Rente mit 63: Die GroKo vergrößert den von ihr beklagten Fachkräftemangel selbst

Es ist verrückt, aber wahr. Die Große Koalition hat dafür gesorgt, dass der Fachkräftemangel bei uns größer wird. Zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten ist das Durchschnittsalter der Neu-Rentner im Jahr 2014 wieder gesunken, von 64,1 auf 64,0 Jahre. Das Übel hat einen Namen: Rente mit 63.




Dabei kann man nicht sagen, Schwarz-Rot habe den drohenden Fachkräftemangel nicht im Blick. Im Koalitionsvertrag kommen die Worte Fachkräfte, Fachkräftemangel, Fachkräftesicherung, Fachkräftebedarf, Fachkräftenachweis und Fachkräftebasis insgesamt 31 Mal vor. Immer mit beschwörendem Unterton, immer mit der Zusage, man werde alle Anstrengungen unternehmen, um der drohenden Lücke entgegenzuwirken.

Reden und Handeln fallen auseinander

Das Verrückte ist nur, dass dieselbe GroKo mit ihrer Rente mit 63 genau das Gegenteil bewirkt. 136.000 Arbeitnehmer haben in den sechs Monaten seit dem 1. Juli 2014 die Gelegenheit genutzt, nach 45 Beitragsjahren ohne Abschläge in Rente zu gehen. Die Zahl der noch berufstätigen Männer und Frauen im Alter von 63 plus ist damit nach vorläufigen Berechnungen um etwa drei Prozent gesunken. Besonders misslich: In den gefragten MINT-Berufen – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – war der Abgang sogar dreimal so groß: minus 9 Prozent.

Nutznießer der 63er-Regelung sind vor allem Facharbeiter der geburtenstarken Jahrgänge 1951 bis 1963, die gleich nach der Schule – damals noch mit 15 oder 16 Jahren – ihre Lehre begannen, sich teilweise bis zum Meister hochgearbeitet haben und später oft wichtige Positionen einnahmen, in der Fertigung wie in der Verwaltung. Diese Jahrgänge können dank ihrer Lebensleistung mit deutlich höheren Renten rechnen als ihre Söhne und Töchter, die diese Renten finanzieren müssen. Viele von ihnen haben zudem Anspruch auf Betriebsrenten. Warum aber soll diese Gruppe von Edelrentnern rentenpolitisch privilegiert werden? Dafür gibt es nur einen Grund: Diese Arbeitnehmer zählen zur Kernklientel der SPD. Wenn das nicht für ein Renten-Bonbon reicht, was dann?

Von der Rente mit 63 profitieren, wenn auch in wesentlich geringeren Umfang, ostdeutsche Frauen. Die kommen dank der staatlichen Rund-um-Kinderbetreuung zu DDR-Zeiten leichter auf 45 Beitragsjahre als ihre westdeutschen Altersgenossinnen. Ob Mann oder Frau: Wer es auf 45 Beitragsjahre bringt, dem winkt ohnehin fast immer eine überdurchschnittlich hohe Rente. Die Folge: Von der Rente mit 63 profitieren in erster Linie diejenigen, die diese Sonderleistung am wenigsten brauchen.

Gerechtigkeit für die Hätschelkinder der GroKo

Schwarz-Rot begründet das – nicht sehr originell – mit „Gerechtigkeit“. Frau Nahles schwärmt sogar von einem „weiteren Kapitel der Sozialen Marktwirtschaft“. Dabei ist es höchst unsozial, bestimmte Jahrgänge besonders zu privilegieren. Genau genommen werden nur den Jahrgängen 1951 und 1952 zwei zusätzliche Jahre ungeschmälerten Rentenbezugs gegönnt. Nur sie dürfen, wenn sie wollen, zwei Jahre früher in Rente gehen. Aber auch die Jahrgänge 1953 bis 1963 bekommen eine Sonderregelung geschenkt. Ihnen gewährt die GroKo – allerdings mit einem jährlich um zwei Monate schrumpfenden Vorteil – auf Kosten der Beitragszahler ebenfalls mehr bezahlte Freizeit. Während das Renteneintrittsalter für „Normalos“ bis 2029 auf 67 steigt, erhöht es sich für diese Hätschelkinder von Schwarz-Rot schrittweise nur auf 65.

Faktisch ausgeschlossen von der Rente mit 63 sind alle Berufe, die Abitur oder eine drei- bzw. vierjährige Fachholschulausbildung voraussetzen. Denn während Lehrjahre in Industrie und Handwerk bei der Rentenberechnung als Beitragsjahre mitgezählt werden, gilt das beispielsweise beim Besuch einer Fachhochschule nicht, ein Nachteil zum Beispiel für Erzieher, Krankenschwestern oder Pfleger, die häufig erst mit 20 ihre schulische oder duale Ausbildung beendet haben. Sie können die geforderten 45 Beitragsjahre im Alter von 63 nicht nachweisen. Auch hier sind in erster Linie Frauen benachteiligt. Es scheint, als wolle die SPD ein letztes Mal die Flagge als Interessenvertreter der männlichen Facharbeiter schwingen. Und die CDU schaut in der Hoffnung zu, auf diese Weise ihr sozialpolitisches Image aufzupolieren. „Neoliberalismus“ war gestern, heute ist Wohlfühl-Politik angesagt.

Die Rente mit 63 ist nicht nur fatal, weil sie viel Geld kostet, zusammen mit der Mütterrente tendenziell die Rentenbeiträge ansteigen lässt, Rentenerhöhungen dämpft und die rückläufige Zahl der jüngeren Beitragszahler über Gebühr belastet. Sie ist auch arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv; sie reißt in den Betrieben große Lücken und treibt den Personalplanern in Metallbetrieben, in der Automobilindustrie oder bei der Bahn den Angstschweiß auf die Stirn. Doch was zählt das alles? Bei diesem „extra Schluck aus der Pulle“ geht es der GroKo um viel Größeres als reibungslose betriebliche Abläufe: um „Gerechtigkeit“ und Wählerstimmen.




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