Die Flüchtlingspolitik der EU und ihrer Mitglieder ist selbst ein Notfall

Nach Jihadisten suchen britische und französische Geheimdienstler unter den Migranten, die in Calais die Fähre nach Dover nehmen. Die Nachricht folgt der über die Verhaftung eines Marokkaners in Italien, der am Terroranschlag auf das Bardo-Museum in Tunis im März beteiligt gewesen sein soll. Der Mann kam auf einem Flüchtlingsboot nach Italien. Heute präsentiert die EU-Kommission als „Notfallmaßnahme“ eine Quote zur Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsländer. Und ein Vizepräsident des Europaparlaments verlangt eine Strategie gegen die Gefahr, dass Isis Europa umzingelt. Nach BBC zwingt Libyens IS die Schleuser inzwischen, ihr 50 Prozent der Einnahmen abzuliefern und IS-Kämpfer auf den Schiffen mitzunehmen. Hier braut sich mehr und mehr ein explosives Gemisch zusammen.




6.000 Euro je Asylbewerber als Einmalzahlung verspricht die EU-Kommission den Ländern, in die 24.000 Flüchtlinge aus Italien und 16.000 aus Griechenland in andere Mitgliedsstaaten verlegt werden sollen. Nach dem EU-Quotenplan kämen 8.400 davon nach Deutschland, 6.400 nach Frankreich, 4.000 nach Spanien usw. – Großbritannien, Irland und Dänemark bleiben durch ihren speziellen EU-Status unbeteiligt. Griechenland und Italien bleiben außen vor, von ihnen wird als Leistung erwartet, dass sie die Flüchtlinge daran hindern, illegal weiter in andere EU-Länder zu gehen – eine Illusion. Die Hoffnungen, welche die EU in die Polizeimaßnahmen von Frontex und Interpol setzt, sind naiv. Die Debatte zwischen Brüssel und Rom, was Italien akzeptiert und was nicht, hat noch gar nicht richtig begonnen.

Weitere 20.000 aus Flüchtlingslagern außerhalb der EU sollen zusätzlich nach Quote zugewiesen werden. Fast 171.000 Menschen, die meisten aus Eritrea,  kamen 2014 im zentralen Mittelmeer nach Italien, 51.000, überwiegend Syrer, im östlichen Mittelmeer nach Griechenland, 8.000 im westlichen Mittelmeer nach Spanien – 52.000 vom Balkan nach Rumänien und Ungarn als Zwischenstation.

Das deutsche Asylrecht läuft ins Leere – neue Wege nötig

Bisher stammen zwei Drittel aller in Deutschland Asylsuchenden vom Balkan. Die Zahl der Anträge hat letztes Jahr 203.000 erreicht, war 2015 bis Ende April 107.000 und soll bis zum Jahresende auf 450.000 ansteigen. Während die Anerkennungsquote bei den Balkanflüchtlingen mit 1% extrem gering ist, liegt sie bei den Menschen aus Syrien, Eritrea und Somalia mit 90% sehr hoch. Von den Abgelehnten bleiben viele trotzdem in Deutschland; Ende 2013 waren es 500.000. Realistisch kann niemand davon ausgehen, dass sich dieser Zustand ändert. Im Gegenteil, immer häufiger und vielfältiger werden Aktionen von Bürgern, Kirchen und kleinen Gemeinden, die die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern ins Leere laufen lassen oder offensiv verhindern. Die „Volksmeinung“ und das individuelle Verhalten der Deutschen laufen erkennbar auseinander.

Zunehmend viele Sachkundige sehen die tatsächlichen Wirkungen des deutschen Asylrechts in der Verhinderung der frühzeitigen Arbeitsaufnahme der Asylanten und der Provokation von Konflikten durch die in Untätigkeit Kasernierten – untereinander und mit den Einheimischen. Die meisten anderen Länder richten sich nach internationalen Flüchtlingsregeln und verzichten auf zusätzliche nationale Verfahren. Das deutsche Asylverfahren ist erkennbar nicht für die heutige und absehbare Situation gemacht und ihr nicht gewachsen.

Terrorismusgefahr – ein Sprengsatz der Flüchtlingspolitik

Bevor die Notfallmaßnahme der EU greift, braucht sie eine qualifizierte Mehrheit des Rates – 55 Prozent der Mitglieder, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Das EU-Parlament hat in diesem Fall nur beratende Funktion und kann den Kommissions-Vorschlag nicht verändern. Lauter Widerstand kommt aus baltischen und osteuropäischen Staaten. Ob die andere Art der Verteilung der Flüchtlingen diesen nützt, von den Menschen in den Ländern der EU als „gerechter“ empfunden wird als der bisherige Zustand? Fragezeichen, Fragezeichen hinter alles, wie es ist und was sich durch adhoc-Maßnahmen ändern kann. Wer auch nur etwas näher hinschaut auf den realen Zustand der Flüchtlingsfrage und den Umgang der Verantwortlichen in den nationalen Hauptstädten und in Brüssel mit ihr, muss die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und kann eigentlich nur noch verzweifeln.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller will den Menschen im Kosovo und anderswo auf dem Balkan dort Arbeit und Perspektiven ermöglichen: „Wir können den Zustrom von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten zu uns stoppen, wenn die Menschen vor Ort Arbeit und Perspektiven haben … Nur gemeinsam wird der wirtschaftliche Aufschwung in den Ländern gelingen.“ Das ist dort und in allen anderen Herkunftsländern der Migranten der einzig wirksame Weg. Aber selbst wenn er bald und entschieden angegangen wird – also nicht mit bisheriger Entwicklungspolitik –, braucht es Jahre und Jahrzehnte, bis das greift. Auf dem Balkan ist das bei allen Schwierigkeiten realistischer als in Afrika. Korrupt sind die Systeme da wie dort, aber in Eritrea und Somalia gibt es gar keine Strukturen, auf die Verlass wäre.




Bevor sich an den Ursachen der Massenmigration etwas ändern kann, müssen wir mit einer höchst gefährlichen Verschärfung der tatsächlichen und psychologischen Lage rechnen. An die 30.000 Isis-Kämpfer sollen sich nach Angaben des UN-Sicherheitsrats aus 100 Ländern weltweit rekrutieren und sich in Syrien und Irak konzentrieren. Dort und in Libyen sollen sie für ihre Kampf- und Terroreinsätze abschließend gedrillt werden. Aus diesem Terrorarsenal kamen Attentäter auf das jüdische Museum in Belgien, Verbindungslinien werden auch zu dem Killer im jüdischen Supermarkt von Paris gezogen.

Auf der einen Seite wird die Hoffnungslosigkeit, welche vor allem Jugendliche in Afrika ihr Heil anderswo suchen lässt, wenn sie es nicht nach Europa schaffen, als Motiv eingeordnet, Isis-Kämpfer zu werden. Auf der anderen Seite richtet sich der Blick immer öfter auf die illegalen und legalen Migrantenströme als Tarnung von Isis-Terroristen beim Einsickern in die Länder der EU. Der erste Fall, bei dem das als nachgewiesen gilt, wird der Forderung nach der Festung Europa mit wasserdichten Mauern mächtig Auftrieb geben. Ich sehe keine Regierung und politische Kraft, die dem dann noch zu widersprechen wagte. Im Gegenteil, sie werden sich an Radikalität der Maßnahmen überbieten. Und dann die Entschlossenheit zeigen, mit der sie das Flüchtlingsthema längst hätten entschärfen können.

Die Notfallmaßnahme der EU ist das neueste Armutszeichen des EU-Notfalls Flüchtlingspolitik. Nur eine wirkliche Strategie, die kurzfristige Rettungsmaßnahmen, unkonventionelle Eingliederungsschritte in die Arbeitsmärkte der EU mit langfristiger Aufbauhilfe konsequent verbindet, verdiente den Namen Flüchtlingspolitik – eine Sicherheitspolitik eingeschlossen, die auf Effizienz setzt statt politische PR.




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