Ein Spiegelbild der Geschichte – Oder: Lernen von der APO

Die offene Gesellschaft war der APO kein Vorbild. Und so ist es noch heute. In schwarz-rot-grünen Köpfen spukt die Vorstellung, Deutschland (und am besten auch der Rest der Welt) könne nach ihren Maßstäben genesen.

Servus Tichy, die meisten Leser dieser Zeilen sind sich vermutlich einig: Die Achtundsechziger haben eine politische und kulturelle Hegemonie entfaltet, die dieses Land heute beherrscht. Sie umfasst die schwarz-rot-grünen Parteien, das Bildungswesen, die Kirchen, die Kulturinstitutionen und Mainstreammedien. Wahrscheinlich zeigen Sie mir gleich den Vogel, wenn ich behaupte: Der Geist der Revolte täte Deutschland gut.

I.

Auch die APO entstand zu Zeiten einer Großen Koalition (Kanzler: Kurt Georg Kiesinger). Auch damals revoltierten die Studenten gegen einen übermächtigen Mainstream. Ihr Aufstand spaltete die Gesellschaft, kreierte auf beiden Seiten Wut und Hass. Das Wirtschaftswunder war damals voll erblüht – die Studenten bissen die Hände, die sie großzügig versorgten. Ihr Protest war nicht erwünscht; die plötzliche Vielstimmigkeit erschreckte den Bürger. Und heute? Streit ist wieder verpönt. Die Mitte ist in Konformismus erstarrt. Die Kanzlerin und ihr Juste Milieu verweigern den offenen Diskurs über fast alle wesentlichen Zukunftsfragen. Sie grenzen die wachsende Protestbewegung aus. Dem Mainstream gilt Konsens als demokratisches Ideal. Die Mehrheit sieht sich heute wie damals nicht nur faktisch auf dem richtigen Weg, sondern auch moralisch auf dem hohen Ross.

II.

Die APO damals revoltierte gegen den Staat. Heute protestiert eine kleine Minderheit von Bürgern gegen den Staat. Die Herrschenden heute sehen in ihr Rechte, gefährlich Rechte, so wie die damals Herrschenden alles „Linke“ von vornherein als „kommunistisch“ verteufelten. Der Witz ist, dass die erfolgreich durch die Institutionen marschierten Achtundsechziger und ihre Erben „ihren“ Staat „gegen Rechts“ verteidigen. Aus der APO sind Opas geworden. Die bekämpften damals die gutbürgerliche Mitte. Heute stehen sie in der gutmenschlichen Mitte und halten dies für Fortschritt. Den Bürgern, die sich zur Wehr setzen, ist dieser Staat zum Gegner geworden. Statt seine Aufgaben zu erfüllen und die Bürger zu schützen, „terrorisiert“ er die gewöhnlichen Steuerzahler. Die „linken“ Repräsentanten dieses Staates können das nicht verstehen. Es läuft doch! Deutschland wandle sich zu seinem eigenen Besten, glauben sie. Sie gehen gegen die schrille, ungehobelte, radikale, provokante „rechte“ APO los, die ihnen so auf die Nerven geht wie einst die radikale, schrille, ungehobelte, provokante „linke“ APO den Politikern der Bonner Republik.

III.

Es gab auch damals „Lügenpresse“. Sie hörte auf den Namen Springer-Presse und tat alles, um die „linken“ Studenten auszugrenzen und zu radikalisieren. Das erledigt heute die „linke“ Mainstreampresse.

IV.

Nur ein winziger Teil der damaligen APO hat sich radikalisiert. Ein entscheidendes Ereignis war der Mord am unbeteiligten Studenten Benno Ohnesorg durch den Berliner Polizisten Kurras, der auch für die Stasi arbeitete. Heute zweifeln „rechte“ Bürger an der Art und Weise, wie der Staat sein Gewaltmonopol ausübt. Der tut nicht genug, glauben sie, gegen die negativen Folgen der islamischen Migration und die Bedrohung durch islamistischen Terror. Der Terror der RAF damals hatte mit der „linken“ Studentenbewegung nicht mehr und nicht weniger zu tun, als der nicht zu verleugnende Rechtsterrorismus heute mit der neuen „rechten“ Bürgerbewegung. (Wobei die RAF der NSU als Vorbild diente.) Es war damals falsch, die Studentenbewegung insgesamt für die RAF verantwortlich zu machen, so wie es heute falsch ist, die AfD in die Nähe der Neonaziszene zu rücken.

V.

Die Studentenunruhen in Deutschland waren Teil einer globalen Bewegung. Sie war in den USA (gegen Rassismus, gegen den Vietnamkrieg) ebenso lebendig wie im Ostblock (Prager Frühling). Heute ist das, was die herrschenden Eliten als „Rechtspopulimus“ verabscheuen, in vielen Demokratien zu sehen, in den USA ebenso wie in Frankreich, England, Polen, Ungarn und anderen Ländern Europas. Es ist vor allem eine Bewegung der Angst vor den Folgen der Globalisierung.

VI.

Die Studentenbewegung war eine kulturelle Bewegung. Nicht zuletzt ging es um die sexuelle Befreiung einer bigotten Gesellschaft – in dieser Hinsicht wirkte sie weit über das „linke“, studentische Milieu hinaus. Wie ist das heute? Versucht nicht die herrschende Gender-Bewegung das Verhältnis der Geschlechter politisch korrekt zu strangulieren und zu korrigieren? Ist das Übermaß an Toleranz gegenüber dem Islam nicht auch ein Angriff auf das, was wir einmal sexuelle Freiheit nannten? Und weshalb sind es ausgerechnet die Befreier von einst, die neue Grenzen setzen? Nie war der Umgang zwischen erwachsenen Frauen und Männern verklemmter als heute an den Hochschulen, und nicht nur dort.

VII.

Die Studenten damals standen auf gegen Eltern, die Hitler gefolgt oder ihn zumindest nicht verhindert hatten und darüber am liebsten schwiegen. Das scheint ein wesentlicher Unterschied gegenüber heute. Schaut man jedoch genauer hin, ist auch hier das Spiegelbild erkennbar. Auch die Achtundsechziger wollen ihre Fehler nicht einsehen. Zwar haben sie keinen Krieg und keinen Völkermord auf dem Gewissen, aber sie folgten blind einer Ideologie, neigten zu totalitären Ansichten. Auch wenn sie von Freiheit sprachen, dachten sie nur an die Diktatur ihres eigenen Weltbilds. Die offene Gesellschaft war ihnen kein Vorbild. Und so ist es noch heute. In schwarz-rot-grünen Köpfen spukt die Vorstellung, Deutschland (und am besten auch der Rest der Welt) könne nach ihren Maßstäben genesen.

VIII.

Was könnten wir lernen aus dieser Geschichte? Wir könnten lernen, wie die Verhältnisse zu ändern sind.

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