Wie die Grünen von russlandverstehenden Pazifisten zu Bellizisten wurden

Einst standen die Grünen voll auf Frieden schaffen ohne Waffen. Noch vor der Bundestagswahl forderten sie aus der Opposition heraus, ja keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Doch seit sie wieder regieren, haben sie erneut ihre Antiwaffenpolitik über den Haufen geworfen.

© Olaf Opitz

Erinnern Sie sich noch an das Wahlprogramm der Grünen von 2021? Vor allem an den Teil, wo es um die deutsche Außenpolitik geht? Nein? Sollten Sie aber. Denn grüne Forderungen sind flüchtig wie ein Windstoß.

Seit 16 Jahren in der Opposition hatten sich die Grünen wieder von Krieg und Waffen abgewendet und eine strenge Rüstungsexportpolitik eingefordert. Im Entwurf der Parteispitze für das Wahlprogramm 2021 hieß es sogar, die Grünen wollten „mit einer restriktiven Ausfuhrkontrolle europäische Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete“ beenden.

Im Wahlprogramm 2021 forderten sie dann im Kapitel 6 unter dem grünen Ziel „Wir treten ein für Frieden und Sicherheit“ ab Seite 245 einen neuen Schub für Abrüstung. Wörtlich heißt es dort: „Abrüstung und Rüstungskontrolle bedeuten global mehr Sicherheit für alle. Angesichts der wachsenden militärischen Risiken in Europa ist eine Wiederbelebung der konventionellen Rüstungskontrolle unabdingbar.“

Erste Schritte sollten weitere deeskalierende Maßnahmen in Konfliktzonen sowie die Wiederaufnahme des Sicherheitsdialogs und militärischer Kontakte zwischen Nato und Russland sein.

Mehr noch: „Keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete und Diktaturen“, betont eine Zwischenüberschrift. Exporte von Waffen und Rüstungsgütern in Kriegsgebiete verböten sich. „Für die Reduktion von europäischen Rüstungsexporten wollen wir eine gemeinsame restriktive Rüstungsexportkontrolle der EU mit einklagbaren strengen Regeln und Sanktionsmöglichkeiten“, versprachen die Grünen vor der Bundestagswahl. Für Deutschland werde man ein Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen. Hermesbürgschaften für Rüstungsexporte dürfe es nicht geben.

Von alldem ist seit Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine nichts mehr übrig. Die vor der Wahl versprochene grüne Haltung landete im Handumdrehen auf dem Recyclinghof der Geschichte. Die Grünen präsentieren sich in ihrer Außenpolitik erneut als Wendehälse. Vor der Bundestagswahl stellen sie sich gegen Waffenlieferungen und Krieg – kaum an der Regierung passiert dann das Gegenteil.

Satirisch könnten Kabarettisten dieser Tage formulieren:
„Wer Grüne wählt, wählt Waffenexporte, Aufrüstung und Krieg.“ Doch die kulturellen Linksintellektuellen fallen hier genauso aus wie die meisten Journalisten. Kommentatoren in den staatsnahen Medien übertreffen sich geradezu in ihren Forderungen, möglichst viel und möglichst schnell schwere Waffen aus Deutschland ins Kriegsgebiet der Ukraine zu liefern – der deutschen Vergangenheit zum Trotz. Und egal, welche Eskalation daraus für die Welt entstehen könnte – bei aller gebotenen Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.

2022 verwandeln sich die Ökopaxe erneut in Bellizisten

Es ist nicht die erste Volte vom Frieden zum Krieg, die die Grünen vollziehen, sobald sie die Regierungsmacht erobert haben. Mit ihrem Außenminister Joschka Fischer zog Deutschland zum ersten Mal seit 1945 wieder in einen Krieg. Am 24. März 1999 griffen Nato-Verbände in den Kosovo-Krieg ein, flogen bis zum 10. Juni Tausende von Kampfeinsätzen.

Damit nicht genug: Im Dezember 2001 beschloss der Bundestag auf Antrag der rot-grünen Regierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und seines grünen Außenministers Fischer den deutschen Einsatz im Afghanistankrieg. Der Beschluss umfasste die militärische Beteiligung an der Operation Enduring Freedom und den ISAF-Einsatz zur Stabilisierung Afghanistans. Deutschland hatte im März 2011 sogar rund 5.300 Soldaten vor Ort. Der Einsatz endete durch den überhasteten Abzug der internationalen Truppen im Sommer 2021 nach 20 Jahren mit einem Sieg der Taliban.

Dieser militärische Misserfolg hat die Grünen offensichtlich nur im Wahlkampf und im Wahlprogramm kurz erschüttert.

2022 setzen sich Grüne wieder für Waffenlieferungen selbst von Panzern ins Kriegsgebiet Ukraine gegen alle Wahlversprechen ein. Ausgerechnet der frühere Fraktionschef der Grünen und heutige Vorsitzende des Europaauschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, einer vom linken Flügel, fordert: „Wir müssen jetzt endlich anfangen, der Ukraine das zu liefern, was sie braucht – schwere Waffen.“

2019 hat er sich als Fraktionschef noch für einen verstärkte Rüstungskontrolle und viel weniger Waffenexporte eingesetzt. Allerdings handelte sich Ex-Grünen-Chef Robert Habeck vor der Bundestagswahl Ärger im eigenen Lager ein, weil er sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprach. Sogar für gepanzerte Fahrzeuge. „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung, Defensivwaffen, kann man meiner Ansicht nach der Ukraine schwer verwehren“, argumentierte er dialektisch geübt. Seine Co-Vorsitzende und heutige Außenministerin Annalena Baerbock meinte raffiniert, „Waffenlieferungen“ habe Habeck „so nicht gesagt“. Aber heute wissen wir, sie haben es schon immer so gemeint.

Grünes Friedenspostulat nur noch Schall und Rauch

Die Gebote des grünen Wahlprogramms von 1998 „Grün ist der Wechsel“, sollten wir hier der Ordnung halber aus historischer Sicht noch erwähnen: „Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab“, hieß damals ab Seite 135. Die langfristig angelegte antimilitaristische Strategie von Bündnis 90/Die Grünen ziele darauf ab, Militärbündnisse und nationale Armeen in einer gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung aufzulösen. Sie müsse auch die Nato ablösen und bietet die Voraussetzung für umfassende Abrüstung und die Entmachtung des militärisch-industriellen Komplexes in allen Staaten.

Es folgte sogar noch ein Kapitel mit heftiger Nato-Schelte, das Kritiker heute als „Putin-Versteher“ werten würden:
„Wird das westliche Militärbündnis als einziger Garant von Sicherheit als Symbol für ‚den Westen‘ propagiert, kann nicht verwundern, dass Staaten des ehemaligen Ostblocks nun Aufnahme begehren. Sie versprechen sich Schutz vor Russland, vor dem vereinigten Deutschland, voreinander und vor unkalkulierbaren inneren Entwicklungen.“ In der Nato sei ein Streit entbrannt, wer außer den bisher benannten Staaten noch in die Allianz aufgenommen werden solle. „Dahinter steht die ungelöste Frage, wie die Nato die Erwartungen einlösen kann, die sie geweckt hat, ohne entweder Russland erneut zu brüskieren oder die Beitrittshoffnungen zu enttäuschen – und damit die Erweiterung zu einer Quelle von Bedrohungs- und Isolationsängsten in den betroffenen Ländern zu machen.“

Die Grünen glaubten damals: „Europäische Sicherheit kann es nur mit und nicht gegen Russland geben.“ Die Grundakte zwischen der Nato und Russland habe zur weiteren Entspannung beigetragen. Sie werfe aber die Frage auf, warum das westliche Verteidigungsbündnis erweitert werden soll, statt ein gemeinsames Sicherheitssystem aufzubauen.

Russlands Krieg lässt diese grüne Haltung offenbar endgültig in Schall und Rauch aufgehen. Bewaffneter Friede und Waffenexporte bestimmt jetzt die grünen Militärdoktrin.

Wohin jedoch dieser grüne Bellizismus führt, zeigt das explosive Säbelrasseln an einer anderen Ost-Grenze Europas. Das Nato-Mitglied Türkei macht jetzt von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch und bombardiert mit seinen Flugzeugen kurdische Stellungen der PKK in seinem Grenzgebiet. Im düsteren Schatten des Ukraine-Krieges entwickeln sich unheilvolle Folgen.

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Kommentare ( 93 )

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jorgos48
1 Jahr her

Da haben die Pazifisten die Grünen in den Bundestag und in die Regierungs gewählt. Und jetzt haben sie Bellezisten bekommen. Leute wie das Annalenchen, die garnicht schnell genug Panzer und anderes schweres Kriegsgerät an die Ukraine liefern möchte. Leider oder zum Glück hat Deutschland nichts im Köcher. Glaubt denn jemand wirklich, die Ukraine könne Russland besiegen. Die Verlängerung des Widerstandes ist die Verlängerung des Leidens der Zivilisten. Solange Russland kein NATO Gebiet Angreift, solange schaut der Westen dem Massaker zu. Niemand will hier einen großen Krieg mit Russland provozieren. Und Putin traue ich zu Nuklearwaffen einzusetzen, wenn er den Eindruck… Mehr

Ben Goldstein
1 Jahr her

Ich finde es toll, dass die Grünen viele heilige Kühe schlachten. Wenn jetzt noch mehr heilige Kühe verschwinden und andere Leute auch ihre Verbohrtheit ablegen, kehrt vielleicht wieder die Vernunft ein.

Forist_
1 Jahr her

Lieber Autor, ich meine Sie irren. Nein, nicht darin, daß die Grünen Bellizisten sind. Nur darin, daß sie es mal nicht waren. Der Überfall auf Jugoslawien fand mit Beteiligung der Bundesluftwaffe statt, der erste Angriffskrieg der Bundesrepublik, unter einer SPD-Grünen Regierung.
Die waren schon immer eher schlicht denkende Ideologen, die sich im Besitz der einzigen Wahrheit wähnten. Wenn man derart Recht hat muss man diese einzig richtige Lösung natürlich auch mit Gewalt durchsetzen.
Leider haben meine Mitbürger mehrheitlich ein zu kurzes Gedächtnis, sonst wäre diese Wiederholung nicht passiert.

Logiker71
1 Jahr her

Ich habe mir vorsorglich jede Menge Kerzen erhamstert, bevor es Dank der Grünen Rappelduster wird und die Regale dafür leer gehamstert sind. Kerzen brauchen keinen Strom. Strom, der bald nicht mehr bezahlbar ist. Gute Nacht Deutschland!!!

Konservativer2
1 Jahr her

Nicht bei uns. Das Miniwahr ist stattdessen bereits dabei, die Geschichte umzuschreiben: „welche Fehler wurden im Umgang mit Russland in der Vergangenheit gemacht?“. Schröder ist schon weggecancelt, Schwesig steht kurz davor. Die wahren fehler werden zwar nicht benannt, aber egal…

gmccar
1 Jahr her

Eine Obergrüne Außenministerin ist Young global Leader zu Schwab/WEF-Zwecken und der Rotgrüne Rest versteht sich als Support-Aktivist dieser Organisation. Merkel war dies bereits 1993 in der Group of `93 bis heute. Konstruktionshelfer zum Failed State

Last edited 1 Jahr her by gmccar
Konservativer2
1 Jahr her

Schon als Jugendlicher hatte ich den Verdacht, dass in jedem Grünen etwas Gewalttätiges steckt, das gerne raus möchte. Die grüne Ideologie hatte für mich immer etwas von einer (Ersatz-)Religion; da kommt doch ein kleiner Kreuzzug dann und wann ganz gelegen. Mühsam unterdrückte Aggressionen gegen sich und andere können dann mal raus: Selbstgeißelung meets Inquisition.

Karl Schmidt
1 Jahr her

Grüne Politik ist ständig mit Schadensbegrenzung beschäftigt – Schäden, die die eigene verbohrte ideologische Haltung angerichtet hat. Das wird bei der Migration so sein, ist schon bei der Energiewende eingetreten (aber wird noch geleugnet) und wird im Fall der missglückten Friedenssicherung in Europa bereits eingeräumt. Grüne wären nicht Grüne, wenn sie sich nicht ins nächste politische Abenteuer stürzen würden. Nachdem sie eine niedrigschwellige waffen- und bündnisgestütze Friedenspolitik versäumt haben, glauben sie ihr Versagen nun wieder gut machen zu können, was tatsächlich ein gefährliches Unterfangen ist – und mit Verlaub: Die deutschen Interessen stehen stets an erster Stelle. Es kann nicht… Mehr

Wolfgang Schuckmann
1 Jahr her

In einer Gesellschaft die nicht die Defizite in Bezug auf politische Bildung hätte, würde sich dieser gärige Haufen schon lange selbst abgeschossen haben. Die Grünen verraten Jeden und Alle, und damit auch sich selbst, und werden als politische Tarnkappenbomber noch nicht mal erkannt. Eine Opportunistenbande von besonderer Qualität beginnt sich zu benehmen wie die totalitären Jakobiner in der französischen Revolution.

Theophil
1 Jahr her

Waffenlieferungen in Kriegsgebiete gehen manchmal auch nach hinten los. Die afghanischen Taliban sollen eine der mit NATO-Waffen bestens ausgerüsteten Armeen des Mittleren Ostens haben. Und die Russen – liest man (nur nicht in deutschen Medien) – sollen in Mariupol ein so großes Waffenarsenal vorgefunden haben, dass sie eigene Waffen fast gar nicht mehr einzusetzen brauchen. Also dann mal los!