Flüchtlinge: Wie umgehen mit psychischen Erkrankungen?

Welche Rolle spielen psychische Erkrankungen bei Selbstmordattentätern und Amok-Läufern? Und wie geht man damit um? Die Hoffnung, dass Flüchtlinge leicht zu integrierende Fachkräfte werden könnten, wird buchstäblich in die Luft gesprengt. Mimoun Azizi, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie plädiert für frühzeitiges Handeln.

© Sean Gallup/Getty Images

Die Anzahl der religiös motivierten Anschläge bzw. Selbstmordanschläge in Europa insbesondere in Deutschland und Frankreich haben deutlich zugenommen. Hierfür gibt es verschieden Erklärungen.

Ursache Krankheit?

Eine der Hauptursachen scheinen psychische Erkrankungen zu sein.

Der Attentäter in München wird als ein Mensch beschrieben, der zurückgezogen lebte. Sich isolierte und offensichtlich mindestens an  einer schwerer Depression litt. Es bleibt spekulativ, ob es sich dabei um eine wahnhafte Depression handelt oder gar womöglich um eine Psychose. Auch der Attentäter von Nizza schien psychisch angeschlagen zu sein. In Reutlingen wird die Tat des Mörders als „Beziehungskrise“ kleingeredet. Das aber ist höchst fraglich. Ähnliche Begriffe werden auch für den Rucksack-Bomber aus Ansbach gestreut und begierig aufgegriffen. Dies soll nicht als Rechtfertigung dienen, sondern als Hinweis verstanden werden. Denn die Folgerungen sind höchst problematisch: Wenn Deutschland in großer Zahl Menschen mit schwersten psychischen Erkrankungen aufgenommen hat, diese Menschen nicht einmal identifiziert, geschweige denn behandelt, dann war diese Serie von Morden nur der Anfang. Bei 2 Millionen Migranten im vergangenen Jahr ist dies ein gewaltiges Bedrohungspotential, wenn nur wenige Prozent so massiv betroffen sind.

In der Versorgung von Flüchtlingen stelle ich fest, dass sehr viele dieser Menschen an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.

Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Erkrankung, die nach schweren, katastrophalen Belastungssituationen wie Kriegen auftritt und durch ein ständiges Wiedererinnern und Wiedererleben des Traumas ein phobisches Vermeidungsverhalten, Abflachung der allgemeinen Reagibilität, Anhedonie und psychophysiologische Übererregbarkeit hervorruft. (Vgl. Repetitorium Psychiatrie; M.Azizi; S. 464).

Die Symptome und religiöser Wahn

Die Erkrankung manifestiert sich in der Regel einige Wochen bis Monate nach dem traumatischen Ereignis. Zu den wichtigsten Symptomen gehören u.a. Schlafstörungen, Reizbarkeit und Wutausbrüche, Konzentrationsstörungen, erhöhte Vigilanz, Schreckhaftigkeit, gestörte Affektregulation, Impulskontrollverlust, gestörte Wahrnehmung und durchaus auch andauernde Persönlichkeitsänderung. Im Rahmen der gestörten Wahrnehmung kann es zur Idealisierung und Identifizierung mit dem Täter oder der Täterin kommen. Diese Erkrankung kann auch dazu führen, dass der Betroffene seine Umwelt generell als feindlich ansieht.

Zudem leiden viele Flüchtlinge an Depressionen einhergehend mit Suizidgedanken, häufig im Rahmen der posttraumatischen Belastungsstörung.

Andere Flüchtlinge leiden an Schizophrenien, anhaltend wahnhaften Störungen sowie nicht selten an schizoaffektiven Störungen und an vorübergehenden akuten psychotischen Störungen. Im Rahmen von psychotischen Störungen kommt es meistens vor, dass die Betroffenen Wahnvorstellungen haben wie Verfolgungswahn und Beobachtungswahn. Nicht selten verbarrikadieren sich diese Patienten, um sich vor den Verfolgern zu schützen. Manche der Betroffenen fühlen sich so in die Enge getrieben, dass sie lediglich im Suizid einen Ausweg sehen. Andere wiederum können im Rahmen dieser wahnhaften Störung einen religiösen Wahn entwickeln, der sich gegen eine ganz bestimmte Religion bzw. Anhänger dieser Religion richtet. Dieser Wahnvorstellung kann fatale Folgen haben, wenn sie unerkannt und damit unbehandelt bleibt. Der populäre Begriff „Radikalisierung“ oder sogar „Schellradikalisierung“ hat, wenn überhaupt hier seine Berechtigung: Der religiöse Wahn tritt in den Vordergrund und wird durch die gebieterische Kraft der vermeintlichen Religion befeuert.

Zu der psychotischen Symptomatik gehören auch optische und akustische Halluzinationen. Insbesondere die akustischen Halluzinationen können gefährliche Aussmaße annehmen. Nicht selten hören diese Menschen imperative stimmen, die ihnen befehlen andere Menschen zu verletzten oder gar zu töten und/oder sich selbst zu töten.

Ich gebe hier zu bedenken, dass es mir nicht darum geht, Angriffe oder gar Anschläge zu rechtfertigen oder gar zu verharmlosen. Mir geht es in erster Linie darum, klar zu machen, dass Menschen, die unter psychotischen Symptomen leiden, nicht selten zur Eigen- und/oder Fremdgefärdung neigen – und dass es angesichts der großen Zahl keine Einzelfälle sind. Deutschland hat nicht fehlende Fachkräfte ins Land gelassen, sondern vielfach Kranke.

Manipulationsmöglichkeiten in großem Ausmaß

Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass psychisch instabile Menschen auch leichter zu beeinflussen und zu manipulieren sind. Hier treffen sich zwei Strömungen: Der krankheitsbedingte religiöse Wahn mit dem massiven Versuch, diese Menschen gegen ihr Gastland zu instrumentalisieren. Die Folge der Flucht ist oft Isolation, Aussichtslosigkeit und Einsamkeit, die sich im religiösen Wahn bündelt, der dann von den Manipulieren verstärkt und instrumentalisiert wird. Hier droht die Gefahr einer Fernsteuerung von Menschen, die dabei sind, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren und sich den Wahnwelten des IS zuwenden – der sie benutzt.

Es liegt mir fern, psychisch erkrankte Menschen zu stigmatisieren.

Meine Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass insbesondere bei den Flüchtlingen aufgrund der Sprachbarriere viele dieser Erkrankungen nicht erkannt und folglich auch nicht rechtzeitig behandelt werden.

Eine intensive psychiatrische Untersuchungen der Flüchtlinge ist dringend zu empfehlen. Dies nicht nur aus Angst oder aus Vorurteilen, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass die meisten dieser Flüchtlinge wahre Dramen erlebt haben. Eine Früherkennung dieser Erkrankungen ist im Sinne aller. Die Erkrankungen werden daran gehindert, sich zu chronifizieren. Damit ist hier den Betroffenen sehr geholfen. Sekundär profitiert die gesamte deutsche Gesellschaft davon, wenn die Betroffenen rechtzeitig behandelt werden, denn so können mögliche psychische Krisen einhergehend mit Eigen-und Fremdgefährdung verhindert werden. Damit können durchaus Amokläufe oder andere Katastrophen minimiert werden.

Daher plädiere ich für ein Screening auf schwere psychische Erkrankungen in den Flüchtlingsheimen und ähnlichen Aufnahmelagern. Dieses Screening kann in Form eines ausführlichen Gespräches erfolgen. Hierzu benötigen wir ausreichend Psychiaterinnen, Psychologinnen und natürlich ausreichend Dolmetscherinnen. Sie alle müssen über das Medizinische hinaus über die Kultur Bescheid wissen, aus der die Patienten kommen. Eine Lösung sind Kooperationsverträge der Verantwortlichen der jeweiligen Flüchtlingsheime mit entsprechenden Krankenhäusern.

Aber es bleibt eine schwierige und vor allem auch extrem teure Aufgabe. Mit einigen Teddybären ist diesen Menschen nicht zu helfen. Auch mehr Polizisten können des Problems nicht Herr werden, weil die menschlichen Zeitbomben an unvorhersehbaren Orten und Zeiten explodieren. Die Bundesregierung hat mit ihrer Grenzöffnung und Asylpolitik Verantwortung auf sich geladen. Sie muss jetzt Wege finden, um die Bevölkerung vor den Folgen ihres Handelns zu schützen. Noch einmal: Krankheit und Flucht sind bedauernswerte Schicksale. Aber wir dürfen die Sachverhalte nicht durch eine romantisierte Sicht schönreden, sondern müssen uns der brutalen Wirklichkeit stellen und damit umgehen. Es wiederholt sich der Satz, dass wir Arbeitskräfte geglaubt haben zu bekommen – und haben Menschen mit ihren Stärken und Schwächen gerufen.

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