Die richtige Seite der Geschichte

Die meisten Deutschen glauben, Merkel sei eine Meisterin der Krisenbewältigung. Es sind allesamt Krisen (Euro, Energie, Einwanderung), die sie selbst mit verursacht hat. Unter ihrer Regie ist auch die deutsche Demokratie verwahrlost. Sie hat alle Parteien der Mitte erledigt. Ein echtes Kunststück der Politik.

Lieber Roland Tichy, Barack Obama hat Angela Merkel drei Dinge voraus. Erstens kann er reden. Zweitens darf er nach zwei Wahlen nicht mehr kandidieren, was nach eigener Einschätzung dem Land gut tut. Und drittens weiß er, wo die richtige Seite der Geschichte liegt. Wie sonst käme er darauf, Angela Merkel dort zu finden?

I.

Ob jemand auf der richtigen Seite der Geschichte steht, entscheidet die Geschichte üblicherweise erst dann, wenn der- oder diejenige bereits Geschichte geworden ist. Immer, wenn Politiker für sich die Geschichte in Anspruch nehmen, schrillen bei mir Alarmglocken. Dann gehen ihnen die Argumente aus.

Früher fühlten sich Herrscher „von Gottes Gnaden“. Demokraten können damit gottlob nicht dienen. Hilfsweise berufen die sich auf die Geschichte, wenn sie den Wählern ihren Willen aufzwingen wollen.

II.

Wer sich auf der richtigen Seite der Geschichte wähnt, weiß meistens nicht, was er gerade anrichtet. Das geht nicht immer so gut aus wie in den folgenden Beispielen.
Judas verriet Jesus. Tatsächlich ermöglichte er den Kreuzestod. Ohne ihn gäbe es kein Christentum.

Luther wollte die katholische Kirche reformieren. Tatsächlich spaltete er sie. Columbus meinte den Seeweg nach Indien entdeckt zu haben. Tatsächlich war er in der Karibik gelandet.

Gorbatschow glaubte, dem real existierenden Sozialismus ein menschliches Gesicht verpassen zu können. Tatsächlich zerlegte er die Sowjetunion und ihr Empire.

Wir lernen: Die Geschichte hat Humor. Es sind oft die größten Irrtümer, die den größten Fortschritt verursachen. Aber auch die hehrsten Absichten, die den größten Schaden anrichten.

III.

Denkmäler erzählen weniger über die Figuren auf den Sockeln als über diejenigen, die Denkmäler errichten. Deutschlands Denkmalbestseller Otto von Bismarck ist dafür ein schönes Beispiel. Eigentlich wollte er nur mit militärischer Gewalt Preußen die Vorherrschaft über die deutschen Länder sichern. Wer sich weigerte, wurde von ihm aus der Geschichte getilgt. Die Welfen etwa, in deren schönem Schloss Herrenhausen Obama gerade über die Geschichte schwadroniert hat. Mit dem beschlagnahmten Vermögen der Welfen, dem Welfenschatz, bestach Bismarck den irren King of Bavaria. Die Bayern lieben den trotzdem. Und Bismarck wird als Einiger der Nation verehrt. Die Deutschen ließen sich von ihm die Freiheit für die Einheit unter Preußens Knute abkaufen. So brachte er die nationalistische Saat in die Scholle, die dann wucherte und in zwei Weltkriege führte. Bismarcks Absicht war das nicht. Stand er auf der richtigen Seite der Geschichte? Der deutsche Mainstream (siehe sämtliche Schulbücher) ist davon bis heute überzeugt.

IV.

In Bismarcks alter Reichshauptstadt wird systematisch das geistige und materielle Fundament der Bonner Republik verscherbelt. Von der sozialen Marktwirtschaft bis zur europäischen Vision. Die linkspopulistische Regierung schürt Ängste vor der wachsenden rechtspopulistischen Opposition. Auf der Strecke bleiben die kühle Vernunft, der lebendige Diskurs, die Zukunftsfähigkeit dieser Republik.

Was ist von einer Demokratie zu halten, in der der Untertanengeist noch lebt (z.B. in der CDU), in der der Staat vergöttert wird (z.B. in der SPD), ökologisch angebauter Größenwahn verrückte Blüten treibt (z.B. bei den Grünen), Konformismus herrscht (z.B. in den Medien), und immer mehr Leute dem Nationalismus verfallen (in der AfD, aber nicht nur dort)?

V.

Womit wir wieder bei Angela Merkel wären. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung weiß in dieser Woche schon „Warum Merkel 2017 noch einmal antritt“. Die Antwort des Blattes ist durchaus eine andere als die Obamas. Sie lautet schlicht: Weil sie nicht aufhören kann. Eingesponnen in den Kokon ihrer Alternativlosigkeit hält sie sich für unersetzlich. Ihre Anhänger halten sie für intellektuell überlegen. Das ist vielleicht der größte Irrtum. Ratlos läuft sie Stimmungen hinterher. Die meisten Deutschen glauben, sie sei eine Meisterin der Krisenbewältigung. Es sind allesamt Krisen (Euro, Energie, Einwanderung), die sie selbst mit verursacht hat. Das Desaster der GroKo-Volksparteien in Österreich übersieht sie. Unter ihrer Regie ist auch die deutsche Demokratie verwahrlost. Sie hat alle Parteien der Mitte erledigt. Auch die eigene – sie will es bloß nicht zur Kenntnis nehmen. Kann sie sich auf die Geschichte verlassen? Es wird Merkel-Straßen, Merkel-Plätze geben. Hopefully soon!

Die letzte Bemerkung streichen wir. Sonst gibt´s einen Paragraphen um die Ohren, aber keinen Rechtsschutz von Tichy. Richtig? Wir wünschen Angela Merkel noch viele unbeschwerte Premieren in Bayreuth. Wagner ahnte übrigens auch nicht, was er mit seiner Musik einmal anrichten würde.

In diesem Sinne stets Ihr
Wolfgang Herles

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