Sebastian Kurz passt in keine Schablone

Die türkis-grüne Regierung in Wien geht prozedural neue Wege in mehrerlei Hinsicht. Ob diese tragen, muss sich in der Praxis erweisen. Alte Trampelpfade zu verlassen, ist schon deshalb jedenfalls gut.

Thomas Kronsteiner/Getty Images
In einem Interview der Kronenzeitung findet sich mehreres, das zu verstehen hilft, warum es sich bei der Regierungsbildung in Wien durch Sebastian Kurz und Werner Kogler um einen Weg handelt, der sich mit dem herkömmlichen Besteck nicht sezieren lässt.

Die Krone fragt: Ihre Verhandlungstaktik war, jedem seine Kernkompetenzen zu überlassen. Wurde das von Anfang an so vereinbart und von wem?

Kurz: „Werner Kogler und ich haben das gleich zu Beginn der Sondierungsgespräche gemeinsam so vermessen, weil wir ja aus der Erfahrung in Österreich wissen, was rauskommt, wenn man es anders macht. Dann kommt das heraus, was bei der großen Koalition mit der SPÖ herausgekommen ist: Blockade und Stillstand. Deshalb war es wichtig, einen vollkommen neuen Weg zu wählen, denn die Alternative wäre gewesen, dass wir uns wechselseitig auf Minimalkompromisse herunterverhandelt hätten. Das wollten wir nicht. Deshalb setzen die Grünen ihre Schwerpunkte beim Klimaschutz und beim Transparenzpaket, und wir halten unseren Kurs bei Migration und Integration.”

Das schlägt sich bei BamS Online unter anderem so nieder: „Bitte sagen wir nicht Flüchtlinge, sondern Migranten“.

Weiter findet sich diese Antwort im Krone-Interview:

»Die Frage „Wer hat sich durchgesetzt?“, das ist ja eine Uraltdenkweise! Darum geht es nicht, sondern es geht um die Frage: „Was braucht unser Land? Was macht Sinn? Was ist möglich?“ Dass die Ressortverteilung 11 zu 4 ist, entspricht dem Wahlergebnis. Wir hatten 37 Prozent, die Grünen 14 Prozent der Stimmen. Trotzdem finden sich beide Parteien in dem Programm wieder und jetzt geht es darum, uns an die Arbeit für unser Land zu machen.«

In einem anderen Interview antwortet Kurz der BamS auf die Frage: Wie stehen Sie zur privaten Seenotrettung?

„Es ist ein sehr heikler Bereich, weil manchmal unterstützen private Seenotretter, ohne dass sie es wollen, die Schlepper. Und so führt das Vorgehen der privaten Seenotretter am Ende zu mehr Toten.

Es ist doch so: Durch das Retten im Mittelmeer und einem direkten Ticket nach Europa machen sich immer mehr auf den Weg und immer mehr ertrinken dadurch. All jene, die glauben, etwas Gutes zu tun, müssen sich eingestehen, dass es diese erwiesene Steigerung der Toten durch ihr Vorgehen gibt. Das bedaure ich zutiefst und werde es weiter bekämpfen. Es darf nicht darum gehen, was nach außen hin vielleicht gut aussieht, sondern was funktioniert. Ein Modell der privaten Seenotrettung funktioniert nicht.“

Im Interview mit dem Standard warnt der frühere Nationalratsabgeordnete Peter Pilz, der mit seiner Abspaltung die Grünen seinerzeit aus dem Parlament katapultiert hatte, nun die Grünen:

„Die Grünen haben Kurz völlig überraschend das Vetorecht bei CO2-Steuern gegeben, da sie ohne Not die Einrichtung einer Taskforce akzeptiert haben – und sie haben selbst ihr Vetorecht im Migrationsbereich abgegeben, wo im Krisenfall ÖVP und FPÖ die Grünen überstimmen dürfen. Und sie machen mit der Sicherungshaft erstmals selbst FPÖ-Politik.”

Die Taskforce, von der Pilz hier spricht, soll Vorschläge zum „Klimaschutz” bis 2022 erarbeiten. Ob es dann diese Koalition noch gibt, darf bezweifelt werden. Wenn nicht, wird es nicht an der Neuen Volkspartei von Sebastian Kurz liegen, dafür hat dieser vorgesorgt – so weit ich sehe, sehr gut vorgesorgt.

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Kommentare ( 72 )

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Johann Thiel
4 Jahre her

Es ist einfach nur deprimierend. Europa ist wie ein einziges grauenhaftes Fernsehprogramm. Einzig GB hat sich aus dem Sendebereich verabschiedet und macht eine eigene, ganz neue, spannende Sendung. Ansonsten kann man alle Länder durchzappen. Sozialdramen soweit dass Auge reicht. Am schlimmsten natürlich die deutsche Dramaserie, in der Kommissarin Merkel gegen CO2-Nazis im Hühnerstall ermittelt, die dessen Umbau in ein Flüchtlingsheim für Fachkräfte der ambulanten Chirurgie verhindert haben. Etwas besser der französische Kanal, mit dem Sozial-Action-Drama „Macron gegen alle“, die von einer Dauererstürmung einer nicht vorhandenen Bastille handelt, farbig etwas einseitiger Kostümschinken ohne sichtbare Helden. Der italienische Sender Senza Stelle bringt… Mehr

Gambrinus
4 Jahre her

Der Kurz ist ein Guater und wird auch guat beraten…
Die Grünen wollen doch mitregieren!

Yuminae
4 Jahre her

Man darf eigentlich einem Koalitionspartner niemals das Ressort Kultur geben, weil dann schneller Geld in indirekte Parteienfinanzierung geht als man denken kann. Sobald in D das Kulturministerium besetzt wird von Linken/Grün/SPD fließen so schnell Gelder in Antifa-Strukturen, wie man kaum denken kann. Kurz baut so seinen Gegner auf, und die konservativen Wähler, die lieber Kurz wählten als die FPÖ werden sich schnell die Augen reiben. Der Koalitionsvertrag hat noch mehr merkwürdige Dinge gezeigt, wie dass ein Linksextremer privater Verein, jedes Jahr einen Rechtsextremismus Report erstellen soll und dafür auf höchstsensible Daten von Innenministerium etc. zugreifen darf. Übelster Datenschutz. Kurz hat… Mehr

giesemann
4 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

… wegen Blödsichtigkeit nach Lichtenberg (um 1800).

Nicholas van Rijn
4 Jahre her

Ein Schlüsselmoment für mich war bei der Präsentation des Regierungsabkommens die Reaktion auf die Frage eines Reporters, ob Österreich bereit ist, minderjährige „Flüchtlinge“ aus Griechenland (wie von Habeck angeregt) aufzunehmen bereit ist. Während Kurz dem eine klare Absage erteilt, konnte man deutlich merken, wie Unwohl es seinem Gegenüber Kogler gerade wurde. Der Bundeskongress der Grünen hat der Koalition ja überwiegend zugestimmt, aber an der „Basis“ herrscht nicht gerade eitle Freude darüber.

spindoctor
4 Jahre her

Was ist am Mittelmeer so besonders?

Sonny
4 Jahre her

Ich bin überzeugt, dass Sebastian Kurz ein Pragmatiker ist. Die Koalition mit den Grünen ist mit Sicherheit keine Wunschkoalition von ihm. Gleichzeitig bin ich aber auch davon überzeugt, dass Herr Kurz, was Intelligenz und Schlitzohrigkeit angeht, den einzelnen Grünenpolitikern weitaus überlegen ist. Herr Kurz einigte sich also mit den Grünen auf eine Kompetenzverteilung der Ressorts und das ist überaus klug. Er kann sich jederzeit distanzieren, wenn die ganzen grünen Lügen auffliegen und die Menschen durch grüne Vorstellungen drangsaliert werden, genau wie bei der vorherigen Koalition. Wie man schon bei der Koalition mit der FPÖ erkennen konnte, geht diese Strategie auf,… Mehr

Wilhelm Cuno
4 Jahre her

Bitte lassen Sie uns Herrn Kurz die üblichen 100 Tage geben vor einer Urteilsbildung.

flozn
4 Jahre her

Eines darf man nicht vergessen: Während Kurz von Grenzschließungen und Pull-Faktoren sprach um Stimmen im FPÖ-Lager zu fischen, hat das Land Österreich im Jahre 2018 40% (!) mehr Migranten pro Million Einwohner (2345 vs. 1685) aufgenommen als Deutschland.

https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5618258/Eurostat_Oesterreich-nahm-die-meisten-Asylwerber-pro-Einwohner-auf

Marc Hofmann
4 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Goergen
Dann sollte man doch erst recht stutzig werden und fragen…welche Interessen Sebastian Kurz hier überhaupt vertritt?!
Seine eigenen Machtinteressen oder die Interessen des Volkes…

bkkopp
4 Jahre her

Es kommt wohl auch darauf an welche “ Schablonen “ man im Kopf hat oder als bestimmend ansieht. Die von der Union seit 2005 propagierte Schablone – solange wir das Kanzleramt besetzen ist alles gut – ist aber nicht das was das Land braucht.

imapact
4 Jahre her

Man kann Österreich nicht mit Deutschland vergleichen, auch wenn die jetzige Koalition mit den Grünen gerne zum Modell für Deutschland hochgejubelt wird. Begründung: – Es gibt in Deutschland keinen Kurz. Also, keinen konservativen Politiker mit Charisma und Machtwillen. Wir haben lediglich eine von Merkel entkernte, um nicht zu sagen : kastrierte Union, in der Merkel und ihre Ableger nach wie vor den Ton angeben. – Kurz war zwar aufgrund der aktuellen Situation genötigt, mit den Grünen zusammen zu gehen. Anders jedoch als die Union, die sich aufgrund des Unvereinbarkeitsdogmas mit der AfD freiwillig in eine babylonische Knechtschaft mit den linken… Mehr