Der gescheitelte Buddha oder: Warum mich der Drehwurm plagt

Ich gehe jetzt im Karneval im Büßerhemd über die Domplatte. In der Maske eines Moralapostels. Moralapostel tragen immer Masken. Wussten Sie das? Sie zeigen nie ihr wahres Gesicht. Daran können Sie Moralapostel erkennen, Tichy! Als was gehen eigentlich Sie? Fragt Wolfgang Herles.

Lieber Roland Tichy,

nachdem ich kürzlich schon das Schwein in mir entdecken musste, fahnde ich jetzt nach dem kleinen rechten Schmutzfink, der sich in mir verbirgt. Jawoll! Versuchen Sie bitte nicht, mich zu beruhigen, denn was ich Ihnen jetzt zur AfD schreibe, lässt keinen anderen Schluss zu.

I.

Ich muss es nur einsehen. Zu meiner Schande bin ich in der Lage, das Wort Pegida auszusprechen, ohne danach sofort dreimal rituell auszuspucken. Schon das sollte einen stutzig machen. Noch bedenklicher ist, dass ich unsere Bundeskanzlerin für einen Kollateralschaden der WV gehalten habe, nicht erst seit sie die Mutter Courage der Flüchtlinge gibt. Ich sollte doch wissen: Wer unsere Anführerin nicht für ganz voll nimmt, verrät heimliche Sehnsucht nach einem wahren Führer. Deutlicher: Wer Merkel nicht mag, mag die Demokratie nicht. Noch deutlicher: Scheitert die Merkel, scheitert die Demokratie. Also aufgepasst!

II.

Wer wie ich meint, diese, unsere Demokratie sei in keinem guten Zustand, macht sich natürlich verdächtig. Die Original-Nazis meinten das nämlich auch. Bis auf einen kleinen Unterschied. Die Original-Nazis pfiffen auf das Parlament. Das tut unsere Bundeskanzlerin zwar auch; alle ihre großen Direktiven, von der Energiewende bis zur Öffnung der Grenze, kamen aus eigener Machtvollkommenheit. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes. Denn sie ist gut, die Original-Nazis waren schlecht. Was daran soll denn schlimm sein, wenn alle, die guten Willens sind, sich hinter ihr versammeln? Wir sind nun einmal ein Volk, das den Konsens liebt und den Streit verachtet. Dabei sollten wir uns von niemandem irritieren lasen. Von den Nachbarn um uns herum nicht und von Rechts schon gar nicht.

III.

Aber kaum habe ich diese Lektion gelernt, weiß ich schon wieder nicht, wo mir der Kopf steht. Die Mehrheit folgt neuerdings der Kanzlerin ja gar nicht mehr. Ja, nicht einmal die Kanzlerin selbst steht noch hinter ihrer Politik. Dieses Kunststück zeichnet wahre Führerschaft aus. So beweglich ist sie, so schnell kannst du gar nicht schaun. Du stehst nur dumm da. Und wo stehst du? Genau: Rechts. Nämlich dort, wo die Kanzlerin nie stehen wird, wie sehr sie sich auch wendet. (Von Wendungen versteht sie wirklich etwas. Hat es ihr Leben lang gezeigt.)

Man weiß nie genau, wo sie gerade steht. Denkt aber, dass man es wüsste. Nur eines steht inzwischen fest: Rechts ist da, wo die Kanzlerin nicht steht. Damit aber steht jeder, der sie kritisiert, rechts, wo denn sonst.

Das aber ist nicht schön. Du kriegst einen Drehwurm, obwohl du dich überhaupt nicht drehst. Und landest dort, wo du gar nicht hin willst, nämlich rechts. Und Rechts ist – siehe oben – schlecht für die Demokratie. Also schäm dich!

IV.

Ach so, die AfD. Aber erst mal zum Thema Migration. Eine Lektion, die auch nicht intus ist: Je mehr nicht integrierbare muslimische Männer einwandern, desto besser für Deutschland. Weil uns das Gelegenheit gibt, moralische Größe zu beweisen. Erst das Fremde setzt das Eigene ins Licht. Mehr noch: Erst, wenn wir das Fremde zum Eigenen machen, finden wir uns selbst. Das ist Dialektik. (Davon hat die Kanzlerin mehr Ahnung als unsereins.) Bildhaft formuliert: Pfarrerstochter mal Mufti gibt einen sauber gescheitelten Buddha.

Habe mich wirklich sehr bemüht, ihr zu folgen. Wenigstens gedanklich. Doch vergeblich. Das rechte Gedankengut in mir verklebt alles. Ich muss noch viel lernen. Zum Beispiel: Obwohl zuviel Islam schlecht für Demokratie ist, ist ein schlechter Demokrat, wer gegen zu viele Muslime bei uns ist. Schon wieder Dialektik! Weil Dialektik aber nicht leicht zu verstehen ist, wenn man sie nicht schon ein Leben lang geübt hat, vereinfachen wir die Formel: Wer gegen zuviel Islam bei uns ist, steht rechts.

V.

Die AfD. Also, wir wissen ja jetzt, worum es bei kommenden Wahlen geht. Ausschließlich darum, wie die AfD abschneidet. Alles andere scheint in der deutschen Politik von untergeordneter Bedeutung. Ich schäme mich selbst, dass mir mit der Vorstellung, die AfD könnte mehr als zehn Prozent der Stimmen bekommen, nicht sofort auch der Gedanke kommt, Deutschland fluchtartig über die (noch) offene Grenze zu verlassen, weil es wieder so weit ist. Ich würde die AfD zwar unter keinen Umständen wählen. Aber das allein unterscheidet sie nicht von anderen Parteien.

Brief an den Blogwart IV
Andere würde ich auch unter keinen Umständen wählen. Aber anders als unseren Vizekanzler regen mich mutmaßlich schießwütige AfD-Politikerinnen nicht sonderlich auf. Sie schießen sich doch nur ins eigene Knie, habe ich gedacht. Ich halte sie noch nicht einmal für einen Fall für den Verfassungsschutz. Aber es ist heute leichter, Schutzhaft für Frauke Petry zu fordern, als zu behaupten, die AfD gehöre zu unserer Demokratie wie der Islam zu Deutschland. Und dass diese Demokratie schon einmal in besserer Verfassung gewesen ist, sei nicht die Schuld der AfD. Die AfD sei nur ein Symptom dafür.

Aber ich habe einfach noch immer nicht kapiert, dass ich deshalb rechts bin, weil ich so denke.

VI.

Kann man etwas gegen meinen Drehwurm tun? Gibt es Augstein-Tropfen, Prantl-Pillen, ZDF-Zäpfchen? Bin ich überhaupt noch resozialisierbar?

Ich gehe jetzt im Karneval im Büßerhemd über die Domplatte. In der Maske eines Moralapostels. Moralapostel tragen immer Masken. Wussten Sie das? Sie zeigen nie ihr wahres Gesicht. Daran können Sie Moralapostel erkennen, Tichy! Als was gehen eigentlich Sie?

In diesem Sinne stets Ihr

Wolfgang Herles

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