Der FOCUS 11/16 – Neue Wege aus der Depression

Einen bunten Strauß bringt FOCUS, er versucht den Gefühlssturm auszulösen: Vieles erinnert an Bunte. Ist Stilkritik das Erfolgsrezept in schweren Zeiten, worauf lassen Anzüge und Bügelfalten bei Politikern schließen?

Robert Schneider, der neue Chefredakteur, begrüßt die Leser bedächtig und nachdenklich. Jede Menge hippe Anglizismen. Ohne die kommt der FOCUS im Editorial wohl nicht mehr aus, soviel steht bei Ausgabe 2 n.R. schon mal fest.

Ohne Vorwarnung schlägt man Seite 10/11 auf, um bei einer HD-Großaufnahme von Joachim Gauck, von belgischen Monarchen umrahmt, thematisch ins Heft geführt zu werden. Fotos der Woche – „Gauck, heute ein König“ – ich ergänze still: „Dann gebt ihnen Kuchen“. Stimmungsaufhellend eine Seite weiter „Wie in knuten alten Zeiten“ ein plüschiges Eisbären-Junges im Pelz seiner Mutter kuschelt. Die Frau in mir fächelt innerlich aufgeregt mit den Handflächen und ruft verzückt „Awwwww“, während nach außen keine Mine verzogen wird. Der FOCUS gleich zu Beginn eine Achterbahn der Gefühle. Was da immer geht, im Up and Down: Einkaufen. Eine Seite weiter kann man dann sehen, wo man am besten sein Geld lassen kann: Auf der Champs-Élysées in Paris. Also wenn man da physisch überhaupt noch hin will, so, wie die sich im Schaubild gezeigt verändern wird.

Der Euro-Star – Ein „Naturbursche aus dem 12. Wiener Bezirk“

Auf eine andere Achterbahn der Gefühle schickte unseren Bundesjustizminister Heiko Maas in der letzten Woche der Held des sehr lesenswerten Portraits von Anna von Bayern – der junge Außenminister Österreichs: Sebastian Kurz.

Von Bayern beginnt mit „Machen wir uns nichts vor: Dieser Mann ist gefährlich.“ Was aber nicht nur daran liegt, dass er mit nicht unterdrückter Nummer zurückruft. Anna von Bayern knüpft gleich an besagte Sendung von Anne Will an, in welcher Maas von eben jungem „Außen-Burschi“ Sebastian Kurz ruhig, knapp und souverän glatt rasiert wurde. Maas, Göring-Eckhardt und Kipping glichen in der Sendung mit heißer ideologischer Luft prall gefüllten Ballons – aus denen Kurz immer wieder mit pointierten Sätzen Pfeile durch die Luft schoss, die ihre Ziele nicht verfehlten. Er ist der Mann, der die Balkanroute geschlossen hat. Immerhin. Dafür sollte ihm Deutschland dankbar sein, auch wenn Angela Merkel lieber mehr von ihrer Willkommenskultur versprühen möchte.

Realpolitik trifft Sozialromantik pur.

Auf einem ½-seitigen Bild von Sebastian Kurz, der darauf mehr wie ein Bankier als ein Außenminister wirkt, wird sein Stil unter die Lupe genommen. Vergleichen wir das mit dem, was der Focus in der letzten Woche einen Freund von Heiko Maas über seinen Stil sagen ließ, wird auch hier schnell klar: Der Preis für den bestangezogenen Politiker wird Maas in diesem Jahr wohl nicht verteidigen können.

Politisch hat Sebastian Kurz mit 29 Jahren bereits wesentlich mehr in die Waagschale zu werfen als unsere ideologisch Leichtgewichte. Man spürt Anleihen bei BUNTE. Aber wieviel Buntes darf ein Nachrichtenmagazin?

„Was machen eigentlich AfD-Abgeordnete, wenn sie gewählt sind?“

Darüber kann man sehr viel spekulieren. Kommt man erst einmal in Verantwortung, zeigt sich sehr schnell, wie belastbar eine Partei tatsächlich ist und von welchem Bestand. Etwas mehr Gelassenheit im politischen, medialen und gesellschaftlichen Umgang mit der AfD hätte a) sie nicht so groß werden lassen und b) sich darum höchstwahrscheinlich als verschenkte Energie herausgestellt, weil die Qualitäten einer jungen Partei, sich mit der Zeit über innerparteiliche Verteilungs- und Grabenkämpfe („Seitdem sitzt Alexander Tassis als einziger AfD-Vertreter in der Bürgerschaft, kassiert 4850 Euro pro Monat und dreht Däumchen.“ Etc.) selbst zu zerfleischen, immer wieder dramatisch unterschätzt werden. Auf die Bildung einer eigenen Meinung darf man beim Leser/Wähler aber nach wie vor nicht vertrauen. Von dieser Partei darf man grundsätzlich nichts halten, was durch die Zeilen immer mitschwingt. Ob der Erziehungsjournalismus der letzten Monate diesbezüglich von Erfolg gekrönt sein wird, werden wir anhand der Landtagswahlen feststellen können und bald, ob dies auch der Auflage hilft.

Melania – die nächste FLOTUS?

Das Portrait über Donalds bessere Hälfte, zeichnet den ganzen Weg von der kleinen Knauss aus Slowenien hin zu dem Kreis des Magnaten Trump in Manhattan. Ein interessant erzählter Werdegang über die Frau, die sich anschickt, Amerikas First Lady zu werden. Der American Way of Life mal etwas anders. Mädchen voller Träume aus der europäischen Provinz fährt nach Amerika und wird von Tellerwäscherin/Model…. –Schnitt – heiratet den reichen Prinzen/Mogul. In ein Land, in dem das Wasser aus vergoldeten Hähnen fließt, die denen aus Versailles nachempfunden sind. Am nachhaltigsten wirkt aber dann der Kontrast zwischen Jugendfreundinnen Kosar aus Slowenien und Knauss nach, der nahelegt, dass das Wasser aus vergoldeten Hähnen auch über Jungbrunnenähnliche Qualitäten verfügen muss. Vielleicht läuft da auch einfach importiertes Wasser aus Lourdes durch. Wirklich verwundern würde das auch nicht mehr.

Europa muss Erdogan die Stirn bieten

Das schreibt im Debatten-Teil Abdullah Bozkurt, Leiter des Ankara-Büros der türkischen Zeitung „Zaman“, der in der vergangenen Woche den staatlichen Angriff mit Anti-Terror-Einheiten auf die Redaktion der Zeitung erleben musste. Er führt an, was Fritz Goergen und ich in der letzten Woche angemerkt haben: Wenn sich Europa dem Treiben Erdogans nicht bestimmt entgegensetzt, werden sich neben den Flüchtlingen Millionen von Türken um politisches Asyl in Deutschland bemühen. „Es bleibt keine Zeit mehr zum Schweigen.“

Die Titelgeschichte „Neue Wege aus der Depression“ ist ruhig und nüchtern geschrieben, was anhand der Schwere des Themas nicht selbstverständlich oder einfach ist. Dafür ein Lob. Alexander Wendt, FOCUS-Redakteur, gibt als Betroffener sehr offen Einblick über seine Gedanken- und Gefühlswelt, seine Illustrationen verdeutlichen dabei die tiefen Tiefen, in denen er sich bisweilen seelisch bewegt (hat). Wer selbst betroffen ist oder Menschen kennt, die unter Depressionen leiden, weiß, wie schwer die Tage, Stunden und Minuten wiegen können. Wie sich Stunden zu Tagen zu ziehen scheinen. Wie nichts jemals wirklich wieder gut zu werden scheint. Und auch, wie oft das Umfeld eine Depression nicht richtig einzuschätzen weiß – und mit gutgemeinten Ratschlägen, der Depressive möge sich „nicht so anstellen“, sich einfach „mal zusammenreissen“ etc. pp. vieles noch schlimmer macht. Eine gut geschriebene, informative Strecke.

Vielleicht hilft sie ja auch den Machern des Focus auf ihrem Weg durch das tiefe Tal der neuen Zeit.

Gut, dass ganz am Ende noch Helmut Markwort sein Tagebuch schreibt. Etwas Beständiges braucht der Mensch und Perspektive: Und wenn die nur darin besteht, wie die Wahlverlierer des Super-Sonntags sich die Welt schönreden. Aber das war auch schon anderswo zu lesen.

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