„Die Menschen da draußen“

Die "Sorge" um den "richtigen" Täter rangiert auf beiden Seiten ganz vorn. Die in Festreden bemühte Empathie landet weit abgeschlagen ganz hinten. Die ganze deutsche politische Szene hat weder Maß noch Seele.

Lange bevor die Stimmung breiter wurde „gegen die da oben“, haben exakt sie den Boden bereitet mit ihrer Haltung „gegen die da unten“. Die älteste Formel dafür ist „die Menschen draußen an den Bildschirmen“. Eine auch sonst unsensible Politikerin hat sie dieser Tage dort wieder ausgesprochen, wo sie perfekt hinpasst: in einer TV-Talkrunde.

In der Tat, nirgends wird bildhafter klar als in TV-Talkrunden, wer „drinnen“ und wer „draußen“ ist, wer oben und wer unten. Doch das ist im reinsten Sinne des Wortes nur die Oberfläche, die Benutzeroberfläche. Dass „draußen an den Bildschirmen“ bald nur noch Leute denen drinnen im Studio zuschauen, die sich von ihnen in ihrer betoniert feststehenden Meinung pro wie kontra bestätigen lassen wollen, kümmert die Fernsehmacher nicht, solange die Zuschauerquoten vorzeigbar sind. Macht euch nichts vor, Fernsehmacher: Meinungsbildung findet bei euch schon lange nicht mehr statt, sondern nur noch Meinungszementierung.

Um eine andere Oberfläche geht es bei den Führungspersonen der Regierungsparteien samt ihrer loyalen Nicht-Regierungsparteien auf der einen Seite wie den Sprechern der (noch) außerparlamentarischen Opposition AfD. Nicht erst nach dem großen Terroranschlag von Berlin, sondern bei jedem politisch motivierten Gewaltakt zeigt dieser Personenkreis bei allen sonstigen Gegensätzen ein und das selbe Verhalten. Damit wir uns richtig verstehen: das gilt für viele Anhänger der Parteien beider Lager in keiner Weise.

Das Mitgefühl mit den Getroffenen und Angehörigen, mit den Bürgern, in deren Stadt oder Dorf solche Katastrophen einschlagen und ihre Gemeinschaften langfristig belasten werden, tritt in erschreckender Weise hinter das drängende Verlangen nach dem „richtigen“ Täter zurück. Bei „kleinen“ Gewaltakten findet Mitgefühl, neuhochdeutsch: Empathie, gar nicht erst statt. Geschweige denn Empathie im Handeln.

Führungspersonen der Herrschenden beten – bildlich gesprochen – , dass der Täter ein „Rechter“ aus Deutschland ist. Führungspersonen der APO beten, dass der Täter ein Moslem ist, der unter der Flagge Flüchtling ins Land kam. Was die einen fürchten, sehnen die anderen herbei.

Ja, ich kann mir die Leserkommentare jetzt gleich selbst schreiben, die das für die eine wie andere Seite empört zurückweisen. Doch, werte Leser, bevor Sie das tun, schauen Sie doch auf die gleichen Videos, in denen wir die Personen, die ich meine, nicht nur sprechen hören, sondern auch ihre Mimik und Körpersprache sehen.

Das Mitgefühl mit den Getroffenen und Angehörigen, mit den Bürgern, in deren Stadt oder Dorf Gewaltakte einschlagen und ihre Gemeinschaften langfristig belasten werden, schrumpft zur Pflichtübung, die ohne Herzblut abgeliefert wird, ohne Seele. Nein, bitte nicht abwiegeln mit der wohlfeilen Formel von der Besonnenheit. Schauen Sie hin, hören Sie hin: null Empathie. Besonnenheit braucht es beim Handeln und nicht statt dessen, kommentierte gestern Sigmund Gottlieb vom Bayerischen Rundfunk, danke!

Aber hohes Erregungspotential bei der verbalen Jagd nach dem „richtigen“ Täter, für die Twitter weit vor Facebook als Jagdrevier genutzt wird, paart sich mit verräterischen Formulierungen in den alten Medien. Im Bull’s Eye auf Tichys Einblick steht das eine Beispiel:

Bildschirmfoto 2016-12-22 um 07.55.54

Über ein anderes schrieb Alexander Wallasch auf Tichys Einblick:

Bildschirmfoto 2016-12-22 um 08.08.33

Der Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz wurde gegen 20 Uhr begangen. Als die Rettungskräfte noch alle Hände voll zu tun hatten, twitterte um 21:15 Uhr Marcus Pretzell, Sprecher der AfD in Nordrhein-Westfalen:

Bildschirmfoto 2016-12-22 um 08.13.13

Die Sorge um den „richtigen“ Täter und die „richtigen“ Schuldigen rangiert auf beiden Seiten ganz vorn. Die in Festreden bemühte Empathie landet weit abgeschlagen ganz hinten. Die gesamte deutsche politische Szene hat kein Maß und keine Seele.

Jeder ist verantwortlich für das, was er sagt und wie. Eine gehörige Verantwortung trifft Journalisten und Medien, weil sie den Ton noch mehr bestimmen als die Inhalte.

Ich wünsche uns, dass es 2017 nicht einfach so weiter geht. Ich weiß, dass unter dieser Oberfläche, derer „da oben“ und derer, die dahin wollen, eine sehr breite Mehrheit der Bürger „da unten“ ganz anders fühlt und denkt. Dass ihre Einstellungen sich durchsetzen, wie lange es auch dauert, gibt Zuversicht. Anders als langsam geht es nicht, sonst müssten die „da unten“ ja agieren wie „die da oben“.

Ich wünsche allen, die guten Willens sind, frohe Weihnachten.

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