkommenskultur“, „keine Obergrenze“ erleiden zunehmend dieses Schicksal. Auch die „Deutschen“ gehören offensichtlich dazu: unter diese Spezies fallen seit kurzem „alle diejenigen, die schon länger hier leben“. Wie schrieb Sarrazin? „Deutschland schafft sich ab“.

Manche Worte rund um den Flüchtlingssprech haben es schon so weit in den Alltags-Sprachschatz geschafft, dass sie im deutschen Wohnzimmer durch inflationären Gebrauch kein Erregungspotenzial mehr auslösen: Dublin in Variationen, Integration, Schengenraum, subsidiärer Schutz, Türkei-Deal, Hotspot, Transitzone, Globalisierung, social media, Fake, Facebook, Fakebook als Unterfall  gehören z.B dazu und als neuestes Fake News (Aufzählung ohne Anspruch auf Vollzähligkeit). Und so wird es wohl nichts mit dem Versprechen der Politik, die Flüchtlingskrise noch besser erklären zu wollen. Hierfür hält der deutsche Sprachschatz immerhin ca. 5,3 Millionen Wörter parat, mehr als wohl im Duden stehen. Goethe und Schiller hat es immerhin für ihre Werke gereicht. Offensichtlich aber für Spitzenpolitiker noch zu wenig.

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