Die 68er & Erben sind an der Macht – und gescheitert

Deutschland ist seines Fortschritts und seiner Freiheit bis zur Selbstaufgabe überdrüssig. Kleingeist und Konformität, Begriffsdiktat und Denkzensur, Vakuum in den Köpfen - die Mission der 68er ist abgeschlossen, das Ziel gründlich verfehlt.

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Die Kette der menschlichen Gesellschaft richtet sich nicht mehr aus an dem Ziel, die Stärke ihres kräftigsten Gliedes zu erlangen, sondern verschleißt sich in dem Bemühen, ihrem schwächsten Glied zu entsprechen statt dieses zu stärken. Nicht jene Idee eines übergeordneten, gesellschaftlichen Gemeinwohls bestimmt das Handeln, sondern ein wirres Konglomerat zahlloser Minderheitenansprüche prägt die immer weniger vorhandene Gemeinschaft. Das, was man einst als den normalen Bürger bezeichnete, fühlt sich deplatziert, weil es sich in seiner Normalität anormal fühlen muss und anormal fühlen soll, um das Nicht-Normale selbst zur scheinbaren Norm zu machen und damit jegliche Norm, jegliches zielorientierte, gemeinschaftliche Vorgehen zu vernichten.

Über allem schwebt das Diktat einer auf einen Splitter des Denk- und Vorstellbaren eingeengten Weltsicht, die alles, was auch nur um wenige Grad von der Blickrichtung seiner Erstarrung abzuweichen scheint, mit Vorsatz und radikaler Konsequenz diffamiert und als Häresie des einzig wahren Wollens zum Teufelswerk wider die vorgeblich wahre Bestimmung der Gesellschaft erklärt. Jeder Andersdenkende wird konsequent  aus einem vorgeblichen Konsens des angeblich einzig Richtigen verbannt.

Gibt sich die politische Linke nach Außen noch den Anspruch, das Niveau der Bürger heben zu wollen, betreibt sie permanent die Nivellierung von Bildung, Niveau und Mensch. Denn je geringer die Bildung und das Niveau, je geringer das Wissen des Einzelnen, desto leichter lässt er sich in der Masse durch die Masse selbst lenken. Das Ziel der politischen Linken war niemals die heuchlerisch vorangetragene Monstranz eines selbständigen, unabhängig denkenden Individuums  – das Ziel war immer der im Sinne der eigenen ideologischen Borniertheit gelenkte Einzelne als Teil einer menschlichen Masse inhaltlich entkernter Hüllen, die der ewigen Führung durch den linken Vordenker bedarf.

Deshalb setzte und setzt die Linke alles daran, die letzten verbliebenen Strukturen bürgerlicher Identität und Identitätsbildung zu zerstören. Der unreife, der kindliche Mensch, so der Traum der Dutschkes und ihrer Vordenker, würde nur in der Homogenität seiner selbst als ewiges Kind im Kollektiv der Gleichförmigkeit funktionieren können. Der ewig pubertierende Jüngling, der in seinem Bedürfnis nach Gemeinschaft auf der Barrikade der Weltverbesserung vorgefräste Parolen brüllt, zieht in der Uniform der egalisierenden Jeans mit Turnschuhen in die Parlamente ein, übernimmt die Aufgabe der Entmündigung des Volkes durch die Naivität der Illusion und wird zum Gaukler menschlicher Träumerei.

Begriffsdiktat und Denkzensur

Selbst nun Opfer der unblutigen Revolution des einst gedachten Marsches durch die Institutionen eines verhassten Bürgertums verblödet dieses sich beharrlich selbst, lässt sich mit Schattendiskussionen über Begriffsdiktat und Denkzensur ebenso verblenden wie mit dem Schauspiel scheindemokratischer Volksentscheide, mit denen Minderheiten der Mehrheit institutionalisiert ihren Willen aufzwingen.

So scheint alles geregelt und das Ziel einer Gesellschaft halberwachsener, auf die Führung weniger Auserwählter ein Leben lang angewiesener, kindlich-naiver Mitläufer und Nachplapperer erreicht, als sich immer deutlicher der Kardinalfehler des revolutionär-institutionellen Konzepts der sozialistischen Menschenfänger offenbart. Ein Fehler, um den schon Dutschke hätte wissen können, hätte er sich nicht mit der Keuner’schen  Vorstellung, den Menschen gottgleich nach seinen Vorstellungen zu schaffen, jene seit Urzeiten bestimmenden Phänomene übersehen, die in der Wissenschaft als Instinkt bezeichnet werden.

Die antiseptische Systemwelt der politischen Linken stößt an ihre Grenzen und offenbart sich als untauglich, den Menschen Antworten auf die sie bedrängenden Fragen zu geben. Denn die Welt der radikalen Linken und ihrer Geschwister am rechten Rand ist eben niemals mehr gewesen als die vom aktuellen Tagesgeschehen einer spätfeudalen Situation des 19. Jahrhunderts geprägte Erwartung, mit seiner Verschreibung an die Ideen extremer politischer Leitbilder wie durch Zauberhand selbst eines Tages am Tisch des Fürsten zu speisen und sich bedienen zu lassen. Die Deutschland mehr noch als andere Opfer des Proletariats prägende Neidkultur erschöpft sich im Feiern der Emporkömmlinge – nicht in der intellektuellen Beschäftigung mit seinem kulturellen Erbe und seiner gesellschaftlichen Zukunft.

So wird der Riss zwischen dem Diktat der neuen, dem Plebs entstiegenen Scheinelite und der Masse jener, die lange bereit waren, sich dem Diktat zu unterwerfen, ständig größer. Doch nicht einmal die gemäßigte Extreme, die auf der Welle der marxistischen Gesellschaftsübernahme nach oben gespült wurde, ist in der Lage, sich von ihrem Dogma des Meinungsdiktats zu lösen und mit den Aussteigenden eine unvoreingenommene Diskussion über unseren Staat und die gemeinsame Vision einer lebenswerten Zukunft zu führen.

Vakuum in den Köpfen und Selbstaufgabe

Das politische Dogma des Extremisten beharrt auf dem einzigen, ihm möglich erscheinenden Rezept der Ausgrenzung und Diffamierung. Hatte das Proletariat in nunmehr einhundert Jahren bereits das Großbürgertum vernichtet und das Bürgertum in die innere Migration getrieben, so lehnt sich nun selbst das Kleinbürgertum zunehmend auf gegen die von seinen Vordenkern organisierte Fremdbestimmung. Mangels Alternativen in einer vorsätzlich entbürgerlichten politischen Landschaft wechselt es einfach den Flügel der Extreme und findet ob seiner vorsätzlichen Ausgrenzung nur noch den Weg zur radikalen politischen Rechten statt zu einer liberalen, einem sozialen Frieden ebenso wie dem wirtschaftlichen Wohlstand verantwortlichen gesellschaftlichen Perspektive.

Das durch sozialistische Ideologie und Dominanzanspruch geschaffene Vakuum in den Köpfen vernichtet die Idee der Demokratie, indem es die Menschen entdemokratisiert und radikalisiert. Es hinterlässt von der Wirklichkeit frustrierte Widerständler, in die Passivität gedrängte Apathisten oder dem Realen entfleuchte Träumer. Der Politiker der Gegenwart ist, gleich welcher Partei er entstammt, die Inkarnation der Unfähigkeit zum großen Entwurf, zum erstrebenswerten Ziel. Selbst ein Opfer der Nivellierung von Geist und Niveau wird er, der doch der Träger und die Speerspitze einer sich täglich neu erfindenden Demokratie sein sollte, zum lethargischen Produkt einer Karrieremaschinerie kleinster Zahnräder, deren Funktion sich ihm selbst zunehmend weniger erschließt.

Dieser nur noch Schatten dessen, was einst als Herrschaft des Volkes über sich selbst erdacht worden war, wird durch die Diktatoren der Simplifizierung und Dekultivierung schleichend, aber beständig zu Grabe getragen. Der Gegenwartspolitiker verdrängt jeglichen Impuls, welcher der Prägung der eigenen Mitläufer in jener perpetuierten Engstirnigkeit ihres Denkens nicht entspricht. Als gleichsam widernatürlich wird jeder nicht in das Muster passende Gedanke vorsätzlich und aggressiv aus der Debatte verdrängt und als  vorgeblich unzulässige und deshalb zu bekämpfende Irrlehre verketzert.

Ein deutliches Ergebnis der nun bald hundertjährigen Dominanz kleingeistiger Borniertheit bekam die Welt in Frankreich vorgeführt, in dem – wie in Deutschland rund achtzig Jahre zuvor – ein besonders eloquenter Vertreter dieses Kleingeistes selbst der Masse der Ausgegrenzten und Ausgestoßenen eine Heimat zu bieten scheint, welche jedoch am Ende nichts anderes sein wird als das Negativ dessen, was die politische Linke exekutiert und zu verantworten hat.

Europa, das fast dreihundert Jahre als Bannerträger der Freiheit des Denkens und des Fortschritts der Wissenschaft an der Spitze menschlicher Kultur stand, vernichtet sich selbst. Aus den Ländern der Dichter und Denker sind Länder des selbstverzehrenden Konsums und der Gedankenlosigkeit geworden. Das Europa der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts ist seinen Feinden von innen wie von außen hilflos ausgeliefert. Es hat seine Idee des freien, selbstbestimmten, nach vorn schreitenden Menschen dem Irrsinn einer alles nivellierenden Egalisierung und der Illusion eines allumfassenden Seelenfriedens der naiven Glückseligkeit geopfert.

Deutschland, nein – Europa ist seines Fortschritts und seiner Freiheit bis zur Selbstaufgabe überdrüssig geworden.

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