Asyl als faules Faustpfand gegen Erdogan

Erdogans Ausnahmezustandspolitik abstrafen, indem verfolgten türkischen Journalisten politisches Asyl im 2.500 km entfernten Deutschland angeboten wird? Wem hilft das mehr? Den Journalisten oder Erdogan?

© Sean Gallup/Getty Images

Das Auswärtige Amt weist jetzt verfolgte Regierungskritiker in der Türkei auf die Schutzmöglichkeiten des deutschen Asylrechts hin. Was soll das nun sein, ein offensiv beworbenes deutsches Asylrecht? Das klingt ja zunächst vorbildlich. Darf man nun auch gespannt sein, wann beispielsweise unsere Millionen an der Armutsgrenze lebenden Mitbürger von der Agentur für Arbeit, früher Sozialamt, initiativ darauf hingewiesen werden, dass sie doch bitte einen Hartz4-Antrag stellen sollen, um, was ihnen von Rechts wegen zusteht, zu erhalten?

Dem Deutschen Bundestag wurde am 01.06.2016 auf kleine Anfrage der Partei Die Linke vom Auswärtigem Amt mitgeteilt (Drucksache hib 316/2016), dass die Bundesregierung der Auffassung sei, dass die Türkei „die Anforderungen an einen sicheren Drittstaat gemäß Artikel 38 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) erfüllt.“ Nach Kenntnis der Bundesregierung entspräche dies auch der Auffassung der Europäischen Kommission.

Demgegenüber meinte aber beispielsweise Proasyl im Juli dieses Jahres und bereits zwei Tage nach dem missglückten Militärputsch, „die Türkei ist kein sicheres Herkunftsland.“ Und die vormals linke TAZ befand im März: „Die Einstufung der Türkei als ’sicherer Drittstaat‘ sei eben doch rechtlich möglich. Abschiebungen dorthin werden aber nur eingeschränkt machbar sein.“ Die FAZ schloss sich der TAZ an: „Die Türkei als sicheren Drittstaat zu bezeichnen kommt einem nur schwer über die Lippen (…) Doch in der Sache ist die Vereinbarung zwischen der Türkei und der EU über die Rückführung von Migranten nichts anderes.“

Angebot mit unvorhersehbaren Folgen

So also die Vorgeschichte. Nun also die Zäsur des Staatsministers im Auswärtigem Amt, Michael Roth (SPD), gegenüber der WELT, Deutschland stehe allen politisch Verfolgten im Grundsatz offen. „Sie können in Deutschland Asyl beantragen. Das gilt dezidiert nicht nur für Journalisten.“

Was bedeutet das? Handelt es sich hier um eine gesetzeswidrige Initiativ-Aufforderung an türkische Mitbürger und in der Türkei lebende Ausländer, über Drittstaaten nach Deutschland einzureisen, um hier politisches Asyl zu beantragen? Spiegel Online spricht hier sogar explizit von einem „Angebot: „Er verband sein Angebot mit deutlicher Kritik am Vorgehen der türkischen Regierung“.

Roth wird weiter zitiert mit den Worten: „Deshalb ist unsere Antwort gegenüber der türkischen Regierung auch glasklar: So nicht!“ Verdrehte Welt! Man will also Erdogans Ausnahmezustandspolitik abstrafen, indem man verfolgten türkischen Journalisten politisches Asyl im zweitausendfünfhundert Kilometer entfernten Deutschland anbietet? Wer glaubt hier ernsthaft, dass Erdogan sich darüber ärgern würde? Besser kann man sich doch seiner politischen Gegner nicht entledigen.
Ein wenig Geschichte? Erinnern wir uns in dem Zusammenhang an Fidel Castros plötzliche Öffnung des Hafens Camarioca im Jahr 1965, in dessen Folge 125.000 Kubaner zu Exilkubanern wurden. Damals betonte Castro, „ sein revolutionäres Projekt und der Kampf für den Kommunismus beruhe auf dem Prinzip der Freiwilligkeit“. Gerne verabschiedete er sich von politischen Querulanten und Kriminellen hinüber ins gerade einmal 170 Kilometer entfernte Florida.

Frage: Bezieht sich dieses Angebot des Auswärtigen Amtes auch auf die geschätzten 2,5 Millionen Syrer und 300.000 Iraker, die sich zur Zeit in der Türkei aufhalten, wenn Roth erklärt, sein Angebot gelte dezidiert nicht nur für Journalisten?

Michael Roth spricht gegenüber der WELT von einem anhaltenden Bemühen der Türkei um Mitgliedschaft in der EU. Ankara wüsste doch ganz genau: „Mit der Einführung der Todesstrafe sind die Beitrittsverhandlungen mit der EU suspendiert.“ Dass wir uns hier auch mal die Frage stellen könnten, ob wir unter der Prämisse beispielsweise TTIP Verhandlungen mit den USA führen dürften, wo doch die Todesstrafe in mehr als zwei dutzend Staaten vollzogen wird, lassen wir mal unberücksichtigt, wenn wir Roths Aussage damit vergleichen, dass nur noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung der Türkei für einen EU-Beitritt stimmen würde und Erdogan Mitte 2016 im Zusammenhang mit dem Brexit bereits damit gedroht hatte, sein Volk abstimmen zu lassen, ob man diese Beitrittsverhandlungen überhaupt noch führen möchte. Merke: Was ich nicht will, kann man mir nicht wegnehmen, noch weniger, was ich noch nicht einmal besitze.

Die Türken wollen gar keine EU-Mitgliedschaft

Also nochmal: Wir befinden uns gerade an einem Wegscheide. Wenn das Auswärtige Amt die Türkei zu einem nicht mehr sicheren Herkunftsland erklärt und das als Faustpfand verstanden wissen will, wäre auch Merkels sowieso brüchiger Türkei-Deal hinfällig, ergo auch ihre außenpolitischen Bemühungen gescheitert.

Wenn obendrein Jean Asselborn, der Außenminister Luxemburgs, Erdogan Nazimethoden vorwirft, so wie er Ungarns Ministerpräsidenten im September vorwarf, dessen Land behandle Flüchtlinge fast schlimmer als Tiere, dann haben wir es hier mit einem Brandbeschleuniger deutscher Außenpolitik zu tun. Mit einem Mann, der sich als Europäer in einem Europa zu Wort meldet, das nicht einmal in der Lage ist, europaweit akzeptable Quoten für Asylbewerber zu vereinbaren. Dann ist das eine vorlaute und unberechtigte Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten.

Aber wozu braucht es schon einen Asselborn, wenn man doch einen geasselbornten Michael Roth hat, der immerhin eines auf den Punkt bringt: Gespräche mit der Türkei seien notwendig schon alleine deshalb, weil „(g)erade wir in Deutschland mit drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln (…) auf eine Fortsetzung der Gespräche drängen“ sollten. Ja, da können einem unsere deutschen Landsleute mit türkischen Wurzeln leid tun, dass sie nun quasi als Legitimation herhalten müssen für eine neue Einladungspolitik, leichtfertig hingesprochen, als hätte man aus Merkels „Wir schaffen das!“-Desaster immer noch nichts gelernt. Oder gerade daraus gelernt!

Wenn Roth gegenüber dem Focus meint, feststellen zu müssen: „Die EU sollte sich nicht von der Türkei abwenden, das macht nichts in der Türkei besser, aber vieles schlechter.“, dann konkurriert das auf groteske Weise mit seiner neuerlichen Asyleinladungspolitik über Drittstaaten, dann ist dieser Mann in diesem Amt untragbar. Noch untragbarer, wenn er obendrein frontal Erdogan angreift, indem er sagt: „Wir sollten die Türkei doch nicht auf einen Politiker reduzieren. Der Staatspräsident steht nicht für das ganze Land.“

Kennt man doch irgendwo her: Ach ja, aus Syrien und bezogen auf Assad. Auch dazu nämlich erklärte kein anderer als Michael Roth vor dem Deutschen Bundestag am 04.04.2014 im Stile eines Colin Powells über einen bis heute ungeklärten Massenmord mit Giftgas in Syrien: „Wie Sie alle wissen, schreckt das Assad-Regime auch nicht davor zurück, Giftgas gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen.“

Sie sehen, was Merkel kann, da will die SPD nicht nachstehen und schickt ihren besten Mann für die feierliche Erneuerung von Merkels „Wir schaffen das!“. Man schmückt sich mit Millionen, jeder will der größere Menschenfreund sein. Na, wenn man sich damit mal keine Feinde an der Heimatfront macht.

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