Von wegen kein Stromproblem: Die Börsen-Preise explodieren gerade

Dem Anstieg der Gas-Preise wird demnächst ein extremer Preisanstieg für Strom folgen. An der Energiebörse EEX explodieren gerade die Kurse für Kontrakte. Umso unverantwortlicher, dass die Bundesregierung die Kohleverstromung bremst und den Weiterbetrieb der Atomkraft nicht angeht.

IMAGO / Michael Gstettenbauer
Drehstromzähler

Laut Bundesminister Robert Habeck hat Deutschland ein „Wärmeproblem, kein Stromproblem“. Ein Blick auf aktuelle Marktentwicklungen zeigt, dass das nicht stimmt. Und in der Bundesregierung herrscht immerhin so viel Realismus, dass man das selbst nicht so recht glaubt und einen zweiten Stresstest für die Stromversorgung im Winter 2022/23 angekündigt hat.

Eine „ausgedehnte angespannte Marktlage“ („Extended Stressed Market Situation“) meldet die European Energy Exchange (EEX) am heutigen Mittwoch auf ihrer Website. Und zwar für die Strom-Future-Märkte in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Niederlande, Belgien, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen, Rumänien, Spanien, Bulgarien, Serbien, Slowenien, Schweiz, Griechenland und Großbritannien. Und nachträglich meldet die EEX auch noch Stress am nordischen Markt.

Das heißt, salopp formuliert, an den Energiemärkten ist der Teufel los. An der EEX werden Kontrakte für eine Bandlieferung für 2023 für über 500 Euro pro Megawattstunde gehandelt, vor einem Jahr waren es rund 70 Euro. Es ist also so gut wie sicher, dass zu den bereits extrem gestiegenen Gas-Preisen für die Endkunden in Kürze auch extrem gestiegene Strom-Preise hinzukommen werden. 

Zumindest in SPD-Kreisen, die den ökonomischen Wirklichkeitssinn noch nicht aufgegeben haben (aber von der gegenwärtigen Parteispitze und damit der Bundesregierung marginalisiert werden), wird das durchaus registriert. Im „Blog politische Ökonomie“ von Nils Heisterhagen schreibt Christoph Maurer, Chef des Energieberatungsunternehmens Consentec: „Auch wenn aufgrund bestehender langfristiger Lieferverträge die Kostensteigerungen zu großen Teilen noch gar nicht bei den Verbrauchern angekommen sind: Die Strompreise werden absehbar ein Niveau erreichen, das für industrielle wie private Verbraucher gleichermaßen schmerzhaft ist. Wir haben somit ohne Frage ein sozial- und industriepolitisch relevantes Stromkostenproblem.“

Ein Teil der extremen Preiserhöhung ist auch durch den reparaturbedingten Ausfall vieler französischer Atomkraftwerke zu erklären. Aber speziell für Deutschland kommen noch politische Entscheidungen hinzu. Zur Abschaltung deutscher Atomkraftwerke, die zwar immer wieder diskutiert und im weniger Energiewende-gläubigen Ausland bezweifelt wird, ohne dass es bislang konkrete Schritte in der Ampel-Koalition gibt, endlich den Weiterbetrieb anzuleiern, kommt hinzu, dass der Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke zwar von der Bundesregierung ermöglicht, aber nicht forciert wird. Die Kraftwerksbetreiber haben jedenfalls kaum von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, wohl auch, weil die Erlaubnis zur Kohleverstromung vom Habeck-Ministerium befristet und an strenge Bedingungen geknüpft ist.

Stattdessen wurde auch in diesem Gasmangel-Sommer weiterhin massenweise knappes Gas verstromt, sogar mehr als in den Jahren zuvor. „Wie will man dem Bürger denn erklären, er soll sparen oder frieren, wenn zugleich Milliarden Kubikmeter des wertvollen Rohstoffs völlig unnötig verfeuert werden“, fragt Werner Marnette, CDU-Politiker und ehemaliger Vorstandschef der heute als Aurubis firmierenden Kupferhütte gegenüber der Welt: „Die Fortsetzung der vermeidbaren Verstromung von Erdgas auf hohem Niveau ist verantwortungslos, wenn nicht sogar strafbar.“

Auch Maurer hält es für geboten, „die Gasverstromung so weit wie möglich zurückzufahren“. Aber er macht zusätzlich noch auf andere Gründe für eine möglicherweise steigende Stromnachfrage im Winter aufmerksam, die die Preise schon jetzt treibt: „Denn angesichts einer befürchteten physischen Gasknappheit haben viele Haushalte strombasierte Heizgeräte wie Heizlüfter und Radiatoren beschafft. Sollten diese Geräte tatsächlich zum Einsatz kommen, würde sich die Spitzenlast deutlich und schwer prognostizierbar über das in vergangenen Betrachtungen zur Versorgungssicherheit erwartete Maß hinaus erhöhen.“

Und: „Schließlich wird die aktuelle Hitzewelle und Dürre in weiten Teilen Europas Auswirkungen auf die Stromversorgung auch im kommenden Winter haben. Selbst wenn Probleme mit dem Brennstofftransport über Binnenwasserstraßen bis dahin ausgeräumt sind, weisen die großen hydraulischen Speicher im Alpenraum und in (Süd-)Skandinavien einen für die Jahreszeit untypisch niedrigen Füllstand auf und werden im kommenden Winter vermutlich weniger Strom produzieren können als üblich. In Norwegen werden deshalb bereits Beschränkungen für den Stromexport nach Resteuropa diskutiert.“

Das werde zwar nicht zwangsläufig dazu führen, dass im kommenden Winter die physische Sicherheit der Stromversorgung nicht mehr aufrechterhalten werden kann und Verbraucher unfreiwillig vom Netz getrennt werden müssen. Aber seine Beruhigung ist an Bedingungen geknüpft und klingt dadurch nicht mehr ganz so beruhigend: „Vielmehr spricht manches dafür, dass die diskutierten Probleme zumindest bei einem eher warmen Winter beherrschbar bleiben. Gleichzeitig sind relevante Risiken für die Versorgungssicherheit bei einer ungünstigen Entwicklung der äußeren Randbedingungen, z. B. einem kalten Winter mit einer weiterhin hohen Nichtverfügbarkeit der französischen AKW, aber nicht auszuschließen und deutlich höher als in vergangenen Wintern.“ Noch sei unser Stromproblem also auf die durch die Gaskrise verursachten Kostensteigerungen begrenzt. „Noch“.

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Kommentare ( 78 )

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elly
1 Jahr her

Vor der Bundestagswahl behaupteten die Grünen und ihre Steigbügelhalter NGOs, die Lebensmittel und Energie in Deutschland wäre viel zu billig. Sie wurden auch dafür gewählt, dass die Energiepreise explodieren. Putins Angriffskrieg ist die willkommene Ausrede.

Sonnenschein
1 Jahr her

Also ich habe gestern meine 2te Erhöhung der Abschlagszahlung für Strom bekommen (im Juni wurde schon um 50% erhöht) nun der 2te neue Abschlag, ab Oktober eine Erhöhung um 168%. Und das ist noch nicht das Ende denke ich.

Cesare Medici
1 Jahr her

Die jetzige Bundesregierung hält noch bis nach der Sommerpause 2023. Das habe ich bereits direkt nach der Bundestagswahl 2021 prognostiziert.
Dass danach eine Regierung kommt, die wieder zu mehr Optimismus Anlass gibt, glaube ich allerdings nicht.

WilliWillWegHier
1 Jahr her

Läuft doch alles nach Plan: Erst sollen die Bürger weg vom Öl weil Öl ist böse und Gas ist sauber. Der Michel macht’s und kauft dank Förderung eine neue Gasheizung (ich auch ;-), war aber schon 28 Jahre alt). Dank unfähiger grüner Politiker ist Gas nun unbezahlbar und böse und Wärmelampe sauber, und viele rüsten gerade auf Wärmepumpe um. Nur welch Schildbürgerstreich: Nun wird auch der Strom unbezahlbar, denn der Strom dafür kommt auch wieder nur aus Gaskraftwerken (welch Wunder .. .). Also ganz im Ernst: Wer diesen Zirkus immer noch mitmacht lässt sich auch gerne verar*** !!! Aber das… Mehr

Nun ja
1 Jahr her

Die Probleme werden unbeherrschbar. Die Betreiber von Altenheimen dürften z.B. vor derartig extremen Herausforderungen stehen, die schon jetzt die nächste Interventionsspirale des Staates erahnen lassen. So frisst sich die Planwirtschaft immer weiter voran. Nur wird sie immer von den Ereignissen überrollt werden. Der Gang nach Moskau, einschliesslich der bereits in Katar einstudierten Bücklinge, wird für den roten und grünen Politikadel im Spätherbst unumgänglich sein. (Wirtschafts-)Kriege verliert man eben auch das eine oder andere Mal. Und sich gegen diese Erkenntnis zu sträuben macht es nicht besser, sondern nur noch schlimmer. Wenn die grünen ihre ideologischen Träume noch ein paar jähre bewahren… Mehr

ketzerlehrling
1 Jahr her

Was wird der Michel erst sagen, wenn er erfährt, dass die Gasumlage nicht alles ist? Gazprom will im Herbst die Preise erhöhen, ziemlich drastisch. Putin Russland spielt nun doch die Energiekarte aus und bedienen sich der Grünen als für sie nützliche Idioten, weil die genau das tun, was man von ihnen erwarten kann und darf.

Nun ja
1 Jahr her
Antworten an  ketzerlehrling

Gazprom hat auf die zu erwartende Gaspreisentwicklung an der Börse hingewiesen. Die Summen die dabei genannt wurden, sind bei weitem nicht die Preise, die Gazprom selbst aufruft. Das wurde in den Medien etwas missverständlich dargestellt.

Kraichgau
1 Jahr her
Antworten an  Nun ja

es geht IMMER um die Börenpreise,denn Gasprom hat mit D im Gegensatz zu zb Polen sehr langfristige unveränderte Verträge,meine,es waren 200-250€ pro 1000 Einheiten..der Unterschied zu den kommunizierten irren Preisen ergibt sich durch die durch die EU eingeführte Börsenhandelei dieses zu Fixpreisen eingekauften Gases durch Zwischenhändler

Timur Andre
1 Jahr her

Viele denken nach diesem Winter ist das Problem vorbei, dabei wird 23/24 genauso schlimm, dazu kommen massiv gestiegene Lebensmittelpreise durch die Ernte 22.

JamesBond
1 Jahr her

Dilettanten wohin man schaut, kennen die einfachsten Regeln nicht – aber was will man von solchen Politclowns und ihren Juniorberatern von Macy und Co. Anderes erwarten: Dumm und mehr.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Wenn im Winter alle mit Heizlüftern heizen, weil deren Gasheizungen staatlich verordnet lauwarm vor sich hindümpeln, dann ist natürlich ein deutlich höherer Stromverbrauch zu erwarten. Und der lässt sich dann durch Spekulanten an der Strombörse wunderbar monetarisieren. Da haben einige Leute wohl den richtigen Riecher für das Geschäft ihres Lebens. Ich muss in diesem Zusammenhang gerade an die unendliche Geldmacherei bei den Corona Testcentern denken. Die Gier nimmt wohl einfach kein Ende.

Timur Andre
1 Jahr her
Antworten an  Ralf Poehling

Das Netz wird zusammenbrechen und wir bekommen dann den richtigen Blackout, mit 6 Wochen Stillstand.

jopa
1 Jahr her
Antworten an  Timur Andre

Und dann sind Alu, Stahl und Glaswerke kaputt und tot. Und wiederaufgebaut werden sie überall, nur nicht in D. Dann gibts auch wieder ausreichend Gas, weils keiner mehr bezahlen kann.

Thorsten
1 Jahr her

Selbst wenn die Lage sich beruhigen sollte: in einem Jahr ist der nächste Sommer auf dem Kalender.
Da wird wieder genau das Gleiche mit den französischen AKWs passieren.

Nun ja
1 Jahr her
Antworten an  Thorsten

Irgendwann ist der Wartungsrückstau bei denen abgearbeitet. Es war auch von Macron eine dumme Idee, zu Beginn seiner ersten Amtszeit eine Art von französischen Atomausstieg zu verkünden.

Wuehlmaus
1 Jahr her
Antworten an  Thorsten

Die rüsten derzeit ihre Kraftwerke auf die Laufzeit der nächsten >20 Jahre auf. Das machen die nicht nächstes Jahr.
Und die wegen Corona aufgeschobenen Wartungsarbeiten sind auch bis nächstes Jahr abgearbeitet!