Dunja Hayali und die Hashtags

Wie wäre es mit einer ungekürzten Fassung von Interviews mit Muslimen in Berlin Neukölln mit präzisen Fragen zum Thema Toleranz und Offenheit gegenüber jüdischen Mitbürgern, anderen Andersgläubigen, Frauen, Lesben und Schwulen, Frau Hayali?

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Als Dunja Hayali vor etwas mehr als einem Jahr mit der Goldenen Kamera in der Kategorie „Beste Information“ ausgezeichnet wird, wirkt die Frau, die sich sonst auch schon einmal ganz unerschrocken unter AfD-Anhänger in Erfurt mischt, um diese zu interviewen, mit einem Mal ganz klein und tief berührt. Sie werde diesen Preis als „Anerkennung für Geleistetes“, aber auch als „Verpflichtung für Kommendes“ ansehen, heißt es damals von ihr. Zugleich nutzte sie die Rede, um auf die Verrohung des Diskurses im Internet und vor allem die Drohungen aufmerksam zu machen, die sie erhält. „Wenn man nicht die Meinung des Gegenübers widerspiegelt, dann ist man ein Idiot, eine Schlampe oder ferngesteuert“, klagt sie, sagt zugleich aber auch: „In einem Land, in dem die Meinungsfreiheit so ein hohes Gut ist, darf und muss jeder seine Sorgen und seine Ängste äußern, ohne gleich in die rechte Naziecke gestellt zu werden, aber, wenn sie sich rassistisch äußern, dann sind Sie verdammt noch einmal ein Rassist. Fertig. Und das müssen Sie auch ertragen können.“ Ihre Eltern hätten ihr beigebracht, andere und Andersdenkende zu respektieren und Menschen unabhängig von Hautfarbe und Religion zu helfen.

Die Rede von Hayali beschert ihr noch mehr Aufmerksamkeit als die Auszeichnung selbst. Tagelang wird sie dafür im Internet und auf den Nachrichtenseiten des Landes gefeiert. Ohnehin war 2016 Hayalis Jahr. Die Journalistin, die zuvor nur wenigen Menschen durch ihre Tätigkeiten als Co-Moderatorin im ZDF heute-journal (bis 2010) und als Moderatorin des ZDF-Morgenmagazins aufgefallen war, gewinnt mit einem Mal einen Preis nach dem anderen. So folgt auf die Goldene Kamera der Robert-Geisendorfer-Preis in der Kategorie „Sonderpreis der Jury für exemplarische publizistische oder künstlerische Leistungen“, der Annemarie-Renger-Preis des Arbeiter-Samariter-Bundes Deutschland und schlussendlich sogar der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Angesichts dieser Anzahl an Preisen wird einem schnell klar: Frau Hayali muss Großartiges geleistet haben.

Allerdings fallen die Begründungen für die Verleihung von Preisen und Verdienstorden dann doch etwas nebulös aus. Die Goldene Kamera gab’s für das „Gesicht und Haltung“ zeigen in der Flüchtlingskrise. Den Robert-Geisendorfer-Preis der evangelischen Kirche erhält sie dafür, „dass sie sich dabei (gemeint ist ihre Tätigkeit als Journalistin) auch direkt mit Menschen auseinandersetzt, die zuvor ihre Arbeit oder gar sie persönlich verunglimpft haben und dabei immer die nötige journalistische Distanz wahrt“ und den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen gab es für „herausragenden Einsatz für Toleranz und Offenheit.“

Wer Morgenmagazine von „Volle Kanne“ bis „Guten Morgen Deutschland“ kennt, der weiß, dass diese Formate nur wenig Raum für staatstragende politische Einsätze im Sinne der „Toleranz und Offenheit“ lassen. Und wenn man Dunja Hayali googelt, fällt auf, dass es vor allem viele Videos von ihrer Dankesrede bei der Goldenen Kamera und ziemlich wenig Videos von ihrem journalistisches Tun gibt. Es wirkt stellenweise wie das krampfhafte Bestreben eines medialen Establishments, festzustellen, wer die “Guten“ und wer die „Bösen“ sind. Ein politisch korrektes Signal in Richtung „Wutbürger“, das zeigt, wer dazu gehört, auf Gala-Veranstaltungen Preise erhält und wer in der Schmuddelecke sitzt.

Denn geleistet hat Frau Hayali, sehen wir einmal von ihrer Co-Autorenschaft bei dem Buch „is was Dog? Mein Leben mit Hund und Haaren“ ab, im investigativen Journalismus nicht sehr viel. Zumindest so lange man Interviews mit AfD-Anhängern auf einer Demonstration in Erfurt nicht als investigativen Journalismus, der besonders viel Mut erfordert, betrachtet. Denn das war in der Tat das, womit Hayali unter der Kategorie investigativ Aufmerksamkeit erregt hat.

Vielleicht weiß Dunja Hayali das auch ein bißchen selbst. Dafür spricht, dass sie bei einem Post des Mainzer CDU-Politikers Felix Maximilian Leidecker derart die Fassung verliert und ihn an den virtuellen Pranger ihrer Twitterseite stellt. Dieser hatte jüngst in einem im Zuge des von Hayali initiierten Shitstorms gegen ihn gelöschten Posts auf Facebook die Kampagne #ichbinhier als eine der „dämlichsten Aktionen aller Zeiten“ bezeichnet. Leidecker begründete dies damit, dass es anders als die Initiatoren Glauben machen wollen, den Teilnehmern dieser Aktion, die ihre Posts mit dem Hashtag #ichbinhier versehen, eben nicht um den Einsatz für den respektvollen Dialog ginge. Vielmehr versammelten sich unter #ichbinhier „irgendwelche Linksaktivisten“ die „Sittenpolizei“ spielen und sich als „große Aufklärer gegen ‚Hate-Speech’ und ‚Fake-News’ überhöhen“ würden. Dass Dunja Hayali und Anja Reschke ebenfalls mit von der Partie seien, kommentiert Leidecker darüber hinaus mit dem Satz: „Dann kann es ja glücklicherweise nichts mit Substanz sein.“ und schlägt als Gegenmaßnahme den Hashtag #ichtrinkbier vor. Anja Reschke legt allerdings Wert auf die Feststellung, dass sie mit dem Hashtag nichts zu tun habe und nicht einmal auf Facebook vertreten sei.

Das sind zugegebenermaßen harte Formulierungen. Aber sie sind selbstverständlich durch die Meinungsfreiheit gedeckt, die auch polemische Zuspitzungen überhöht. Klar ist: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, muss auch Gegenwind aushalten können. Hayali müsste einstecken können, wenn sie austeilt, Leidecker auch, damit könnte man die Sache abhaken. Aber die beiden sind Journalisten, Leidecker Politiker.

Wer Felix Leidecker kennt, weiß, dass der Mann für seinen Klartext bekannt ist. Für Dunja Hayali, die die Meinungsfreiheit für „so ein hohes Gut“ hält, zu viel Klartext? Sie twittert von Leideckers Post, den sie als Screenshot anfügt: „menschen, die sich für respektvollen dialog einsetzen, mit argumenten aufwarten und zwar parteiunabhängig – das nennen sie dämliche aktion?“. Daraufhin entbrennt das Tweet-Ping-Pong zwischen Hayali und Leidecker.

Dieser entgegnet: „Wieso, weil ich finde, dass man Hass nicht durch Gegenhass begegnen kann?“ Und Hayali antwortet: „es geht nicht um gegenhass oder irgendwas mit „gegen“! es geht um argumente, dialog, austausch.“ Daraufhin kontert Leidecker noch einmal: “Bei allem Respekt vor Ihrem Engagement: In der Realität geschieht leider das Gegenteil. Debatten eskalieren noch mehr.“ Und Hayali schreibt: „respekt? sagen sie, wollen sie mich jetzt für dumm verkaufen“ und zitiert Leideckers Satz mit der fehlenden Substanz.

Es sind Dialoge, wie sie am virtuellen Stammtisch stattfinden. Zuschauer dürfen mitlesen, wie sich zwei fetzen – das ist die neue Qualität des Netzes. Natürlich sollen Grenzen nicht überschritten werden. Aber wer sich auf eine Debatte einlässt, muss damit rechnen, nicht nur Anhänger zu finden.

Obgleich Leidecker betont, dass der Satz als Kritik an Hayalis  Arbeit zu verstehen ist und damit eine erlaubte Meinung darstellt, die nicht gegen Hayali als Person geht, zeigt sich Dunja Hayali, das wird in den folgenden Antworten immer deutlicher, vor allem persönlich getroffen. Da hilft es auch nichts, dass Leidecker ihr seine Kritik an der Kampagne #ichbinhier im Folgenden noch einmal erklärt. So würden durch den in den Posts gesetzten Hashtag immer gleich „50 Leute draufspringen“. Die Situation würde so nicht entschärft, sondern weiter angeheizt, so sein Argument.

Statt sich distanzwahrend, offen und gegenüber anderen Meinungen tolerant zu zeigen, zieht Hayali kurzerhand Leideckers Chefin bei der CDU, Julia Klöckner, mit in die Diskussion hinein und auch Hayalis Follower sind sich nicht zu schade, die zunächst noch sachliche Auseinandersetzung mit stumpfen Beleidigungen („zu wenig Ritalin beim Leidecker“) zu unterfüttern. Jetzt beginnen die Grenzüberschreitungen. Hetze und Hatespeech im Netz kennt ja bekanntermaßen nur eine Richtung. Wer könnte das besser wissen als die Streiter der „parteiunabhängigen“ #ichbinhier-Kampagne für einen „respektvollen Dialog“ im Netz?

Wäre Hayali ihre Verantwortung als „Schirmherrin“ für ihr Projekt bewußt, die über allem steht, hätte sie die Anfeindungen auf Leidecker scharf verurteilen und ihre Anhänger daran erinnern müssen, dass es der „parteiunabhängigen“ #ichbinhier-Kampagne um einen „respektvollen Dialog“ im Netz geht.

Indem sie vor allem die Parteiunabhängigkeit der Aktion betont, täuscht sie zunächst darüber hinweg, dass die Aktion zwar formal parteiunabhängig, ganz sicher aber nicht gesinnungsunabhängig ist. Schaut man sich Diskussionsverläufe unter den geposteten Artikeln der Nachrichtenseiten an, wird schnell klar, dass Leideckers Aussage, es würde sich hierbei vor allem um „Linksaktivisten“ handeln, die sich selbst moralisch überhöhen, nicht so weit hergeholt ist. So finden sich beispielsweise unter dem Hashtag #ichbinhier unter einem Tagesschau-Beitrag zur Erstürmung der spanischen Exklave Ceuta durch 500 Flüchtlinge ausnahmslos Posts von Personen, die eindeutig Pro-Refugee eingestellt sind. „Respektvoller Dialog“ heißt hier sowie unter vielen anderen Artikel-Postings nichts anderes als die eigene Pro-Flüchtlings-Meinung zu dokumentieren. Keiner dieser Kommentare unterscheidet sich inhaltlich von früheren Kommentaren der mehrheitlich „linken“ Pro-Flüchtlings-Fraktion. Der einzige Unterschied besteht lediglich in einem Hashtag, der vor diesem Hintergrund schlicht als „Gütesiegel“ für Postings moralischer Selbstüberhöhung fungiert und eine Menge ebenfalls „linksgesinnter“ Moralwächter auf den Plan ruft, um diese Meinung im Zweifelsfall gegenüber Leuten mit anderer Meinung zu verteidigen.

Wahrscheinlich hatten die Initiatoren tatsächlich mal so etwas wie einen Hashtag für einen „respektvollen Dialog“ im Sinn. Es war jedoch dann vor allem naiv zu glauben, dass sich Menschen aller politischer Coleur diese Aktion zu eigen machen würden – hat außer eher Gleichgesinnten ja sonst niemand eigentlich die Ambition, sich durch einen Hashtag selbst als auf der Seite der Guten, als Kämpfer für den „respektvollen Diaolog“ „gegen Rechts“ zu markieren und andere zur „richtigen“ Meinung zu erziehen. Denn auch sonst sind all diese proaktiven Kämpfe gegen andere Meinungen vor allem „linke“ Spezialitäten. Das Melden von Facebookseiten mit unliebsamen Meinungen, das ständige Kommentieren oder private Nachrichtenschreiben an solche wie mich, genau wie erzwungene Rechtfertigungen für diese und jene Aussage, virtuelles an den Pranger stellen bis hin zu Boykottaufrufen und damit Existenzgefährdung. Liberale und Konservative haben an so etwas jedenfalls meist eher weniger Interesse, was nicht zuletzt daran liegt, dass man dort andere Meinungen gemeinhin wirklich toleriert und nicht nur auf Preisverleihungen darüber spricht.

Diese Aktion war nie unabhängig von Lagern und Gesinnung. Sie war nie inklusiv und kein Aufruf an Leute aller politischen Lager, sich für den sachlichen Diskurs einzusetzen, sondern immer exklusiv jenen vorbehalten, die wie Dunja Hayali und Anja Reschke auf der Seite des vermeintlich „Gute“ kämpfen und dieses nun auch durch einen Hashtag präsentieren wollen. Ein Erkennungsmerkmal, das aussagt: Seht her, wie sind die Wissenden, die „Guten“ und wenn du das nicht so siehst, stehen hier gleich 50 Mann zur Stelle.

Insofern wäre der Hashtag #dubistnichthier passender. #ichbinhier will nicht eingrenzen durch debattieren und überzeugen, sondern ausgrenzen. Das lässt man sich selbstverständlich auch nicht von Leuten mit anderer Meinung kaputt machen, weshalb man solche dann auch gerne mal dem virtuellen Pranger aussetzt und beim Chef anschwärzt. Kann man machen. Souverän ist es allerdings nicht.

Vielleicht hat Frau Hayali damit aber auch nur wieder bewiesen, was ihr in der Vergangenheit schon öfter unterstellt wurde: Dass sie weniger Journalistin als politische Aktivistin ist. Der Journalistin die Frage: Wie wäre es mit einer ungekürzten Fassung von Interviews mit Muslimen in Berlin-Neukölln mit präzisen Fragen zum Thema Toleranz und Offenheit gegenüber jüdischen Mitbürgern, anderen Andersgläubigen, Frauen, Lesben und Schwulen? Wäre das in diesen Zeiten, wo es so einfach ist, sich gegen „Rechts“ zu positionieren und Menschen an den virtuellen Pranger zu stellen, nicht das, was wahre Haltung und journalistischen Mut ausstrahlen würde?

Eines scheint aktiven und passiven Beteiligten gar nicht mehr aufzufallen: Hayali ist Journalistin – Leidecker ist Partei-Politiker. Aber Hayali agiert und argumentiert hier nicht journalistisch, sondern als „Partei“. Vom Klassiker eines Hanns Joachim Friedrichs ist wohl gar nichts mehr übrig geblieben: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“

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