Das vergiftete Lob der Angela Merkel

Keiner führender politischer Kopf in Britannien kam auf die Idee, sich vor der Entscheidung der britischen Wähler mit einer Merkel-ähnlichen Drohkulisse wie „If Britain leaves the EU that's not my country anymore“ zu Wort zu melden.

© Sean Gallup/Getty Images

Viel ist über die – wenigen –  wahrhaft gewichtigen Worte der Bundeskanzlerin gesprochen worden. Man ist ständig bemüht, die Orakelsprüche aus der Berliner Waschmaschine zu entwirren, zu deuten und deren tiefere Weisheit zu entschlüsseln. Angela Merkel gibt, wenn sie scheinbar frei spricht, ein wohlfeiles Ziel für Spekulationen ab, weil sie gerne „aus dem Bauche heraus“ ohne geschliffene Formulierungen und gedrechselte Sätze redet.

Wenn Sie sich an komplexeren Sachverhalten versucht, wird oft eine mit Blähworten gespickte Aneinanderreihung von Halbsätzen daraus. Im Gedächtnis blieben die zwei klaren, kurzen Sätze aus dem Oktober 2008:

„Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.“

Atemlos gesprochen an der Seite Peer Steinbrücks angesichts der Finanzkrise und einer drohenden Kapitalflucht. Der Text wird, da er seinen Effekt nicht verfehlen durfte, vorher vom Finanzministerium auf seine Wirksamkeit hin geprüft worden sein.

Etwas komplexer wie die Botschaft selbst, war ihre erste Einlassung zum Thema offene Grenzen in der Bundespressekonferenz am 31. August 2015:

„Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden.“

Diese Formulierung hat in der deutschen Öffentlichkeit viel Ärger hervorgerufen, weil sie an das eigene Ehrgefühl, das Arbeitsethos appelliert, und versteckte Botschaften enthält. Zunächst das Zuckerbrot für das starke Land, das soviel geschafft habe, gefolgt von der Drohung mit der Peitsche für den Gaul, der eventuell vor dem, was im Wege stehen könnte, scheuen will. Es ist in Deutschland in vielen Bereichen üblich, aufmunternd das Wort beim Sportverein, im Zeltlager oder beim Putztag im Kiez zu erheben und die Mitstreiter so zu Höchstleistungen anzuspornen. Vielleicht ist die Kanzlerin so einfach gestrickt, aber dieser plumpe Versuch, altbackene Motivationssprüche – (Männer, wir sind so stark, wir können nur gewinnen) in die politische Arbeit zu übertragen, ist Vielen sauer aufgestossen. Sogar die Presse argwöhnte, dass man da ungefragt in Haftung genommen werde, für eine Suppe, die man weder mit eingerührt noch schmackhaft gemacht bekommen habe. Und die Kanzlerin wusste es ja besser: die Stimmung in der Bevölkerung war ihr bekannt, die drohenden Gefahren für die Politik und Gesellschaft klar erkennbar.

Indem man jemandem, dem man eine komplexe Aufgabe übertragen hat, obwohl man weiss, dass der seine liebe Not damit haben wird, schon mal über den grünen Klee lobt und hinausposaunt, dass er das sicher hinbekommt, nimmt man dessen mögliches Scheitern eigentlich schon vorweg, kaschiert das aber vor der Zuhörerschaft hinter eine Fassade geheuchelter Zuversicht. Natürlich soll der öffentliche Aufruf nur dazu dienen, den Hochgelobten unter besonderen Druck zu setzen, aber eigentlich traut man ihm nicht wirklich. Da Frau Dr. Merkel schon vor 2015 klar war, dass Zuwanderungsthemen heisse Eisen sind, muss sie gewusst haben, dass sie mit dieser Äußerung der Hälfte der Republik eine schallende Ohrfeige gibt. Entsprechend wurde die grosse Geste dort aufgenommen. Mit dem was „uns“ im Wege steht und „überwunden werden muss“, waren natürlich besonders die Zweifler an ihrer Grenzöffnung gemeint. Auch diese Boschaft haben die Bürger verstanden und gleich richtig als Maßregelung verbucht. Nachdem über „die schaffen das schon“ hinaus keine weitere Erläuterung in Sicht kam, hat man es auch in der Presse gemerkt:  Was gilt es zu schaffen, wie und warum ? Dass mit diesem Satz aber ein ätzender Seitenhieb auf die geführt wurde, die nicht zum „Wir“ gehören wollen oder können, entging den Journalisten vielfach, eine schlüssige Antwort auf die drängenden Fragen ist bis heute nur vereinzelt eingefordert worden.

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Was im August 2015 noch im Pluralis Majestatis einer länglichen regierungsamtlichen Äußerung daherkam, wurde bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzlerkollege Werner Faymann zum berühmten Halbsatz  „…dann ist das nicht mein Land“ die giftigere Steigerung vom „wir schaffen das“: Offenbar war es Angela Merkel nun klar, dass ihr echter, ehrlicher, nie zuvor gespürter Gegenwind ins Gesicht bläst. Daraufhin leistet sie sich diesen denkwürdigen verbalen Ausrutscher, Sie machte den „Wulff“, nur noch einen Zacken härter. Übersetzt für den Haushaltsgebrauch lautet der: „wenn ihr der Meinung seid, dass…dann seid ihr bei mir unten durch“.

Ein Stigma für alle, die auch nur erwägen sollten, sich der von ihr begonnenen „Jahrhundertaufgabe“ zu versagen und angestrengt zum Gelingen der Integration vieler hundertausend Neubürger beizutragen. Damit reihte sich die Kanzlerin je nach Lesart in die Reihen derer ein oder setzte sich an deren Spitze, die Zweifler und Skeptiker durch pauschale und böswillige Unterstellungen zu No-go-Mitbürgern machen. Eure Regierungsschefin verleugnet und verstößt euch, das habt ihr jetzt davon!

Metaethics 12
Linus raus aus Småland! Postfaktisch gilt nicht Frau Merkel.
Die harten Worte waren gleichsam der Startschuss für die Treiber der political correctness, über die TE vielfach berichtet hat, und die die Nation, nach Lesart vieler Umfrage-Päpste in zwei Ecken gejagt haben. Dieser Ausbruch ist auch deshalb einmalig, weil er in Bausch und Bogen alle Deutschen (mein Land!) für eine scheinbar unakzeptable Haltung der Kritiker in Haftung nimmt. Wer mag, kann dem entnehmen, dass die Kanzlerin hier ahnt, dass der Protest von der MEHRHEIT kommt, die Abkanzlerung der Nation in toto also passt.

Man muss schon lange suchen, um ähnliche Sätze hoher Staatslenker an die Adresse des eigenen Volkes zu finden. Das letzte Mal, als ein Führer seinem Volk eine ähnlich düstere Ansage machte, schrieb man das Jahr 1940 und ein grimmig entschlossener Winston Churchill prophezeite den Briten, dass nur der Kampf und ein Sieg das Überleben sichern würde (without victory there is no survival). Wiewohl, bis zu einer glatten Scheidung im Falle des Scheiterns oder dem Aufkommen von Widerworten wollte er in dieser dramatischen Situation offenbar nicht gehen.

Keiner der führenden politischen Köpfe in Großbritannien ist auf die Idee gekommen, oder hätte es gewagt, sich vor der Entscheidung der Mehrheit der Britischen Wähler mit einer ähnlichen Drohkulisse „If Britain leaves the EU, that is not my country anymore“ zu Wort zu melden. Vielmehr haben die Briten den richtigen Ton gefunden, um den Gegnern wie auch den Befürwortern des Brexits gerecht zu werden. In bester und nüchternster Insulanischer-Weise wird mit dem Votum des Volkes in einer wichtigen Frage nun ruhig umgegangen und gegen heftigste Kritik unter anderem aus Deutschland, verteidigt.

Warum gelingt es unseren Politikern nicht, eine wichtige Frage wie die der Massenzuwanderung zur ehrlichen Debatte zu stellen und in einem Volksentscheid zu lösen? Stattdessen wird versucht, Kritiker mundtot zu machen und mit ominösen Drohgebärden und moralisierenden Parolen einzuschüchtern.

Emil Kohleofen ist freier Publizist.

BerndZeller_Buch

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