Wie der Fall Köln dramatisch die Ohnmacht des Staates zeigt

Wie wichtig ein schnelles Handeln unter Mithilfe der Berichterstattung der Presse gewesen wäre, zeigt sich nun an der Ohnmacht von Justiz und Polizei.

Keine zehn Minuten nach der Veröffentlichung meines Beitrags vom 04.01. meldete die WELT als erstes großes Leitmedium (zumindest waren sie die ersten auf meiner Timeline) über die Vorfälle in Köln. Gefühlt im Sekundentakt ging es danach weiter. FAZ, SZ, SPIEGEL und Co. und irgendwann auch die Öffentlich-Rechtlichen, die naturgemäß zumeist etwas langsamer sind als der Rest. Zum Überhaupt-Berichten mischten sich im Laufe des Abends dann auch immer mehr neue Erkenntnisse. Die Zahl der Männer nordafrikanischen und/oder arabischen Aussehens erhöhte sich im Zuge dessen plötzlich drastisch auf um die 1.000, wobei diese Zahl nicht mit der Zahl der Täter gleichzusetzen ist. Diese sollen in kleineren Gruppen aus eben jener Masse heraus agiert haben.

Wenn es in meinem Beitrag zuvorderst um eine möglichst exakte Schilderung des Tatherganges gegangen wäre, wäre er spätestens zu diesem Zeitpunkt obsolet gewesen. Aber genauso wenig wie um die mir in den letzten zwei Tagen vereinzelt unterstellte Flüchtlingshetze ging es darum, einen Tathergang zu rekonstruieren, der sich in Gänze zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen ließ. Der erste Teil meines Textes schilderte schlicht das, was man bis dato aus der Presse (also den Kölner Lokalmedien, dem WDR und Focus Online als einzig überregionales Online-Nachrichtenportal) entnehmen konnte. Der zweite Teil, das eigentliche Thema, war eine Medienkritik, in der ich deutlich machte, dass der soziale Frieden meines Erachtens mehr durch Nicht-Berichten oder Auslassen von Informationen der Leitmedien gefährdet wird, als durch ehrliche und in diesem Fall vor allem zeitige Berichterstattung. Dabei handelte es sich nicht um eine Forderung nach lückenloser Aufklärung des Tatherganges bereits einen Tag nach Silvester. Es ging um das Überhaupt-Berichten, um den aktuellen Stand der Ermittlungen, darum, die Menschen auf das aufmerksam zu machen, was passiert ist. Besonders, wenn es um die Ermittlung der Täter geht.

Desinformation schürt Unsicherheit
Nach sexuellen Übergriffen in Köln: Medienversagen gefährdet den sozialen Frieden
Wie wichtig ein schnelles Handeln unter Mithilfe der Berichterstattung der Presse gewesen wäre, zeigt sich nun an der Ohnmacht von Justiz und Polizei. So gab der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt bereits gestern in einem Interview zu Protokoll, dass er nicht glaube, dass es auch nur zu einer einzigen Verurteilung kommen würde. Damit bestätigte er, was viele, die sich schon einmal mit unserem Rechtssystem befasst haben, insgeheim bereits befürchtet hatten. Für eine Verurteilung braucht es klar identifizierte Täter. Wie soll das Funktionieren bei Gruppen, die aus der Masse heraus agieren, bei zahllosen Händen auf den Körpern von Frauen, von denen, Berichten der Frauen zufolge, man oft gar nicht wusste, wo sie herkommen? Wie soll das funktionieren, nachdem die Polizei die Lage augenscheinlich vollkommen unterschätzt hatte und bis zum nächsten Morgen von einer entspannten Silvesternacht sprach? Wie soll man einen ohnehin diffusen und unübersichtlichen Tathergang rekonstruieren, wenn Presse, Fernsehen, Polizei und Staatsdiener quälende vier Tage verstreichen lassen, ehe sie den Ernst der Lage erkennen bzw. erkennen, dass die Lage zu ernst ist, als das man jetzt noch taktische Überlegungen darüber anstellen könne, ob es bei der derzeitigen Stimmung im Land gegenüber Flüchtlingen bzw. vielmehr der hiesigen Flüchtlingspolitik sinnvoll sei, zu berichten oder nicht.

Das ZDF entschuldigte sich im Zuge dieses Versagens bereits gestern bei seinen Zuschauern. Es sollte bis zum jetzigen Zeitpunkt die einzige Selbstkritik der Medienlandschaft bleiben. Die anderen üben sich eher darin, all jene mit ihrer gewohnten Hybris zu überziehen, die sie kritisieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um mich, meinen Chef und Ex-Chefredakteur der Wirtschaftswoche Roland Tichy und seine Seite, auf der ich meinen Beitrag zuerst veröffentlichte, oder auch den gemeinen WELT-Leser oder Tagesschau-Gucker handelt. So kommentierte ein Freund die jüngsten Aussetzer der WELT-Praktikanten (keine Ahnung, ob es wirklich Praktikanten sind), die sich regelmäßig unter den Kommentaren der Leser austoben, mit den Worten, dass da wohl einige alles daran setzen, sich ihre Arbeitsplätze wegzukommentieren. Und ja, eigentlich würde das Kommentier-Verhalten einiger WELT- und SPIEGEL-Praktikanten einen eigenen Beitrag für sich verdienen. So wie dort regelmäßig auch der normale Leser verspottet, belehrt und teils rundgebürstet wird. Nicht selten fragt man sich da, weshalb überhaupt noch jemand auch nur einen Artikel dort liest. Aber eigentlich reiht sich dieses Verhalten auch nur in das ein, was Jan Fleischhauer jüngst „Erziehungs-Journalismus“ nannte. Ein Journalismus, der ohne Kommentare, wie der Leser denn die Meldungen jetzt nun genau zu verstehen habe, nicht auskommt. Die Behandlung der Menschen hierzulande als mündige Bürger ist hier das Stichwort. Ich sprach es bereits in meinem letzten Beitrag an. Sie lässt immer noch auf sich warten. Selbst an solchen Tagen, wo man aufgrund des eigenen Versagens eigentlich endlich einmal anfangen sollte, sich ein wenig in Demut zu üben.

Ja sicherlich, vereinzelt kommen jetzt die kritisch mahnenden Worte aus den eigenen Reihen, die ich wirklich nicht unterschlagen möchte. Heribert Prantl ist so jemand, auf den man sich in solchen Angelegenheiten immer verlassen kann. Aber langsam störe ich mich auch an seinen ewig warmen Worten, die nur leider allzu selten bewirken, dass sich auch nur irgendetwas wirklich ändert. Man hätte, man sollte, man müsste. Ähnliches wird auch wieder in den kommenden Tagen aus den Talkshowstudios der Öffentlich Rechtlichen zu hören sein. Man kennt es ja. Einzig Alice Schwarzer findet wie davor schon Birgit Kelle (welch Ironie) deutliche Worte und benennt das, was in Köln geschehen ist, als das, was es ist: Die Folgen einer falschverstandenen Toleranz.

Falschverstandene Toleranz

Wie tief diese falschverstandene Toleranz verankert ist, lässt sich daran erkennen, dass man in den letzten zwei Tagen weniger darum bemüht war, sich mit den Opfern, den Konsequenzen, die unbedingt folgen müssten, befasst hat, als damit, zu beschwichtigen. So war es vor allem linksgesinnten Menschen ein Anliegen, genau jetzt herauszustellen, dass auch auf dem Oktoberfest Frauen regelmäßig vergewaltigt werden würden, das die Vorkommnisse in Köln und anderswo nichts mit kulturellen Aspekten zu tun hätten, sondern schlicht damit, dass es eben solche Männer gibt. Und das in allen Kulturen und Nationen. Und ja, ich will gar nicht bestreiten, dass nicht auch auf dem Oktoberfest und auch von deutschen Männern vergewaltigt wird und dass das genauso schlimm ist (traurig, dass man das überhaupt sagen muss) und dass es eine Minderheit der Ausländer, Migranten oder Flüchtlinge ist, die solche Taten begeht. Aber ein Relativismus an der falschen Stelle – und das stellt dieses Verhalten für mich dar – ist nicht nur widerlich und eine Verhöhnung der Opfer, er verkennt auch den Einfluss kultureller Faktoren auf solche Dinge. Wieder einmal wird so versucht, eine dringend notwendige Diskussion, z.B. über die Vereinbarkeit des Islams und solcher Grundwerte wie der Gleichberechtigung von Frau und Mann, zu verhindern.

Wie sehr die Lage insgesamt unterschätzt wird, zeigt sich nicht zuletzt auch in dem Tipp der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, doch einfach künftig als Frau eine Armlänge Abstand zu fremden Männern zu halten. Das sind so Momente, wo man sich wirklich fragt, ob man sich nicht vielleicht doch in der Truman-Show befindet. Realsatire at its best – wenn die Lage nicht so ernst wäre.

Staats- UND Medien-Versagen

Halten wir also fest: Es wird vermutlich zu keiner Verurteilung kommen. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn eine vom Staat völlig kaputtgesparte Polizei, die Presse und die Politik vier Tage lang pennen. Die Überheblichkeit der Leitmedien bleibt, bis auf ein paar wenige Ausnahmen, weiter bestehen. Autoren wie ich werden diffamiert, von wildgewordenen Linken als Hetzer und Rassisten bezeichnet und der Rest der Bevölkerung, der es wagt, im Internet Kritik zu üben, wird gleich komplett, wie in einem Tageschau-Kommentar geschehen, als „rassistischer Mob“ betitelt.

Henriette Reker gibt nützliche Tipps, bei denen ich mich wirklich ärgere, dass sie nicht vorher bekannt waren, da so die Vorkommnisse von Köln effektiv hätten verhindert werden können, und der Rest Deutschlands streitet sich darüber, welche Kultur nun am meisten vergewaltigt, ob man nur all jene als Flüchtlinge bezeichnen dürfe, die letztes Jahr nach Deutschland gekommen sind und wie wichtig es ist, zwischen Nordafrikanern und nordafrikanisch aussehenden Männern zu unterscheiden.

Also eigentlich alles wie immer. Und das hat doch auch fast schon etwas Beruhigendes an sich. Fast. Denn auch die Gewohnheit kann irgendwann zu einem Unmut werden, der die Stimmung zum Kippen bringt. Ich würde mir wünschen, dass dies langsam erkannt wird. Wer sich nicht die Mühe macht, zwischen Rassisten und kritisch denkenden Bürgern zu unterscheiden, der sollte sich nicht wundern, dass Letztere irgendwann auch nur noch pauschal von DEN bösen Medien sprechen. Wer so sehr immer wieder darauf pocht (und das in manchen Fällen auch zurecht), dass die Menschen zwischen Ausländern, Migranten, Asylbewerbern, Flüchtlingen von letztem Jahr und von vor zwei Jahren unterscheidet, der muss genauso zwischen Rechtsradikalen und kritischen Stimmen differenzieren. Es ist genau das gleiche Schema wie im vorangegangenen Beitrag. Diese Entwicklung ist – ich sage es noch einmal – gefährlich. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem man der hiesigen Presse misstraut. Ich bin kein Verfechter von bösen Verschwörungstheorien über die böse „Mainstreammedien“. Ich möchte nicht, dass die Leute Rattenfänger-Medien auf den Leim gehen, die sie gegen alles und jeden aufhetzen. Eigentlich möchte ich, dass ich solche Beiträge irgendwann nicht mehr schreiben muss. Aber, wenn ich mir die letzten zwei Tage so anschaue, bin ich skeptisch, dass sich dieser Wunsch alsbald erfüllen wird.

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