Mario Draghi hat es mit Konzernen und mit der öffentlichen Hand

Die Mischung ist kunterbunt, Kriterien für die Auswahl sind nicht zu erkennen: Die EZB ließ über nationale Notenbanken Anleihen nach Gusto kaufen. Der deutsche Mittelstand bleibt außen vor.

So etwas nennt man eine generalstabsmäßige Attacke: am 10. März angekündigt, seit dem 8. Juni umgesetzt und am 18. Juli den Sieg verkündet. Attacke gegen wen oder was? Auf jeden Fall gegen den deutschen Mittelstand. Sieg über wen? Über alle Zweifler, die lange nicht wahrhaben wollten, dass EZB-Chef Mario Draghi mit seinem Kaufprogramm für allerlei Staats- und Unternehmensanleihen Ernst machen würde. Dieses seit jenem 8. Juni in die Tat umgesetzte Programm soll nebst weiteren Maßnahmen dazu beitragen, dass die Inflationsrate im Euroraum sich an die Zielmarke von knapp 2 Prozent heranpirscht. Über den Zusammenhang von Anleihenkauf und Inflation kann man streiten. Wahrscheinlich gibt es ihn nicht.

Was für Anleihen ließ Draghi kaufen, welche nationalen Notenbanken machte er zu seinen Vollstreckern? Die Anleihenmischung hätte kaum bunter ausfallen können; darin befindet sich so ziemlich alles, was Euroländer und Unternehmen in den vergangenen Jahren an Anleiheschulden aufgehäuft haben – eine derart bunte Mischung, dass allein schon der Blick auf die gekauften deutschen Anleihen verwirrend ist. Sechs nationale Notenbanken durften mitmachen: die Deutsche Bundesbank sowie ihre Mitspieler aus Frankreich, Italien, Spanien, Belgien und Finnland. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Jetzt rächt sich die deutsche Rating-Schlamperei

Die deutsche Kaufliste beginnt mit Bundesanleihen, auch mit solchen, deren Restlaufzeiten unter zehn Jahren liegen und deren „Renditen“ negativ sind. Das zu verstehen, bedarf es offenkundig einer Abhandlung über moderne Geldpolitik, nur gibt es ein solches Pamphlet noch nicht. Darüber hinaus ist die öffentliche Hand zum Beispiel noch auffallend stark mit Anleihen von Bundesländern wie Hessen oder Berlin vertreten. Da können die Missmanager des Kasseler Provinzflughafens und des Berliner Katastrophen-Airports wenigstens die Hoffnung schöpfen, dass Draghi ihnen auch weiterhin wohl gesonnen bleiben wird.

Trägt bereits die öffentliche Hand über alle Maßen zur Wettbewerbsverzerrung am Kapitalmarkt bei, indem sie zum Ausführungsorgan der EZB-Geldpolitik wird, so tun es die Konzerne erst recht. Bleiben wir allein in Deutschland: Anleihen der Dax-Konzerne dominieren. Der Mittelstand, die tragende Säule der deutschen Wirtschaft, findet nicht statt. Wie denn auch? Ratings für den Eintritt in den Kapitalmarkt, also Bewertungen von Unternehmen einschließlich Gütesiegel, gibt es nur hier oder da und international kaum anerkannt. Jetzt rächt sich, dass Deutschland es nicht geschafft hat, eine Ratingagentur gegen das international dominierende, nach amerikanischen Maßstäben bewertende Trio Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch ins Rennen zu schicken, obwohl die Diskussion darüber schon in den 80er Jahren stattfand.

Ist Draghi sich der Tragweite seiner Entscheidung überhaupt bewusst?

Bei großzügiger Auslegung des Mittelstandsbegriffs finden sich auf Draghis Liste gerade mal zwei Namen von deutschen Unternehmen, die man als Mittelständler durchgehen lassen könnte: Würth, bekannt als Wirkungsstätte des schwäbischen Schraubenkönigs gleichen Namens, und Alstria, ein eher unter Insiderkreisen bekanntes Immobilienunternehmen in Gestalt eines Real Estate Investment Trust. Aber sonst? Fehlanzeige, stattdessen Dominanz der Dax-Konzerne, hier und da ergänzt um Unternehmen aus dem MDax, wie Evonik und Lanxess (Chemie) oder Deutsche Wohnen (nomen est omen) und K+S (Kali und Salz).

Doch auch diese Unternehmen umweht genaugenommen immer wieder mal ein Hauch von Dax: Evonik strebt auf ihn zu, der frühere Bayer-Ableger Lanxess musste ihn nach relativ kurzer Zeit verlassen, Deutsche Wohnen ficht einen erbitterten Streit gegen den Konkurrenten Vonovia aus, der dem Dax angehört, und K+S musste wie Lanxess dem Dax Adieu sagen. Besonders der Fall K+S bekommt aus aktuellem Anlass eine pikante Note: Der Start einer Kaligrube in Kanada verzögert sich, sodass der Konzern weitere Probleme zu bekommen droht. Ob Draghi sich der Folgen bewusst ist? Wohl eher nicht.

Es wird höchste Zeit für deutsche Ratingagenturen

Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie willkürlich die Auswahl an Unternehmensanleihen durch die EZB ist. Das lässt sich erst recht von Dax-Unternehmen behaupten: Warum nimmt die EZB VW-, Daimler- und MAN-Anleihen ins Portfolio? Etwa, weil sie einfach so tun darf, als gäbe es keinen VW-Abgasskandal und keine Kartellstrafen für den VW-Ableger Scania wie auch für Daimler? Wobei interessanterweise die VW-Tochter MAN durch Verrat an ihren Konkurrenten dafür gesorgt hat, dass nun den Kartellsündern Strafen drohen.

Die EZB sorgt mittelbar dafür, dass Konzerne im Verein mit der öffentlichen Hand den Mittelstand noch mehr vom Kapitalmarkt fernhalten als bislang ohnehin schon. Den Banken und Sparkassen soll es recht sein, denn sie haben dadurch die Möglichkeit, Mittelständler direkt mit Krediten zu versorgen und an ihnen zu verdienen, statt ihnen den Weg zum Kapitalmarkt zu ebnen. Es wird höchste Zeit für eine deutsche Ratingagentur. Noch besser: für zwei oder drei.

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