Der Spiegel 28 – Die Trümmerfrau

Was kann man zum Thema Griechenland in einem Wochenmagazin schreiben, wenn der Ausgang des Referendums am Sonntag die Diskussion wieder in eine andere Richtung treiben wird? So beleuchten gleich vier Ressorts das Thema aus ihrer Sicht – mit routiniertem Geschick und Bravour, in der Hoffnung, dass die gestreuten Aspekte auch am Montag noch Gültigkeit haben.

Der Titelaufhänger, mit dem Thema Griechenland die Merkel-Politik als gescheitert anzusehen, ist dabei recht spiegel-hämisch. Dennoch: das Psychogramm von Merkel liest sich flott – die Charakterisierung des IWF als Merkels McKinsey-Truppe in hat was für sich. Hilfreich für die Einordnung der Diskussion in Deutschland ist ein Kaleidoskop, wie die übrigen EU-Länder auf das griechische Desaster blicken. Die meisten Anlagestrategen an den Börsen sehen einen möglichen Grexit ziemlich gelassen. Martin Hesse und Armin Mahler zeigen in „Ziemlich cool“ (Ressort Wirtschaft), wie Schwergewichte der Vermögensverwaltung, etwa Asoka Wöhrmann, Bert Flossbach oder Jens Erhardt die Risiken einschätzen. Bis hierhin ist das Griechenlandthema Pflichtübung.

Die Kür sind das Interview von Amalia Heyer (Ressort Ausland) mit dem Schriftsteller Nikos Dimou über Alexis Tsipras und die Griechen – einfach bravourös und zudem sehr unterhaltsam – und der Essay von Nils Minkmar (Ressort Kultur) über „Europa als Emergency Room“. Allein diese beiden Texte jedenfalls sind den Kauf des Heftes wert.

Deutschland einig Spitzelland

Das Leben der anderen trugen nicht nur die „IM“ weiter. Das Denunziantentum war möglicherweise viel tiefer in der Bevölkerung verankert, als bisher diskutiert, wie der Beitrag „Deutsche Denunzianten Republik“ zeigt. Geahnt haben wir es immer schon. Mit deutscher Gründlichkeit wurden auch AKP (Auskunftspersonen) sowie „GM“ und „BM“, also „Gute Menschen“ und „Brauchbare Menschen“ verzeichnet. Um Arbeitskollegen oder Nachbarn anzuschwärzen musste man noch nicht einmal selbst zur Stasi gehen. Vielmehr ließen sich öffentlich Einrichtungen als POZW; „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ als Stasi-Außenstelle instrumentalisieren.

…und das sind unsere Sonntags-Noten von 1 bis 6:

1.  Sofort abonnieren | 2.  Sofort zum Kiosk und kaufen | 3.  Reicht auch nächste Woche noch | 4.  Ignorieren | 5.  Abo kündigen/kommt mir nicht ins Haus | 6.  Braucht man nicht

Dauerbrenner in Sachen Bespitzelung ist die NSA-Affäre. Der US-Geheimdienst hatte nicht nur Merkels Handy im Visier, sondern – wie „Anschlag auf die Pressefreiheit“ zeigt – auch die Verbindungen aus dem Kanzleramt mit dem Spiegel. Immerhin blieb der GAU für den Spiegel aus: Die NSA bespitzelte Telefonate mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin und nicht solche mit der Münchner Konkurrenz. Die Hackordnung stimmt also und das Hamburger Weltbild bleibt unerschüttert.

Viel Feind, viel Ehr, kann sich auch Spiegel-Redakteur Frank Dohmen ans Revers heften. Zusammen mit Journalisten der WAZ, der Berliner Zeitung und der FAZ stand er laut Spiegel auf einer Liste, die der frühere RWE-Justiziar Manfred Döss, inzwischen Chefjurist von Porsche, an das Unternehmen Control Risks weitergegeben haben soll. Die einschlägig bekannte Detektei sollte herausfinden, über welche Quellen Interna aus Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen das Unternehmen Richtung Medien verlassen haben. Jetzt schlug Dohmen, seit mehreren Jahrzehnten die investigative Speerspitze des Magazins zurück und dröselt gemeinsam mit dem legendären Wirtschaft-Schlachtschiff Dietmar Hawranek in „Ein Mann fürs Grobe“ die ungewöhnliche Vorgehensweise gegen mehrere recherchestarke Journalisten auf.

Mit dem Beginn des Kampfes für das biorhythmusgerechte Ausschlafen gewinnt der Spiegel („Mehr Schlaf für Eulen“) sicherlich viele neue Freunde. Und da sich sogar die anscheinend unterbeschäftigte Ministerin Schwesig dafür stark macht, wird hoffentlich wieder einmal ein großer Missstand abgebaut.

Beschämend das Portrait von Hilde (86 Jahre) und Werner (Bald 90 Jahr). Vor sieben Monaten haben sie einen syrischen Flüchtling aufgenommen. Özlem Gezer beschreibt einen Alltag zwischen Allah, Kartenspiel und Selbstgebranntem im saarländischen Quierschied. Zwei einfache Menschen, die nicht über Flüchtlinge lamentieren, sondern kurzerhand helfen. Wer dem Griechenlandthema nicht mehr abgewinnen kann, wem es gleichgültig ist, wer wen wann bespitzelte, der sollte zumindest „Fremdenzimmer“ lesen.

Note 2: sofort zum Kiosk und kaufen

 

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