Hillary – ein ganz persönliches Drama

Hillarys Schwächeanfall ging offenbar tiefer, als das Clinton-Lager es zunächst darzustellen versuchte. Clinton sollte als gute Demokratin den Weg für die Kür eines Nachfolgekandidaten ihrer Partei frei machen.

© Justin Sullivan/Getty Images
Democratic presidental nominee former Secretary of State Hillary Clinton leaves the September 11 Commemoration Ceremony at the National September 11 Memorial Museum on September 11, 2016 in New York City.

In der Weltpolitik geht es um das Schicksal von 8 Milliarden Menschen und nicht um die Befindlichkeiten einer Hillary Clinton. Das mächtigste Amt der Welt muss nicht nur aus US-amerikanischer Sicht, sondern im Interesse aller Erdenmenschen mit dem möglichst bestgeeigneten, also sachlich kompetentesten, im besten demokratischen Sinne führungsstärksten und mental und körperlich gesündesten aller Kandidaten besetzt werden. Das klingt wie ein Idealfall. Wenn es aber um die Gestaltung der Weltpolitik geht, über die zu einem guten Teil im Weißen Haus entschieden wird, dann sind falsche Kompromisse oder, um es zu wiederholen, persönliche Befindlichkeiten einzelner Kandidaten völlig irrelevant. Sie haben irrelevant zu sein.

Die deutschen Leitmedien oder besser, viele der sich dort hervortuenden Journalistenkollegen, schwelgen, wie man täglich rund um die Uhr nachlesen und nachhören kann, im Clinton-Suff oder vielleicht noch eher in ihrem Anti-Trump-Wahn. Nun haben die Deutschen, die vor vier und acht Jahren nahe 100 % Obama gewählt hätten (nicht Clinton) und jetzt wieder in ihrer ihnen eigenen Weltrettungsmanier meinen, jetzt Clinton an die Macht bringen zu müssen, glücklicherweise nicht darüber zu bestimmen, wer der nächste US-Präsident wird.

Aber festgehalten werden muss, dass die deutschen Medien in ihrer Widerstandskämpfer-Attitüde angesichts des von einem Passanten gefilmten Schwächeanfalls ihres Idols Hillary eine ziemlich absurde Berichterstattung intoniert haben und den öffentlichen Blick auf die Realität und vor allem auf die politisch-moralische Seite der Sache verkleistern.

Um einfach gestrickte Gemüter von vorn herein von einem möglichen Missverständnis abzuhalten: Hillary Clinton verdient, falls ihr Gesundheitszustand nicht den Sollwerten entsprechen sollte, das Mitgefühl, das jeder Mensch verdient, der sich in derselben körperlichen Verfassung befindet. Doch anders als alle anderen Menschen auf der Welt will Hillary Clinton zur nächsten US-Präsidentin gewählt werden. Es geht also um das Schicksal der Welt, um es so groß auszudrücken, wie es ist und es geht mitnichten um das Schicksal Hillary Clintons.

Ob Clinton, und sei es nur als bloße Trump-Verhinderin, die geeignete Präsidentin der USA wäre, darf, wie darzustellen sein wird, bezweifelt werden. Unabhängig von den grundsätzlichen Zweifeln sind aktuell aus Anlass ihres öffentlichen Zusammenbruchs neue Zweifel an Clintons Präsidenteneignung aufgekommen, die ja auch sofort weltweit, vollkommen zu Recht, diskutiert werden, übrigens im Lager der Demokraten genauso wie im Lager der Republikaner.

Zum einen empören sich auch die Clinton-freundlichen US-Medien über eine vertuschende Informationspolitik der Kandidatin und dies nicht nur einen gewissen Emailverkehr betreffend, sondern eben auch in Ansehung ihres evident gewordenen Schwächezustandes sowie auch ihrer allgemeinen gesundheitlichen Eckdaten. Natürlich ist vor allem der Schwächeanfall selber politisch korrekterweise ein Faktum, das die Gemüter bewegt.

Clinton soll eine vor drei Tagen diagnostizierte Lungenentzündung seither mit Antibiotika behandeln. Den Rat ihrer Ärztin dieserhalb auf die Bremse zu treten und den Wahlkampf ruhen zu lassen, schlug Clinton, so muss man ihre Darstellungen verstehen, in den Wind. Jedenfalls zog sie trotzdem weiter in das Kampfgetöse.

Hillary war immer mehr „First“ als „Lady“

Ein bisschen mehr Selbstbeherrschung, ein bisschen mehr Realismus und vor allem sehr viel mehr Gelassenheit waren angezeigt. Diese Tugenden scheinen Clinton in entscheidenden Momenten zu fehlen. Auch diese Eigenschaften gehören allerdings zum Eignungstest und zur Bewertung der politischen Eignung einer Kandidatin. Wer Hillary Clinton seit ihren frühen politischen Tagen in Little Rock, der Hauptstadt des Melonenlandes Arkansas, verfolgt, dem konnte nie verborgen bleiben, dass Hillary sich wahrscheinlich immer für den besseren Bill und besseren US-Präsidenten als ihren eigenen Mann gehalten hat. Kein Wunder, dass das Bon Mot von „Billary“ die Runde machte.

Hillary war immer mehr First als Lady in Little Rock wie in Washington, jedenfalls was ihre Selbstdarstellung und wahrscheinlich auch, was ihre Selbsteinschätzung anbelangt. Hillary Clintons Leben könnte man sehr gut als ihren eisenharten und durchaus auch fanatischen Lebensweg von Null ins Weiße Haus begreifen. Insofern ist ein Schwächeanfall der älteren Dame kurz vor Erreichen ihres eigenen Lebensziels vielleicht auch ein Zeichen eines allmählichen Verschleißungsprozesses.

Selbstbeherrschung im Sinne von rücksichtsloser Zielverfolgung, auch im Sinne einer maskenhaften immer hochtourig und leicht übertourig funktionierenden Perfektion, ist das Markenzeichen von Hillary Clinton, aber Selbstbeherrschung im Sinne vernünftiger Gelassenheit und einer souveränen Draufsicht auf die Politik, die sie beherrschen will und auch auf ihre eigenen Möglichkeiten, fehlen Clinton nicht erst seit dem 11. September 2016.

Sie ist zu verbissen und zu fixiert darauf, alle Rekorde zu brechen und eben als First-Lady-Außenministerin-Präsidentin die erste Frau im Weißen Haus zu werden und alle bisherigen US-Präsidenten inklusive ihrem etwas früh verblühenden Bill zu toppen. Clinton ist verständlicherweise persönlich nicht sehr beliebt. Ihre stärkste Wählergruppe sind die emanzipierten alten weißen Frauen ihrer Baby-Boomer-Generation, denen es nicht so sehr auf die Realpolitik ankommt, sondern vielmehr auf ihr großes Lebensgefühl von der Emanzipation.

Clinton schuftet sich Tag und Nacht einen ab, aber sie ist auf eine merkwürdige Art auch eine willige Vollstreckerin des mächtigen demokratischen Establishments. Diesem Establishment, das sie als jetzt aktive Vertreterin der Clinton-Dynastie voll hinter sich hat, fühlt sie sich offenbar weit mehr verbunden als dem Land oder dem einfachen Amerikaner. Es gibt eine erstaunliche Distanz zwischen ihr und dem Volk.
Clinton schwimmt auch persönlich im Geld und müsste nicht dauernd hyperventilieren. Das geht auf die Nerven und auf die Gesundheit. Die Souveränität, die persönliche Reißleine zu ziehen und ihre, die demokratische Partei, spät, aber noch rechtzeitig vor den Wahlen in die Lage zu versetzen eine Kandidatennachfolgerin zu bestimmen und in den Wahlkampf zu schicken, scheint nicht Clintons Sache zu sein.

Das demokratische Lager ist entsetzt

David Axelrod, der Ex-Chef-Stratege von Präsident Barack Obama, kritisierte auf Twitter in scharfen Worten Clintons Flucht in die Privatsphäre angesichts ihres öffentlichen Zusammenbruchs: „Antibiotika können eine Lungenentzündung beseitigen. Aber was ist die Heilung für das ungesunde Bedürfnis nach einer Privatsphäre, die immer wieder unnötige Probleme verursacht?“

Axelrod spielt damit wohl auch darauf an, dass Clinton, die seit neun Monaten (!) keine öffentliche Pressekonferenz mehr gab, Journalisten aus ihrem privaten Wahlkampfjet fernhielt, was in Amerika gegen das „Right to know“ verstößt.

In Amerika gehen die Erwartungshaltungen an Präsidenten sehr weit. Von ihnen wird erwartet, bis an die Grenze der Persönlichkeitsstörung, öffentlichkeitssüchtig zu sein und auf jede Privatssphäre zu verzichten. Ein gewisser Psycho-Exhibitionismus gehört dazu. Deshalb kommt Clintons Geheimniskrämerei angesichts eines öffentlichen Zusammenbruchs überhaupt nicht gut an.

Ob Ehemann Bill jemals US-Präsident geworden wäre ohne seine Powerfrau Hillary, scheint wenig wahrscheinlich. Insofern ist Hillarys Machtgier, die schon sehr früh Früchte trug, als Hillary aus einem Winzstaat der USA kommend plötzlich First Lady wurde, zu einem sich permanent selbst verstärkenden Persönlichkeitsmerkmal geworden.

Und irgendwie spielt Clinton bei aller brutalen Stärke, die sie demonstriert, auch latent, aber stärker als man denkt, die Opferrolle der frustrierten, aber höchst begabten Mittelschichtfrau, die sich erst ein Leben lang für ihren Ehemann und dessen Karriere zurücknahm, sich mit all ihren Fähigkeiten engagierte und gewissermaßen opferte, dann am Patriarchat scheiterte, nämlich am demokratischen Establishment, das lieber den Mann, nämlich Obama als US-Präsidenten wollte und die jetzt endlich im Alter die ihr bisher versagte, aber eigentlich längst verdiente Präsidentenehre beansprucht.

Insofern ist Clinton schon lange in dem Film eines riesigen Frauendramas abgesoffen – keine gute Voraussetzung für eine weltdienliche US-Präsidentenschaft. Clinton kommt aus diesem ihrem Lebenskampfblues, den sie auch noch als Kampf für alle Frauen vermarktet, irgendwie nicht raus. Und sie kommt auch deshalb aus dieser rührseligen Legende nicht raus, weil sie sich mit diesem Personal Drama überidentifiziert hat.

Clinton, die heute 68 ist und schon alles im Leben auf höchstem Niveau erreicht hat, müsste etwas mehr drüber stehen. Auch über alle persönliche Unbill. Klar, Clinton vermeidet es als sichtbare Emanze aufzutreten und natürlich vermeidet sie jedes Offenkundigwerden irgendeiner Rührseligkeit, aber sie tritt eben mit dem Anspruchsdenken auf, dass sie jetzt einfach als Weltlenkerin dran ist. Das ist Clintons Pferdefuß, der sie anfällig macht. Vielleicht für physische Schwäche, aber eben auch für politische Fehlentscheidungen, wenn es drauf ankommt. Der US-Präsident hält den Atomschlüssel dieser Welt in der Hand. Das müssen alle Wähler bei ihrer Entscheidung im November voll im Blick haben.

Die Clinton-Supporter in den deutschen Medien haben sich wieder einmal reflexartig der Lächerlichkeit preisgegeben und maximale politische Ignoranz gezeigt. Clintons Schwächeanfall wurde sofort zur Verböserung des Gegenkandidaten Trump heran gezogen. Bevor der sich äußerte, wurde prophezeit, dass er Clintons Schwäche ausschlachten wollte („gefundenes Fressen“) und ihr jetzt „weh tun“ wollte. Es ist allerdings die demokratische Aufgabe eines jeden Kandidaten das Amt, das er anstrebt, auch wirklich zu wollen und das bedeutet wollen zu müssen, dass der Gegenkandidat scheitert.

Clinton ist angeschlagen, Trump läuft putzmunter herum

Clinton ist prima facie ihres Schwächeanfalls wegen gesundheitlich angeschlagen. Trump läuft dagegen strotzend und putzmunter durch die Gegend. Was machen die Clinton-Medien? Sie relativieren ihren gehassten Trump auf Clintons Schwächeniveau herunter und nutzen Clintons Schwächeanfall dazu Trump, der fast gleichalt ist wie Clinton, quasi eine Schwächelatenz unterzuschieben: Trump sei sogar zwei Jahre älter, auch er hätte seine persönliche Gesundheits- oder Krankenakte nicht öffentlich gemacht und sei eigentlich sowieso noch viel schlimmer.

In der Tagesschau wurde dem deutschen Zuschauer etwas piepsig erklärt, dass es für unsere Verhältnisse befremdlich sei, dass der Gesundheitszustand des mächtigsten Mannes oder der mächstigsten Frau der Welt überhaupt ein Thema wäre. Das Clinton-Lager spürt offenbar, dass ihre Kandidatin Hillary Clinton dabei sein könnte, den Einzug ins Weiße Haus – derzeit führt sie in den Meinungsumfragen mit 46 zu 43 Prozentpunkten – zu verpassen.

Ob Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, bleibt sehr offen und es hängt gegebenenfalls auch von einem Alternativkandidaten ab, den die Demokraten kurzfristig aufstellen, wenn Clinton das Handtuch wirft.

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