Focus Pocus Fidibus – Die Kraft der Selbstheilung

Was beim Focus oft mehr Spaß macht, als die dicken mehrseitigen Stories ist der kleinteilige, aber dennoch aufwändige Sammelkram. Auch dieses Mal.

Im Vorwort von Chefredakteur Robert Schneider erfahre ich, was mir zuvor verborgen blieb, dies aus gutem Grund, weil Jan Böhmermann mich bisher eine feuchte Ziege interessiert hat: der schlaksige Bursche mit bereits schütter werdendem Haar ist schon 35 Jahre alt. Danke, Herr Schneider!

Was beim Focus oft mehr Spaß macht, als die dicken mehrseitigen Stories ist der kleinteilige, aber dennoch aufwändige Sammelkram wie der auf Seite 12/13 – Elisabeth 90 Jahre Titel-Queen. Die Themsen-Elli. Von der kleinen Prinzessin Lilibet auf dem Cover der TIME aus dem Jahre 1929 (!) über sämtliche Stationen auf Titelbildern ihres bewegten, reichen Lebens, Geburten ihrer Kinder, der Tod von Lady Di bis hin zum Cover 2016 des Tatler zu ihrem 90. Geburtstag.

Auf den Seiten 14/15 „Die aufblasbare Raumstation, ein neues Modul, das die Raumfahrt revolutionieren soll“ – auch da würde man sich wieder nicht nur Bilder und Querschnitt sondern ein paar Seiten mehr wünschen. Ok, sucht man sich die Informationen darüber also später am Abend woanders.

Eine Überdosis Böhmermann

Von Seite 24-32 (!) dann alles, was Sie bisher verpasst haben sollten in der Angelegenheit Böhmermann – „Staatsaffäre Böhmermann. Ein Gedicht wird zum Drama“ – eine schöne Fochronologie leitet den Leser durch den Artikel, beginnend am 17.3., dem Tag, an dem das Satire-Magazin Extra3 den „Erdowie, Erdowo, Erdowahn“-Song über den Äther schickte, woraufhin am 22.3. der deutsche Botschafter ins Außenministerium bestellt wurde. Mir ist z.B. entgangen, dass Böhmermann sich am 4.4. auf Twitter gemeldet hat mit den Worten „Ich befürchte, irgendwas wichtiges wurde heute bewusst verletzt.“ Mal überlegen. Guter Geschmack, Anstand & Sitte, Meinungs- und Satirefreiheit, Stolz & Ehrgefühl, Die Möglichkeit sich von dem ganzen medialen Dauerfeuer irgendwie abzuschirmen, internationale Beziehungen. Da gehen die Meinungen auseinander und da ist für jeden was dabei.

Auf jeden Fall kann man sagen: Bewusst verletzt und aufgeknackt wurde definitiv die bis dato massive Teflonbeschichtung einer gewissen Angela M., die Bundeskanzlermogelpackung.

Auf Seite 28 eigentlich mit das beste, was ich bis dato über die Person Böhmermann gelesen habe. Oh, aufkommende Begeisterung, diiiiiieeee dann auch gleich auf Seite 29 wieder abebbt, wenn Passagen des Böhmerschmähs wiederholt werden. Gut, ältere Semester werden das weder bei Neo Magazin Royale gesehen/gehört noch im Internet nachgeschlagen und hoffentlich das Riechsalz in der Nähe haben.

Im Kasten ein paar Fragen an und Antworten von Kurt Westergaard, dem dänischen Cartoonisten der Mohamed-Karikaturen. Auch da wieder: Warum nicht zwei Seiten anstelle eines kleinen Kastens?

Das Lindner-Placebo

Ab Seite 34 ein Interview mit FDP-Chef Christian Lindner. „Wenn es mit der großen Koalition so weitergeht, wird aus der Regierungskrise bald eine Deutschlandkrise“ so der umständliche Titel. Einige könnten schwören, dass die Krise schon längst da ist, aber gut, offen bleiben.

Lindner, der per Tweet schon manches Mal bessere und knackigere Analysen raushauen kann als in langen Interviews, hatte als einer der wenigen Personen Angela M.’s Statement zu Böhmermann, die Ermächtigung zur Verfolgung per juristischer Maßnahmen, als das genagelt, was es ist: „Symbolwirkung von Böhmermann ist sehr groß. #Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen. CL“ und kritisierte diese ihre Entscheidung als eine klar politische. „Erdogan hat #Merkel durch veraltetes Recht unter Druck setzen können. Kritiker in T. kann er jetzt mit Verweis auf D. mundtot machen. CL“.

Lindner bleibt dieser Haltung im Interview treu und übt deutliche Kritik an Angela M.. am Rentensystem, privater Vorsorge, Digitalisierung etc.. Wirklich lesenswerte Antworten vom FDPler, der sich anschickt, aus dem Schatten der außerparlamentarischen Opposition heraus und auf die große (Jahrmarkt)Bühne der Politik zurückzukehren. Würde er das alles mal so durchziehen, wie er es hier mit Haltung und Verve vorträgt, könnte aus der FDP wieder die echte Alternative für die Wähler werden. An Rheinland-Pfalz nach den Wahlen hat man gesehen, dass große Reden vorab, heiß und vollmundig vorgetragen, nach einer Wahl nicht mehr viel gelten und man diese Worte eilig zu schlucken bereit ist, im Glauben an die große Wirkung.

Nur um überhaupt wieder einen Platz am Tisch zu bekommen? Auch an der Unterstützung für Gauck werden sich viele stoßen. Obwohl: Besser so lange wie möglich einen Bundespräsidenten durch das Bellevue geistern lassen, anstatt noch mehr ehemalige für 200.000 € / Jahr und Sekretarität etc pp vollzuversorgen. – Oh, schade. Auf Seite 50 in „Der Verzicht“ steht es ja schon: Gauck will 2017 aus Altersgründen nicht noch mal antreten. Nächste Krise für Angela M.: Wer soll’s, wer will’s, wer kann’s – ach, egal. Irgendein grinsender Grüßaugust wird sich schon finden.

Unsichtbarkeits-Drops und Beruhigungspillen/Arnika

In „Wo sind die Flüchtlinge? Wir haben keine Erkenntnisse“ auf den Seiten 42-45: „Keine Behörde kann sagen, wie viele Migranten wirklich in Deutschland sind – weil die Bürokratie versagt. Tausende Minderjährige bleiben deshalb schutzlos“. Eine große Europakarte mit vielen Pfeilen der neuen Migrationsrouten, die erstaunlicherweise alle Richtung Deutschland weisen, welches auf der Karte aber gar nicht angezeigt wird. Hinter Österreich fallen die Migrationsströme also über den Rand der Erde. Klar, die verschwinden ja auch (steht doch in der Überschrift!). Wie bei einer Barbiepuppe, die unterhalb der Gürtellinie anatomisch nicht korrekt dargestellt ist.

Irgendwie ist man anhand der Zahlen und diesem „Hey, keine Ahnung, echt jetzt“ doch etwas beunruhigt, blättert auf Seite 46 und das Gespräch mit Hans-Georg Maaßen und Gerhard Schindler, Chefs der deutschen Nachrichtendienste „Nach diesem Interview werden Sie nicht ruhiger schlafen“. Es ist also alles ganz furchtbar. Die radikalsalafistische Szene in Deutschland wächst, hat sich seit 2012 verdoppelt und bereitet allen zunehmend mehr und mehr Kopfzerbrechen. Aber wie es halt so ist, das kennen einige von höchst unerfreulichen Erlebnissen mit Stalkern: Kann man halt nix machen, bis die entsprechende Person nix wirklich rechtswidriges angestellt hat. Also im Nachthemd, mit Rauschebart und Häkelkäppi oder Hochwasserhosen mit Michael-Jackson-Gedächtnissocken rumlaufen, rechtfertigt zwar keine Verhaftung, aber schon mal eine Überwachung. Mit Personal, das wegen Personalknappheit knapp ist. Anderswo fehlt. Und auch da ist man ganz oft auf die Mithilfeüberwachung aus dem Ausland angewiesen. Also ohne NSA wären wir wohl schon lange so gef**** wie die Ziege aus dem Böhmermannschen Gedicht. Hier titelt der FOCUS durchaus zutreffend. Besser nicht lesen, in Ruhe weiterschlafen.

Tabletten gegen Seekrankheit

In „Lieber David Gandy“ widmet Ulrich Reitz dem Männermodel aus den Dolce & Gabbana Spots einige Zeilen, dem Ambiente des Sommertags am Meer auf dem Boot mit dem heißen Model Bianca Balti usw. usw., um dann ganz geschmeidig zu Heiko Maas‘ geplantem Werbeverbot überzuleiten. Ja, vielleicht überlegt es sich der Heiko ja doch noch einmal anders, wenn er sich zwangsläufig vorstellt, welche physischen Auswirkungen der beschriebene Werbespot auf Ulrich Reitz ausübt. Ja, ich denke, das könnte Heiko Maas wirklich gefallen und nicht wegen halbnackten Frauen und Männern das geplante Werbeverbot dann doch noch im Keim ersticken.
Wer hätte gedacht, dass die Diskussion um das Werbeverbot dem Leser des FOCUS einen unfreiwilligen Absturz in die Phantasiewelt von Ulrich Reitz beschert?

„Der chinesische Weg zur Selbstheilung“

Nach soviel Ausflug und leichter Übelkeit ein schnelles Blättern auf Seite 82 – der wirklich interessante Bericht der 16-seitigen Titelstory. Hier kommen u.a. Menschen zu Wort, denen die bisherige Schulmedizin nicht helfen konnte und die dank chinesischer Behandlungsmethoden und Therapien entweder Heilung erfahren oder denen dadurch Linderung ihrer Leiden verschafft wurde. Wo oft harte Medikamente der westlichen Medizin versagen, öffnen sich immer öfter Türen der alternativen Behandlungsmöglichkeiten. Der Beitrag ist ein guter Einstieg in das Thema TCM (Traditionelle Chinesische Medizin).

Alles in allem wirklich gelungen – der Selbsttest „Welcher TCM-Typ sind Sie?“ fördert interessante Erkenntnisse zutage.

The Mother of Dragons knows best

Für Freunde von Game of Thrones oder solche, die es zur Ausstrahlung der neuen Staffel werden wollen, bietet das Interview mit „unserem Mann in Braavos“ Tom Wlaschiha, der seit mehrern Staffeln der Serie mitspielt, ein weiteres übersichtliches „Wer ist wer und wer mit wem gegen wen“-Freund/Feind-Organigramm für den Couchtisch. „Es macht einfach Spaß, anderen Leuten beim Intrigieren zuzuschauen“ – Aber warum dann nach Hollywood? Der Bundestag Westeros liegt doch so nah.

(Und jetzt mal ernsthaft: „Samwell Tarly: Guter Junge – Kämpft aus reinem Herzen und will Maester werden. Vorteil: Kann Lesen“ – wer von euch hat da dran gesessen?)

Die Ausgabe 16 des FOCUS hat Spaß gemacht und trotz zu erwartender schlafloser Nacht und wohl noch anhaltender leichter Übelkeit nehme ich einiges Wissenswerte mit aus diesem Heft.

 

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