Das Kreuz mit dem Kreuz: Habt Mitleid mit dem Wähler

Der 13. März wird insofern eine Zäsur, als wir danach genauer einschätzen können, wie es um die Verfasstheit der schweigenden Mehrheit steht. Am 4. September haben die Bürger in Mecklenburg-Vorpommern ihr Kreuz mit dem Kreuz. Am 11. September stimmt Niedersachsen über seine Kommunen ab. In Berlin sind das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen am 18. September dran.

Zur Wahrscheinlichkeit, dass der Einzug von AfD und FDP in den Bundestag die Fortsetzung der schwarzroten Koalition unausweichlich macht, postete eine Zeitgenossin heute auf Facebook: „Wo, zur Hölle, macht man denn dann das Kreuz, um die GroKo zu beenden? Ich will die nicht mehr!!!!“

Sind Parteien noch gut für Lösungen?

Vor diesem Dilemma steht wahrscheinlich die Hälfte der Wahlberechtigten. Zähle ich alles zusammen, was ich in Jahrzehnten über die Beziehungen der Bürger zu den Parteien gelernt habe, dürften die Kernwähler aller etablierten Parteien zusammen nicht mehr ausmachen (Kernwähler sind der Teil der Stammwähler, die jedes mal wählen). Ob wir uns die Lösung der tiefgreifenden Defizite der modernen Gesellschaften des Westens überhaupt noch von Parteien erwarten dürfen, ist eine Frage, der ich zusammen mit anderen gesondert nachgehen will.

Erst einmal stehen die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt vor der Tür. Am Wochenende davor Kommunalwahlen in Hessen – vor Jahren schnellten die Grünen im Zuge der Fukushima-Katastrophe auf rund 20 % in den Kommunen hoch. Jetzt erwarten viele einen Absturz. Ist es ein Menetekel für die nachfolgenden Wahlen? Traut man den Umfragen vom Trend her, werden in die drei Parlamente je fünf Parteien einziehen, weil die Linkspartei im Südwesten unter fünf Prozent bleibt und in Sachsen-Anhalt die FDP. Da die Schweigespirale die Antworten in Umfragen immer unzuverlässiger macht, würde mich nicht überraschen, wenn in alle drei Landtage sechs Parteien einziehen.

Vor dem TV-Duell Dreyer – Klöckner

Heute abend zeigt der SWR die amtierende Ministerpräsidentin Malu Dreyer im TV-Duell mit ihrer Herausforderin Julia Klöckner. Im Moment führt die CDU demoskopisch mit 36 Prozent vor 32 SPD. Die Analytiker von Media Tenor zeigen, dass Dreyer in den Meinungsführer-Medien keinen Amtsbonus hat und Klöckner bei ihnen weit mehr Aufmerksamkeit findet. In dieses Metier habe ich genug hineingerochen, um zu wissen, dass Menge mehr bringt als Bewertung – mindestens solange die nicht ins Unterirdische rutscht und selbst dann schlägt Quantität Qualität noch oft.

Dreyer_Klöckner_MT

In Baden-Württemberg zeigen die aktuellsten Umfragen CDU und Grüne bei 30 Prozent gleichauf und die SPD bei 16 Prozent. Da ist es kein Wunder, dass alles Bedeutung hat oder zugeschrieben kriegt.

Angela Merkel wollte die Festrede beim Firmenjubiläum des milliardenschweren Waiblinger Sägenherstellers Stihl halten, bei dem selbstverständlich der grüne Landesvater anwesend sein wird. Nun hat die Kanzlerin überraschend abgesagt. Die Vorbereitung des EU-Gipfels als Grund wird ihr kaum jemand abnehmen. Die Angst der Südwest-CDU vor Bildern, die Merkel und Kretschmann Seite an Seite zeigen, ist bei 30:30 Kopf-an-Kopf-Rennen mit Händen zu greifen. Nur ein Selfie von Angela mit Winfried würde das noch toppen.

Der Bundeswahltrend zum März-Beginn
Der andere AfD-Effekt: 2017 bestimmt die SPD den Kurs der GroKo
Das Schlimmst für die CDU wäre, wenn die SPD so schlecht abschneidet, dass sie nur noch mit ihr und der FDP zusammen eine Mehrheit bilden könnte, für die es vielleicht etwas voreilig schon einen Namen gibt: Deutschland-Koalition – wg. Farbennähe zu Schwarz-Rot-Gold. Macht die FDP das, ist sie schon wieder weg, bevor sie richtig da war. Landet Kretschmann mit seinen teilgezähmten Grünen auf Platz 1, bringt er CDU wie FDP in Verlegenheit. Eine Jamaika-Koalition stellte die Südwest-FDP vor eine Zerreissprobe. Denn hinter den Kulissen ziehen dort die Alten die Strippen, die im Bund 2013 abgewählt wurden. Ob die CDU im Ländle es erträgt, Juniorpartner der Grünen zu sein? Wenn Berlin sie dazu bringt, wird erneut gewählt, bevor die Südwestunion mit sich wieder im Reinen sein kann.

Parteien-Verdrossenheit wächst

In Sachsen-Anhalt wird die Mehrheit zur Fortsetzung der schwarzroten Koalition vermutlich zustande kommen: Wenn an die 30 Prozent CDU plus 17, 18 SPD nicht reicht, haben die Grünen schon ihre Bereitschaft erklärt, in den Klub miteinzutreten. Allerdings könnte da der Wähler noch störend eingreifen, denn die Grünen stehen prognostisch bei fünf Prozent –  also möglicherweise Spitz auf Knopf.

Dass die AfD, die nach allgemeiner Einschätzung in alle drei Landtage einzieht, irgendwo als Koalitionspartner infrage kommen könnte, nimmt bisher niemand an. Einflussreiche Leute dort mit Gauland an der Spitze wollen das selbst unter keinen Umständen, um die Wahlchancen bei kommenden Wahlen nicht zu minimieren. Pegida muss eine Partei werden, um Listenverbindungen mit der AfD anbahnen zu können, hat Pegida-Boss Lutz Bachmann auf der Kundgebung in Dresden nun seit Monaten zum ersten mal wieder gesagt. Der nächste Schritt scheint nah. Die aktuellen Umfragen geben der AfD in Sachsen-Anhalt 17 Prozent, in Rheinland-Pfalz 9 und in Baden-Württemberg 10. Das Spannendste am Wahlabend wird für mich sein: Wie weit liegen die Zahlen der Demoskopen dieses Mal daneben?

Für die Machtverteilung im Lande – gestatte ich mir die These – ändert sich in der Folge des 13. März nichts, außer dass jedwede ernsthafte Opposition gegen den nationalen Konsens von CDU, SPD und Grünen (bei weitem nicht nur in der Einwanderungsfrage) unter der moderierenden Führung und führenden Moderierung von Angela Merkel lange nicht möglich sein wird. Der Kanzlerin als nationalem Mediator werden die meisten Meinungsführer-Medien nach dem 13. März noch treuer zur Seite stehen als bisher.

Wohin das führen muss, kann jeder ahnen, der ein breiteres Umfeld hat als nur lauter Gleichgläubige. Die Parteienverdrossenheit zeigt im Zeitverlauf ein starkes auf und ab, Allensbach belegt es, sie nimmt aktuell stark zu – ein neuer Rekord nicht ausgeschlossen.

Parteienverdrossenheit_Allensbach

 

Der 13. März wird insofern eine Zäsur, als wir danach genauer einschätzen können, wie es um die Verfasstheit der schweigenden Mehrheit steht. Ab 14. März haben Analysen Hochkonjunktur. Am 4. September haben die Bürger in Mecklenburg-Vorpommern ihr Kreuz mit dem Kreuz, wenn dort der Landtag gewählt wird. Am 11. September stimmt Niedersachsen über seine Kreistage, Stadträte, Gemeinderäte, Samtgemeinderäte,
Stadtbezirksräte, Ortsräte und die Regionsversammlung Hannover ab. In Berlin sind das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen am 18. September dran. Die Bundespräsidentenwahl am 12. Februar 2017 wirft ihre ersten Schatten voraus. Und auch bis dahin hat die EU keine gemeinsamen Lösung – in keiner Frage. So ziemlich das einzige, das sich sicher vorhersagen lässt: Es wird nicht bei Parteienverdrossenheit allein bleiben. Unsere Gesellschaft schlittert in eine tiefe Krise. Das Kreuz mit dem Kreuz ist, dass immer weniger darauf setzen, durch ankreuzen irgend etwas bewirken zu können.

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