Eine Enthüllungsgeschichte

Gilt das Recht am eigenen Bild auch für Vollverschleierte? Lüften wir mal den Schleier. Auch wenn uns, was wir vorfinden, am Ende schleierhaft bleibt.

Monatelang wird nun schon über ein Burka-Verbot und über ein Verbot der Vollverschleierung diskutiert. Längst ist klar: hier wird eine Art Stellvertreterdebatte geführt. Die Idee mag sein, von den wirklich wichtigen Problemen abzulenken.

Selbst die Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich auf dem CDU-Parteitag in Essen diesen Schleier übergeworfen: „Bei uns heißt es: Gesicht zeigen, deswegen ist die Vollverschleierung nicht angebracht, sie sollte verboten sein“, wo immer dies rechtlich möglich sei.

Nun wird es den Lesern hier so gehen, wie dem Autor: Selbst wenn man gewillt wäre, mit einer vollverschleierten Person das Gespräch zu suchen, wenn man versuchen will zu verstehen, was die individuellen Beweggründe dafür sind, sich auf diese Weise der öffentlichen Wahrnehmung als Individuum zu entziehen – man müsste so einer Vollverschleierten überhaupt erst einmal begegnen.

In Ermanglung eines solchen zufälligen Aufeinandertreffens lernt man unterdessen via Medien die Unterschiede solcher Verschleierungen kennen. Wer aufgepasst hat, wer hingeschaut hat, der weiß nun: Es gibt Hidschab, Al-Amira, Chimar, Tschador, Niqab und die Burka, abgebildet im ansteigenden Grad der Verschleierung.

Die Deutsche Presseagentur erklärt uns freundlicherweise sogar weitere Hintergründe: So bedeckt beispielsweise der Niqab vollständig das Gesicht. Er wird zusammen mit einem langen Kleid getragen, das man Abbaja nennt. Der Niqab wird nur in schwarzer Farbe getragen.

Fragen bleiben natürlich offen, so beispielsweise jene, ob denn, wenn ein kleiner Steg, also eine Art Schnur die noch sichtbare Augenpartie zusätzlich unterteilt, ob man dann noch von einem Niqab sprechen kann oder ob wir es hier schon mit einer weiteren Variante zu tun haben, dessen Namen wir noch nicht kennen und dpa auch nicht.

Gehen wir nun mal vom seltenen Fall aus, im Alltagsleben einer Trägerin eines solchen Niqab zu begegnen. Und denken wir weiter mal, weil so ein Auftritt nun so selten ist, dass man sich zu einer diskreten Fotografie mit dem Smartphone hinreißen lässt.

Mit Seltenheitsnachweis

Aber darf man so ein Foto anschließend überhaupt veröffentlichen? Lachen Sie nicht, denn ein Anruf bei einem Rechtsanwalt bringt es an den Tag: Das Recht am eigenen Bild könnte offenbar auch dann noch seine Wirksamkeit behalten, wenn die fotografierte Person eben diese individuelle Darstellung mit einer Verschleierung bewusst verhindert. Die Begründung ist erstaunlich: Es ist die Seltenheit solcher Verschleierungen in Deutschland, die Rückschlüsse zulassen könnte. Wenn man beispielsweise ableiten kann, dass der Autor hier Braunschweiger ist, dann beschränkt sich die Personengruppe „Vollverschleierte Frau“ ja bereits geschätzt auf weniger als ein Duzend.

Eine Anfrage bei der Pressestelle der Polizei wird zwar gewohnt nett beantwortet, bringt aber auch keine zusätzlichen Erkenntnisse. Es sind dort schlicht keine Fälle bekannt, die mit verschleierten Personen zu tun haben. Keine Anzeigen etwa wegen Beleidigung oder Beschimpfungen. Aber auch keine polizeidienstlichen Enthüllungs-Maßnahmen zu Feststellung der Personalien. Klar, man könnte sich Gedanken machen, wie das im Straßenverkehr aussieht. Wie ist das denn mit dem Schulterblick, wenn so ein Schleier das Blickfeld einengt? Wenn man immer nur in ein Tuch hineinschaut, wo man auf Teilnehmer am Straßenverkehr achten will? So eine Einschränkung gilt ja auch schon für die Halb- oder Viertelverschleierungen. Aber auch da gab es bisher keine polizeibekannten Fälle.

Eine Anfrage bei der Pressestelle der Stadt wird zunächst mit Bitte um Präzisierung der Fragen zurückgeschickt. Gibt es besondere Maßnahmen beim Braunschweiger Einwohnermeldeamt oder bei anderen Ämtern, was Verschleierung oder Vollverschleierung muslimischer Mitbürgerinnen angeht, reicht offensichtlich nicht aus. Also: „Bitte präzisieren Sie, was Sie mit „besonderen Maßnahmen“ meinen.“ Machen wir gerne: „’Besondere Maßnahmen‘ meint bei der Identitätsfeststellung. Hat man extra Räume, Frauenbeauftragte oder ähnliches? War das überhaupt schon ein Thema, gibt oder gab es dazu Schulung oder sonst etwas?“

Die Antwort kommt binnen 48 Stunden:

„Probleme mit Musliminnen, die einen Niqab oder eine Burka tragen, sind in der Abteilung mit den meisten entsprechenden Bürgerkontakten – der Abteilung Bürgerangelegenheiten mit der Stelle Ausländerangelegenheiten – nicht bekannt. Die Identitätsfeststellung erfolgt durch Enthüllung des Gesichts gegenüber einer Verwaltungsmitarbeiterin. Nur ganz selten geschieht dies auf Wunsch der Betroffenen in einem separaten Raum. Besondere Räume dafür werden nicht vorgehalten.“

Der Lackmustestanruf

Nun darf, kann oder sollte man als Journalist den anonymisierten Lackmustestanruf machen. Und da gibt es das schöne Bürgertelefon der Stadt. Da geben wir uns mal als hilfreicher Nachbar aus, der für seine Niqab-tragende Nachbarin eine Auskunft einholen will. Der nette Herr am Bürgertelefon weiß schon mal, dass es in der Ausländerbehörde im ersten Stock des Einwohnermeldeamtes Einzelbüros gibt, das wäre ja dann kein Problem. Anwesende Herren könnten den Raum ja kurzfristig verlassen, mutmaßt er freundlich. Wie es im Einwohnermeldeamt erledigt wird, weiß er allerdings nicht, also werden wir recht umstandslos dorthin weitervermittelt.

Die so erreichte Kollegin verweist zunächst darauf, dass die Kollegin, die man eigentlich anrufen wollte, gerade nicht am Platz ist. Weil man aber charmant auf eine Antwort pocht, erklärt sie, sie wisse nichts davon, dass man irgendwo in ihrem Amt seinen Schleier zu lüften hätte. Natürlich gäbe es für Eventualitäten Räume, die man nutzen könne, wenn es gewünscht sei. Und man hatte auch schon vollverschleierte Personen hier, beispielsweise zur Ummeldung, aber da konnte man sich dann mit einer „zügig geleisteten Unterschrift“ versichern, das schon die richtige vor einem stehen würde, indem man diese dann mit der ja vorhandenen Unterschrift im Ausweis vergleicht.

Bleibt also die Sache mit dem Recht am eigenen Bild. Der Anwalt erzählt vom Fall eines Torwarts, der von hinten fotografiert wurde und erfolgreiche klagte. Sein Gewinner-Argument: Die Rückennummer. Auch Polizisten im Einsatz in Vollmontur sind ja gewissermaßen verschleiert, deshalb tragen sie Nummern auf ihrer Kleidung. Und nun stellen Sie sich einmal vor, man würde das für Vollverschleierte fordern. Eine anzuheftende Identifikationsnummer. Wir würden damit schnurstracks in der düstersten Zeit Deutschlands landen. So etwas kann niemand wollen. Aber man darf sich mit Recht die Frage stellen, wer hier auf ein Recht am eigenen Bild pochen sollte. Möglicherweise sogar vor Gericht. Ob denn da dann auch die flink geleistete Unterschrift ausreicht zur Feststellung der Person?

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