Ukrainischer Oppositionspolitiker Leschtschenko warnt vor Wahl-Manipulationen

Serhij Leschtschenko (39), ukrainischer Journalist und Politiker, war eines der Gesichter der Revolution von 2013/2014. Seit November 2014 ist er einer von 28 Maidan-Aktivisten, die Abgeordnete der „Rada“ wurden, des Parlaments in Kiew. Zunächst gehörte er dort zum Block von Präsident Petro Poroschenko, sagte sich später aber von diesem los. 2014 wurde er von Reporter ohne Grenzen mit dem „Helden der Informationsfreiheit“-Preis gewürdigt.

Vor dem Urnengang am Sonntag erhebt Serhij Leschtschenko (39), Journalist, Abgeordneter und eines der Gesichter der Revolution von 2013/2014, schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten und Milliardär Petro Poroschenko. Er wirft ihm vor, die Revolution verraten zu haben und mehr an sein Vermögen als an das Land zu denken. Der Westen drücke dabei die Augen zu.

Frage: Spricht man mit den Menschen in Ukraine, fällt auf, wie viele sehr enttäuscht sind über die politische Entwicklung nach dem Maidan. Viele sagen, die Ideale von damals seien verraten worden, unter Präsident Janukowitsch, der damals nach Moskau flüchtete, sei das Leben besser gewesen. Was ist da dran?

Leschtschenko: Das kommt daher, das unser amtierender Präsident Petro Poroschenko die historische Chance, die er hatte, nicht ausgenützt hat. Er hat das Vertrauen der Menschen gebrochen und stattdessen die eigenen Interessen vorgezogen, die leider von Korruption bestimmt sind. Die Menschen spüren das an ihrem Geldbeutel. Es geht ihnen heute schlechter.

Ist das nicht der Preis, den man für Reformen zahlen muss?

Leschtschenko: Viele würden das ertragen und den Gürtel enger schnallen, wenn im Gegenzug die Regierung ehrlich und unbestechlich wäre. Wenn der Präsident nicht weiter all die alten Schemen betreiben würde, um Geld aus dem Staatshaushalt für seine Firmen abzuzweigen. Wenn die Leute den Gürtel enger schnallen müssen und gleichzeitig ständig Nachrichten hören, wie hier wieder 100 Millionen Geld von einem Staatsbetrieb veruntreut wurden oder da wieder eine neue Abzocke läuft, dann werden sie wütend.

Wie viel Geduld haben die Ukrainer noch?

Leschtschenko: Man hat ihnen die Hoffnung gestohlen, Zeit, und Geld. Sie wurden also dreifach betrogen. Deshalb sind sie nicht mehr so optimistisch, was Poroschenko angeht. Unter Janukowitsch hatten wir eine ganz andere Situation – keine Besatzung, keinen Krieg. Dass es unter ihm besser war, lag nicht an ihm, sondern daran, dass unsere jetzigen Herrscher korrupt sind und unfähig, Reformen zu machen, bei denen es ihnen nicht um ihre Interessen geht, sondern um die der Menschen.

Aus dem Umfeld von Poroschenko heißt es, er habe die Parole ausgegeben „siegen um jeden Preis“. Ausländische Beobachter äußern hinter vorgehaltener Hand Angst, dass bei der Wahl nicht alles mit rechten Dingen zugehen wird. Ist diese Angst berechtigt?

Leschtschenko: Es gibt die Gefahr, dass es zu Manipulationen kommt. Die könnten verschiedene Formen haben: Erstens durch die Mitarbeiter der Sicherheitsorgane, auf die Poroschenko Einfluss hat, und die etwa Druck auf Unternehmer machen können. Zweitens durch die so genannte „administrative Ressource“. Also dass man Staatsdienern sagt, sie müssen alles tun, um den Präsidenten zu unterschützen. Drittens droht eine Bestechung von Wählern. Poroschenko hat Leute in seinem Umfeld, die das früher für andere machten – und jetzt für ihn.

Wie soll die Bestechung von Wählern funktionieren?

Leschtschenko: Indem man ihnen Geld zahlt für ihre Stimmen. Es gibt ein ausgeklügeltes System namens „Pyramide“. Ein einzelner beauftragt zehn Leute, von denen jeder wieder zehn Leute beauftragt, und so weiter. Also ein Schneeballsystem zum Stimmenkauf. Das ist das dritte Risiko. Das vierte ist Zensur im Fernsehen, Poroschenko hat einen Deal mit den wichtigsten Oligarchen gemacht, er hat die Meistbegünstigungsklausel bei den wichtigsten Sendern.

Für viele steht Poroschenko aber als Garant für einen harten Kurs mit Russland.

Leschtschenko: Das ist besonders paradox – er positioniert sich so, und parallel ist einer seiner Vertrauten einer der engsten Verbündeten Putins, Viktor Medwetschuk. Putin ist Taufpaten von dessen Tochter. Er besitz Fernsehsender in der Ukraine. Und unterstützt Poroschenko massiv. Er gibt die Losung aus: Ohne Poroschenko kommt Putin. Sie sind Komplizen. Mein Fazit: Manipulationen bei den Wahlen sind wahrscheinlich.

Ist das Risiko für Poroschenko nicht zu hoch?

Leschtschenko: Es geht nicht nur um Milliarden für ihn, sondern auch um seine persönliche Sicherheit. Bei einer Abwahl drohen ihm Ermittlungen. Es sind zu viele Fälle des Machtmissbrauches bekannt geworden.

Wie sehen Sie die Rolle des Westens?

Leschtschenko: Der hätte sich viel härter mit Poroschenko verhalten müssen. Man hat ihm ermöglicht, diese Korruptions-Schemen aufzubauen, und dafür noch Geld nach Kiew überwiesen. Der Westen hat de facto Poroschenko verführt, durch dieses Geld, das gezahlt wurde, ohne abzuwarten, dass er die Reformen auch wirklich umsetzt. Poroschenko hat dieses Vertrauen des Westens missbraucht.

Das sehen hier viele nicht so…

Leschtschenko: Er hat es geschafft, mit Hilfe von Lobbyisten und Beratern im Westen ein positives Bild von sich zu erzeugen. Er hat sich viel besser verkauft als sein Vorgänger Janukowitsch. Und viele westliche Politiker zogen es vor, ihm zu vertrauen, anstatt den Dingen auf den Grund zu gehen.

Fahrlässig oder willentlich?

Leschtschenko: Sie zogen vor, sich selbst zu betrügen, und sich einzureden, Poroschenko habe es eben schwer. Mit diesem Wegschauen haben sie erst ermöglich, dass Poroschenko sich derartige Korruption und Machtmissbrauch erlauben kann. Das jetzt zuzugeben, fällt den westlichen Politikern schwer, weil sie Erfolgsgeschichten brauchen und schlecht sagen können, dass sie fünf Jahre auf den falschen Mann gesetzt haben.

Was müsste der Westen machen?

Leschtschenko: Auf harte Kontrolle setzen. Doch er tut das Gegenteil. Ende Dezember wurde die letzte Tranche eines WWF-Kredits ausgezahlt, zwei Milliarden Dollar, ohne dass Kiew vorher die Bedingungen bei der Bekämpfung der Korruption erfüllte.

Ist der Maidan gescheitert?

Leschtschenko: Nein. Aber wir wären weiter, wenn die Leute an der Macht sich um das Land kümmern würden statt um ihr Vermögen und darum, es aus Staatskosten zu erweitern. Aber dafür haben wir in der Ukraine vieles, was andere postsowjetische Länder nicht haben: Pressefreiheit, eine aktive Bürgergesellschaft, man kann die Mächtigen kritisieren, wie ich hier in diesem Interview, man kann gegen sie vor Gericht ziehen, wir haben eine Anti-Korruptions-Behörde, und vieles mehr. Wir sind in Bewegung. Und dabei brauchen wir einen Präsidenten, dem es um diese Bewegung geht und nicht nur um Macht und Geld.

Bei den Umfragen führt der Komiker Wolodymir Selenski. Warum?

Leschtschenko: Dank Poroschenko. Er hat die Leute so weit gebracht, dass sie bereit sind, jeden zu wählen, der für einen Neuanfang steht. Aber sowohl Selenski als auch Julia Timoschenko sind große Risiken für die Ukraine. Timoschenko wegen ihres Populismus, ihrer Risikofreude. Selenski wegen seiner Unerfahrenheit in der Politik und seinen Verbindungen zu dem Oligarchen Kolomojsky.

Was zieht die Menschen an dem TV-Star Selenski an?

Leschtschenko: Er ist der einzige Kandidat, der noch nie in der Politik war – und gleichzeitig bekannt ist. Der immer gegen das Establishment kämpfte, sich über die Politiker lustig machte. Die Menschen wollen jemanden, der die jetzige Elite, die sie enttäuscht hat, zum Teufel schickt. Selenskis Unterfahrenheit ist auch eine Chance.

Warum?

Leschtschenko: Er kann überzeugt werden, die richtigen Schritte zu machen. Ich habe ihn vor kurzem getroffen. Meine Vorschläge zur Korruptionsbekämpfung hat er unterstützt. Zumindest verbal.


Serhij Leschtschenko (39), bekannter ukrainischer Journalist und Politiker, war eines der Gesichter der Revolution von 2013/2014. Seit November 2014 ist er einer von 28 Maidan-Aktivisten, die Abgeordnete der „Rada“ wurden, des Parlaments in Kiew. Zunächst gehörte er dort zum Block von Präsident Petro Poroschenko, sagte sich später aber von diesem los. 2014 wurde er von Reporter ohne Grenzen mit dem „Helden der Informationsfreiheit“-Preis gewürdigt.

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Kommentare ( 12 )

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HAL
5 Jahre her

Eigentlich nichts Neues, wenn deutsche Journalisten sich dort vor Ort informieren würden. Vor drei Jahren habe ich dort die Faschisten mit Hakenkreuztätowierungen auf Fronturlaub in Kiev gesehen und vor zwei Jahren hat mir ein verbitterter Maidanteilnehmer über Poroschenko gesagt, dass sie jetzt nur ein anderes korruptes Schwein an der Spitze hätten

Peter Zinga
5 Jahre her

Maidan ist gescheitert, weil es nicht spontan, aus der Volkseele entstanden ist, sondern weil es sich um eine Marionetteninszeniurung des Westens, besonders USA, geht.. Und-leider- mit hilfe nostalgischen Nationalisten, Erben Banderas. Mit paar Leuten aus der baltischen Länder europas autentieschen Nazis.

Harald Kampffmeyer
5 Jahre her

Hm, wenn da jemand von einer NGO namens „Reporter ohne Grenzen“, die beständig die Agenda anderer NGO’s wie UNO, EU, IOM (Internaltional Organization for Migration), Soros-Instituten betreibt und in D. grünennah ist,
mit dem „Helden der Informationsfreiheit“-Preis bedacht wurde, so ist eine solche Person in meinen Augen nun nicht gerade Garant für Redlichkeit.
Wenn diese Person sich noch eine Anbindung der Ukraine an die EU wünscht (also an einen den europäischen Völkern schadenden **), statt Freiheit und Souveränität gegen EU (und Rußland) zu fordern, dann scheint er nicht das Interesse der Ukrainer zu verfolgen.

Imre
5 Jahre her

Also, wenn man diese Aussagen liest, und der Leschtschenko hat nicht mal alle wichtigen Problempunkte angesprochen, dann ist der Maidan aber grandios gescheitert! Und genau so wie vermutet, für Westgeld haben die früheren Hoffnungsträger ihre Wähler und ihr Gewissen gleich mit verkauft. Und für solche Versager haben NATO und EU den 3. Weltkrieg riskiert?! Geht’s noch? Nein, das ist nicht nur eine Laus im Pelz des Westens, das sind schon ausgewachsene **! Nur zur Erinnerung: Noch 9% in der Ukraine sind mit der aktuellen Regierung zufrieden! Man darf also auf die Wahlergebnisse sehr gespannt sein, L deutete es ja an.… Mehr

Jo_01
5 Jahre her

Der Westen – allen voran die USA unter Obama und vorher unter Bush – haben geostrategische Interessen in der Ukraine (Buchtipp: Amerika- die einzige Weltmacht) und innerhalb dieser geostrategischen Interessen auf dem eurasischen Kontinent ist die Ukraine das Schlüsselland. Und einzig aus diesem Grund hat der Westen den Maidan-Putsch initiiert und finanziert. Es ging nie um die einfachen Menschen, sondern ausschließlich darum, Russlands Einfluss (der aufgrund der Geschichte ein ganz logischer ist bzw. war) zurückzudrängen und die Ukraine – koste es, was es wolle – mit der Brechstange NATO-kompatibel zu machen. Durch die – natürlich von Moskau unterstützte – Gegenwehr… Mehr

Stephan Mauer
5 Jahre her
Antworten an  Jo_01

„Gegenwehr der Südost-Ukrainer“… Ohje. Zu viel Russia Today geschaut. So wie Linken und Grünen vorgeworfen wird in einer Blase zu leben, muss man das hier einigen Kommentatoren leider auch. Wobei auf den alternativen rechten Medien und der Linkspartei da witzigerweise die gleichen Meinungen herrschen. Dass es ganz rechten Seiten solche Kommentare gibt ist seit einigen Jahren zu beobachten und auch russische Trolle, die wirklich immer mit den gleichen Kommentaren kommen, die leider oft unwidersprochen stehengelassen werden, da man sich in den Blasen ja einige sein muss. Kur dazu: Zu Sowjetzeiten wurden viele Ukrainer zwangsumgesiedelt bzw. viele Russen in der Ukraine… Mehr

naklar2018
5 Jahre her
Antworten an  Stephan Mauer

Genau so ist es, Stephan Mauer. Wie viele westliche Konservative dem KGB-Mann Putin auf den Leim gehen ist ein Phänomen. Ich finde kein gutes Wort für Merkel aber in dieser Mischung aus Stalin und Al Capone die Alternative zu sehen ist mir als nur naiv. Es ist verantwortungslos. Übrigens ruft Putins Vertrauter Kadyrow im Tschetschenien zum heiligen Krieg auf – für alle, die den Kremlchef für den Retter des Christentums halten eine wichtige Information: https://www.youtube.com/watch?v=KnDlGT0qeio&t=1s

Peter Zinga
5 Jahre her
Antworten an  Stephan Mauer

Herr Mauer, gestatten Sie mir, bitte, ihre Position als demagogisch, propagantistisch und primitiv zu bezeichnen. Und: wenn es um eigene Identität zu beweahren, ds sind DeutscheWeltmeister. Wir ,in Tschechien, haben es auf eigenem Leib erfahren müssen.
Deshalb vorsichtig mit Vorurteilen und Klischees.

HAL
5 Jahre her
Antworten an  Stephan Mauer

„Völkisch, nationalistisch“ Sie schauen wohl zuviel ÖR. Stalin war z.B. kein Russe sondern Georgier. Ich empfehle Ihnen einfach mal selbst nach Russland und in die Ukraine zureisen, für die Ukraine brauchen sie nicht mal ein Visum, und sich mit den Menschen dort zu unterhalten, wäre sehr lehrreich für sie.

naklar2018
5 Jahre her
Antworten an  Jo_01

P.S.: Jo_1 Wenn Russlands Einfluss aufgrund der Geschichte ganz logisch ist wie Sie schreiben ist er das dann auch in den neuen Bundesländern? Und deutscher Einfluss in Kaliningrad und im Elsass, auch ganz logisch? In welchem Jahrhundert sind Sie denn politisch stecken geblieben?

Jo_01
5 Jahre her
Antworten an  naklar2018

Sie suchen sich das raus, was Ihnen gerade passt: 1. Wie lange ist Königsberg und Elsass aus deutscher Sicht her? Wie oft ist der Elsass zw. DE Und FR hin und her gewechselt ? Und welche jahrhundertelange Geschichte haben die Ukraine und Russland und welche Bedeutung hat Kiew für das religiöse Russland? Wissen Sie das oder nur gepflegtes Halbwissen ? 2. Nach Ihrer Lesart: welche Begründung wäre denn für Sie nachvollziehbar für den Einfluss, den die USA in der Ukraine anstrebt, wenn Sie dies für RUS ausschließen? . Aber womöglich bestreiten Sie ja sogar, dass die USA bzw. die NATO… Mehr

Babylon
5 Jahre her

Tja, der mehr als merkwürdige Poroschenko seine Geschäfte und der Westen. Bei der letzten NATO-Tagung der Regierungschefs dieses Bündnisses war Poroschenko wie selbstverständlich dabei, ohne dass die Ukraine Mitglied der NATO ist. EU-Kommissionschef Juncker war auch anwesend und als er ins Schwanken kam wurde er von Poroschenko hilfreich von hinten gestützt.
Alles stabile „Ecksteine“ im grandiosen Bau des „Hauses Europa“.