Über die Dummheit – Und weshalb man keine Angst vor ihr haben sollte

Dumm sein ist etwas anderes als eine Dummheit machen. Das Problem sind meistens nicht die Dummheiten, die vorkommen, wo auch immer gehandelt wird. Irrtümer sind unvermeidlich. Aus Angst vor einem Irrtum nichts zu tun, ist die größere Dummheit.

Die aktuell größten Gefahren der Freiheit? Lieber Roland Tichy, es sind unsere Ängste und unsere Dummheit. Sie anzuprangern wurde der vor drei Tagen im Alter von neunzig Jahren verstorbene große Historiker Fritz Stern bis zuletzt nicht müde. In memoriam Fritz Stern hier einige Anmerkungen über die Dummheit. Und darüber, was diese mit den Ängsten zu tun hat.

I.

Dumm sein ist etwas anderes als eine Dummheit machen. Das Problem sind meistens nicht die Dummheiten, die vorkommen, wo auch immer gehandelt wird. Irrtümer sind unvermeidlich. Aus Angst vor einem Irrtum nichts zu tun, ist die größere Dummheit.

Zu den größten Dummheiten unserer Politiker gehört also der Irrglaube, Risiken müssten und könnten vollkommen ausgeschlossen werden. Obwohl das unmöglich ist, verzichten sie oft auf das, was früher, in weniger ängstlichen Zeiten Fortschritt genannt wurde.

Aktuelles Beispiel Glyphosat. Der Schaden des bewährten Unkrautvertilgungsmittels für den Menschen ist kaum nachzuweisen, nur ganz und gar ausschließen lässt er sich eben nicht. Der Nutzen dagegen ist unbestreitbar. Die rot-grünen Glyphosat-Verbieter streben zurück zur Natur. Jäten, hacken, pflügen. Gewaltig der Aufwand, gewaltig die Folgen für die Landwirtschaft und für die Lebensmittelpreise. Die Dummheit tritt hier im Gewand der Moral und der Vernunft auf die Bühne. Als ob eine effiziente Landwirtschaft nicht mindestens so moralisch wäre, und die Akzeptanz eines verschwindend geringen Restrisikos absolut vernünftig.

Dummheit paart sich in diesem Fall mit Ideologie. Auch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ideologie ist nichts anderes als ein auf Dummheit gebautes Gedankengebäude. Gebildete Dummköpfe sind oft schlimmer als ahnungslose, weil sie unbelehrbar sind.

Anderes Beispiel: Wie dumm, dass Deutschland auf die technologische Fortentwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie verzichtet! Sie würde nicht nur unserer Wirtschaft, unserer Energieversorgung und dem Klimaschutz dienen, sondern vor allem auch unserer eigenen Sicherheit. Deutschland ist von Atomkraftwerken umzingelt, auf deren Technik wir keinerlei Einfluss mehr nehmen, weil wir uns selbst den technischen Fortschritt verbieten.

II.

AfD-Mann Höcke spekuliert mit der Dummheit der Leute. Er wettert gegen den Bau einer winzigen Moschee mit Zierminarett für siebzig gut integrierte Moslems einer harmlosen Spielart des Islams in Erfurt. Dort, wo von Überfremdung keine Rede sein kann. Auf zynische Weise spielt der Goebbels-Imitator mit irrationalen Ängsten.

Besonders dumm daran ist, dass er damit von der Debatte um die wirklichen Gefahren eines radikalen, politischen Islams ablenkt. Nicht Minarette sind gefährlich, sondern Terroristen, die Dank Erdogans Deal mit Merkel leichter nach Deutschland einwandern können. Die Ablehnung der Minimoschee ist reine Symbolpolitik. Wer etwas ändern will, darf nicht den Islam bekämpfen, sondern muss helfen, ihn zu ändern. Er muss verhindern, dass türkische Imame junge Deutsche unterwerfen, dass unreflektierte Glaubenssätze zu blindem Gehorsam erziehen. Was autoritäre religiöse Erziehung anrichtet, wissen wir aus der deutschen Geschichte. Sie produziert bigotte Untertanen, die sich von Despoten einspannen lassen.

Höcke und Co. beleidigen nicht nur ein paar Muslime, sondern auch den Verstand aller, die vernünftigerweise vor Parallelgesellschaften warnen und dafür von den guten Dummen zu den bösen Dummen geschlagen werden. Beiderlei Dummköpfe zerstören den notwendigen Diskurs um erfolgreiche Integration.

III.

Nicht nur der Anteil der Abiturienten an der Bevölkerung steigt, auch deren Noten verbessern sich im Schnitt. Trotzdem wird mit Fug und Recht die Abnahme des Bildungsniveaus beklagt. Es ist besonders dumm, wenn eine Gesellschaft Bildungsferne organisiert, ja zertifiziert und honoriert. Die Misere beweist, dass Dummheit wenig mit mangelnder Intelligenz zu tun hat. Aber sehr wohl etwas mit der Unterhaltungssucht, die inzwischen auch das Bildungssystem erfasst hat.

Eine grandiose Verdummungsmaschine ist das Fernsehen. Besonders dumm ist es, wenn es seichte Banalitäten als Weisheit serviert. Dann wird Aufklärung zu Ramschware. Ein besonders dämliches Beispiel lieferte jetzt das ZDF und ihre preisgekrönte Starreporterin Dunja Hayali. Ihre Reportage „Was glaubt ihr denn?“, eine Weltreise „durch die Religionen“ war in dieser Hinsicht kaum mehr zu unterbieten. Ich möchte nicht so weit gehen, Glaubensstärke als eine Form von Dummheit zu bezeichnen. Glaubensstärke kritiklos anzuhimmeln, aber ist tatsächlich dumm. Die Sendung war ein Beispiel für die Abdankung der Aufklärung zugunsten gefälliger, eitler Selbstdarstellung einer Reporterin, die nichts wissen, nur alles erleben wollte. Folklore statt Gedanken. Emotion statt Intellekt. Gebührenmissbrauch.

IV.

Mit einem Klick steht uns, wie wir meinen, das gesamte Wissen der Menschheit zur Verfügung. Tatsächlich aber ist der epidemische Missbrauch des Smartphones die wahrscheinlich größte Massenverblödungsbewegung aller Zeiten – noch weit vor den diesbezüglichen Versuchen aller Weltreligionen. Statt mit den Leuten unserer Umgebung zu kommunizieren, verkriechen wir uns in Meinungsblasen. Geistige Bequemlichkeit statt Neugier. Geblöke statt Artikulation. Verlust von Anstand und Stil statt Diskurs. Aber auch die Religionen haben sich ja geändert im Laufe der Zeit (leider nicht immer zum Besseren). Vielleicht gelingt es uns auch beim Gebrauch einer Technik, die die Menschheit stärker verändern wird als sämtliche Religionen bisher.

In diesem Sinne stets
Ihr Wolfgang Herles

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