Die Figur des Jesus im Koran

Der beste Beweis dafür, wie offen der Islam auf die Christen zugehe, sei die Anerkennung des Jesus als islamischer Prophet. Das lässt es nicht nur wegen des bevorstehenden Weihnachtsfestes zweckmäßig erscheinen, die Rolle Jesu im Koran genauer zu betrachten.

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Gottessohn oder „nur“ ein Prophet – der Konflikt um die Figur Jesu trennt seit 1.600 Jahren Christen und Muslime. Bei der Dominanz islamischer Welterklärungen, mit denen diese gerade einmal zwei Prozent der bundesdeutschen Bürger seit geraumer Zeit die öffentliche Diskussion dominieren, wird regelmäßig immer wieder auch die Behauptung aufgestellt, der Gott der Christen und der Gott der Mohamedaner seien identisch – und der beste Beweis dafür, wie offen der Islam auf die Christen zugehe, sei die Anerkennung des Jesus als islamischer Prophet. Das lässt es nicht nur angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfestes zweckmäßig erscheinen, die Rolle des Jesu im Koran etwas genauer zu betrachten.

Jesus als Gesalbter

In Su003.045 des Koran verkünden „Engel”, die ursprünglich nichts anderes als „königliche Boten“ waren, der jungfräulichen Maria den Namen ihres noch ungeborenen Kindes: „Messias Jesus Sohn Maria”. Weiterhin wird Maria über die künftige Aufgabe ihres Kindes informiert. Jesus werde „im Diesseits und im Jenseits angesehen” und einer von jenen sein, die Allah „nahestehen”.

Die Kernaussage des Koran folgt insofern dem Evangelium nach Lukas. Mohamed greift die phantasievolle Vorgeburtsgeschichte des Lukas-Evangeliums auf, in der allerdings von einem „Messias” nicht die Rede ist, während der Koran den Zusatz des Messias bereits zu Anbeginn seiner Darstellung einführt. Damit zeigt sich der Autor des Koran als Kenner auch des Evangeliums nach Johannes und vollzieht die Erhebung des als Menschen geborenen Jesus zumindest zum Gesalbten Gottes nach – ein deutlicher Hinweis darauf, dass Mohamed eine umfassende, christliche Sozialisation erfahren haben muss oder sich zumindest recht intensiv mit den Evangelien beschäftigt hatte.

Wenn, wie geschehen, Mohamed die Figur des Jesus in sein Glaubenskonzept einbezieht, so liegt es in der dem Koran inhärenten Logik, Jesus in einen unmittelbaren Bezug zu Allah als dem von Mohamed als solchen beschriebenen, eigentlichen Gott auch der Juden und Christen zu stellen. Die Einbeziehung der entscheidenden Figur des christlichen Monotheismus in das Mohamed-Konzept fällt in eine Phase, in der die Frage nach der „Natur“ Jesu theologisch nicht nur nicht abschließend geklärt ist, sondern insbesondere im Nahen Osten als dem eigentlichen Spannungsfeld des imperialen Konflikts zwischen Byzantinern und sassanidischen Persern zu einem der entscheidenden, theologischen Streitpunkte gehört. Insofern sind die Darstellungen des Koran nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie eine unübersehbare Nähe des Mohamed zur christlichen Lehre darlegen, sondern weil die Art der Einordnung auch Rückschlüsse auf die konkrete christliche Sozialisation und den Stand der innerchristlichen Diskussion zulassen mag, die Mohamed bei seinen Texten inspiriert hat.

Die Person des Jesus im Koran

Die Geburt eines Kindes durch eine Jungfrau namens Maria (Marjam) wird als Tat und Wille Gottes festgeschrieben. Das Kind hat eine menschliche Mutter – aber keinen biologischen Vater. Diese Mutter Maria ist bereits selbst als Fötus in den Dienst des einen einzigen Gottes gestellt worden (Su003.35). Die Existenz des Jesu ist – identisch mit der christlichen Auffassung – ausdrücklich göttlicher Wille und nähert sich der damals diskutierten monotheleteitischen Position der zwei Naturen Jesu – einer menschlichen und einer göttlichen. Abweichend von dieser wie jeder anderen christlichen Auslegung ist dieses jedoch im Koran nicht gleichbedeutend mit der Geburt eines Gottessohnes.

Damit weicht der Koran sowohl von der Doppelnatur-These des byzantinischen Kaisers Herakleios als auch von der monophysitischen Vorstellung einer ausschließlich göttlichen Natur des Jesus, wie sie in orientalischen Ostkirchen vertreten wurde, ab. Der Jesus des Koran ist ein Mensch – kein Gott. Er hat auch keine göttliche Natur. Aber er ist eine Schöpfung Gottes, was einerseits als Einzigartigkeit der Figur Jesu interpretiert werden kann – andererseits aber auch genau dieses nicht tut, wenn jedwede Schöpfung als Resultat eines göttlichen Willens verstanden wird.

Nestorius und Amtskirche

Deutlich näher liegt Mohameds Jesus-Position an jener der Nestorianer. Nestorios, der von 428 bis 431 nc christlicher Patriarch von Konstantinopel gewesen war, lehnte die Vorstellung einer Gottesgeburt (theotokos) ab. Vielmehr plädierte er dafür, Maria als Christusgebärerin (christotokos, christos als griechischer Begriff für Messias) zu begreifen. Maria hätte demnach keinen Gott oder gottgleichen Menschen geboren, sondern einen Gesalbten Gottes. In der Diktion der semitischen Sprachen hätte diese Position tatsächlich mit der Formel „Gesalbter Jesus Sohn Maria“ beschrieben werden können – es ist genau diese Formel, die Mohamed gewählt hat.

Nestorios positionierte sich mit seiner Auffassung gegen den sich zu seiner Zeit als Patriarch von Konstantinopel ausbreitenden Muttergottes- oder Marienkult, der nach seinem Verständnis geeignet war, den Menschen Maria auf eine göttliche Ebene zu heben. Diese Position des Nestorios entbehrt nicht einer gewissen, intellektuellen Logik, da die Mutter eines Gottes – und nicht eines Halbgottes – selbst in letzter Konsequenz auch Göttin sein muss. Weiter gedacht hätte dieses bedeuten müssen, dass durch das Erscheinen Jesu als göttliche Person die Nur-Ein-Göttlichkeit auch deshalb ausgehebelt wurde, da nunmehr mit Maria als Mutter eines Gottes auch eine Frau göttlichen Charakter erhielte.

Für Nestorios konnte Jesus darüber hinaus nicht ein Mischwesen aus menschlicher und göttlicher Natur sein. Der Patriarch ging in mono- bzw. miaphysitischer Sichtweise („eine Natur“) davon aus, dass der Mensch Jesus ausschließlich über eine „Natur“ verfüge – eine göttliche – während die Gegner des Nestorios von einer Doppelnatur – einer menschlichen UND einer göttlichen, die unabhängig voneinander Bestand haben – ausgingen. Gleichwohl ist bei Nestorius streng darauf zu achten, dass die „göttliche Natur“ nicht mit einer gottgleichen Identität zu verwechseln ist. Jesus bleibt ein Mensch und wird nicht zu einem Gott, handelt jedoch ausschließlich als Instrument Gottes und ist so quasi fremdbestimmt.

Nestorios blieb mit seiner radikal-monotheistischen Auffassung innerhalb seiner Amtskirche ziemlich allein. Seine Glaubensauffassung wurde auf dem Konzil von Ephesos in Kleinasien – einem zeitgenössischen Schwerpunkt der Marienverehrung und von dem Patriarchen Kyrill von Alexandria, einem Verfechter der Dreifaltigkeitsthese, im Jahr 431 nc gezielt dorthin einberufen – thematisiert. Nestorios‘ Lehre wurde mit Unterstützung durch den römischen Papst Coelestin als Häresie gebrandmarkt, er selbst als Patriarch von Konstantinopel abgesetzt und 435 nc vom byzantinischen Kaiser Theodosios 2 ins oberägyptische Exil verbannt, wo er um 450 nc verstarb.

Aus der Position des Nestorios entwickelte sich die nestorianische Lehre, die wiederum erheblichen Einfluss auf die orientalischen Ostkirchen nahm und mit diesen über die damaligen Handelswege im vorderen und mittleren Orient bis nach Indien und China Verbreitung fand.

Mit dem Schisma von Chalcedon wurde 451 nc Jesus von der oströmischen Amtskirche als nur eine Person definiert, die jedoch „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“ ist und damit ihre Einzigartigkeit erhält. Der nunmehr naheliegenden Interpretation, dass neben „dem einen Gott“ Jesus als zweiter Gott existiert, begegnete die Amtskirche mit der Hypostase der Trinität: Es gibt nur einen Gott, der auf verschiedenen Daseinsstufen in Erscheinung tritt: Als Gott selbst, als Jesus und als „Heiliger Geist“ im Sinne des „ruch álahjm“ (dem „Atem [der] Götter“) der Genesis. Diese tatsächlich höchst konstruiert wirkende Auffassung ließ nicht nur konkurrierenden Religionsvorstellungen Raum für die Unterstellung, das Christentum sei keine monotheistische Religion – auch innerhalb der Christen wurde sie von den Nestorianern und den orientalischen Ostkirchen nicht akzeptiert.

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