DER SPIEGEL Nr. 3 – Das Problem mit der Liebe und dem Geld

Hans-Peter Canibol und Susanne Theisen-Canibol haben den neuen Spiegel für Sie gelesen. Ihr Eindruck: Das SPIEGEL-Jubiläum scheint die Redaktion zu beflügeln.

Das aktuelle Heft profitiert von Vielfalt, Prägnanz und Kürze der Beiträge. Und dann kommen SPIEGEL-Erinnerungen wie in früheren Zeiten, etwa wenn Klaus Wiegrefe beschreibt, dass die bisherige Geschichte zum Milliardenkredit, den Franz Josef Strauß 1983 mit Erich Honecker aushandelte, neu erzählt werden muss.

Nachdem das Thema innere Sicherheit in der der zurückliegenden Woche das politische Geschehen beherrschte, bot es sich für den Leitartikel an. Martin Knobbe klopft in „Der Staat und seine Feinde“ die Forderung nach elektronischen Fußfesseln für sogenannte Gefährder auf ihre Machbarkeit ab und entlarvt hinter der Forderung den Aktionismus der Politik anstelle von Analyse und am Rechtsstaat ausgerichteten gesetzlichen Maßnahmen.

Für die SPD wäre ein Untersuchungsausschuss zum Thema Amri offensichtlich gefährlich, solange SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft keinen Nachfolger für den unglücklich und leichtfertig agierenden NRW-Innenminister Jäger hat.

Ich halte mich für im Grunde immun gegen Verschwörungstheorien. Wenn jetzt BND und Verfassungsschutz gemeinsam vor subversiven und gesellschaftlich destabilisierenden russischen Attacken warnen, nehme ich das ernsthaft zur Kenntnis. Allerdings ist das Vorgehen auch wiederum nicht neu. Stalin hat es schon versucht und hatte damit keinen Erfolg.

Die Themen Fake News und Leaks erleben gerade einen Hype, nicht zuletzt, weil die US-Geheimdienste die Einflussnahme auf den amerikanischen Wahlkampf als Vergeltungsmaßnahme einstufen und diplomatische Konsequenzen gezogen wurden. Marcel Rosenbach sieht in seinem Essay „Krieg mit Leaks“ eine neue Ära der Informationskriege ausziehen. Interessanter Überblicksartikel als Einstieg in das Thema. Ich habe allerdings die Tiefe vermisst. Informationskriege gab es immer schon. Sie wurden auf anderen Ebenen, in anderen Netzwerken und mit anderen Techniken ausgetragen. Darüber sollten wir uns im Klaren sein.

Simon Hage und Dietmar Hawranek fassen in „Große Karpfen, kleine Fische“ den aktuellen Sachstand zum Thema Dieselgate prägnant und unterhaltsam zusammen. Das Thema ist für die Wolfsburger noch lange nicht über- und ausgestanden. Ihre Prognose: VW „kommt auch deshalb nicht zur Ruhe, weil es nichts aus der Affaire gelernt hat.“

Ein Highlight ist das Interview „Es wird viel passieren“ mit dem Trump-Vertrauten Newt Gingrich. Während bisher die Trump-Ankündigungen eher mit einem beschwichtigenden Abwinken kommentiert werden, untermauert Gingrich die Äußerungen den künftigen US-Präsidenten. Selbst der von Trump angekündigte Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze scheint demnach realisierbar. Zudem zeigt Gingrich, welche Wege Trump einschlagen könnte, um den Bau von den Mexikanern refinanzieren zu lassen.

Ein Muss ist das Interview von Roman Leick mit Nobelpreisträger Sir Angus Deaton „Die Ungleichheit beruht auf Raub.“ Auf das muss man sich in Ruhe einlassen, so konzentriert in der Essenz. Deaton verweist auf verschiedene Arten der Ungleichheit: „gute und schlechte, kreative und destruktive“ und gibt zu bedenken:

„Jede Innovation schafft Ungleichheiten. Wer aber erheblichen Schaden anrichtet, sind Gruppen und Körperschaften, die eine Hebelwirkung auf die Regierungen ausüben und sich zulasten anderer bereichern. Diese Art von Ungleichheit beruht auf Diebstahl.“

Als Beispiele nennt der Nobelpreisträger die Finanzindustrie und Teile der Gesundheitsindustrie. Deaton:

„Sie bringen die Regierungen dazu, ihnen die Risiken abzunehmen, sodass sie auf Kosten der Allgemeinheit reicher werden. Das ist, als würden Sie die Mafia füttern.“

Sie vermissen bisher einen Kommentar zum Titel? Ich habe meine Frau, ebenfalls Journalistin, gebeten, die Titelstory „Reden ist Geld“ der Autorinnen Silvia Dahlkamp, Isabell Hülsen, Ann-Kathrin Müller und Anne Seith zu besprechen.

Was läuft falsch in unseren Familien, in unserer Gesellschaft, dass Frauen – Mütter – finanziell ins Hintertreffen geraten? Und wer kann dagegen etwas tun? Sind wir Frauen an unserem Schicksal schuld? Ich bin in mit vier Schwestern und einem Bruder in einer Beamtenfamilie mit damals klassischer Einkommensverteilung aufgewachsen. Jedes dieser Geschwister hat ab den 1980er Jahren für sich ein anderes Familienmodell inklusive Kindererziehung praktiziert.

Es ist kein Naturgesetz, dass Frauen mit ihren beruflichen und finanziellen Belangen ins Hintertreffen geraten. Aber es gibt (Denk-)Strukturen, die es leicht machen, in die Falle zu tappen. Seit den Zeiten unserer Eltern hat sich viel verändert. Die Familienbande sind lockerer geworden. Keine Frau darf sich heute in der Sicherheit wiegen, von der Altersrente des Ehemannes leben zu können. Nicht nur dass die Ansprüche aus der gesetzlichen Rente immer weiter sinken, sondern auch, weil die Schicksalsgemeinschaften viel schneller aufgegeben werden. Dabei büßen nicht nur die Scheidungspartner Ansprüche ein, auch für zukünftige Zweitpartnerschaften und -ehen sind die bisherigen jetzigen Modelle nicht tauglich. Wir können von Staat und Gesellschaft verlangen, die Rahmenbedingungen zu verbessern.

Ein Lohngerechtigkeitsgesetz ist ein Signal, ob es der richtige Schritt ist, wird sich noch erweisen müssen. Noch wichtiger aber ist ein breiter Bewusstseinswandel. Ich finde es beschämend, dass es immer noch Arbeitgeber gibt, die jedem Mitarbeiter die Kündigung nahelegen, wenn er oder sie in Teilzeit arbeiten will. Das tun diese Arbeitgeber nicht, weil sie sich Sorgen um die spätere Rente der Angestellten machen. Ich glaube auch nicht, dass eine Veränderung im Steuersystem ein sinnvoller Hebel ist. Wenn die Gesellschaft der Meinung ist, dass die Erziehung von Kindern eine der wertvollsten Aufgaben ist – wem auch immer wir sie überlassen –, dann wäre das der vielleicht lohnendste Ansatz für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und es wäre ein Grund mehr, die wirtschaftliche und finanzielle Allgemeinbildung in den Schulen zu stärken, und zwar am Leben orientiert, nicht an der wirtschaftspolitischen Theorie.

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