Wider den Wahn von der bunten Republik

Homogenität und Demokratie oder In-Homogenität und Autokratie sind die wahren Alternativen, welche Form von multikulturell auch immer drängt die Dinge von Demokratie zu Autokratie.

© Carsten Koall/Getty Images

Die „bunte Republik“ gilt vielen als das neue Arkadien. Auch der Bundespräsident lobt überschwänglich diese neue Heilslehre, die aus der zuvor weltabgeschlossenen Nation jetzt das weltoffene, multiethnische, postnationale Deutschland als „Gemeinschaft der Verschiedenen“ macht. Das ist aber eine wirklichkeitsferne Ideologie, ein gefährlicher Irrtum, insbesondere demokratietheoretisch. Denn in der Demokratie gilt der Homogenitätsimperativ.

Dies sah schon Aristoteles, für den die Autochthonen die Grundlage der Demokratie sind: Das Volk solle alteingesessen und eingeboren sein; Mischung wird als Qualitätsminderung betrachtet. Das hat einen einfachen Grund, der nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun hat, sondern Bedingung für Freiheit ist: Das Prinzip der Mehrheit, der sich die Minderheit unterzuordnen hat, funktioniert nur, wenn sich die Minderheit einigermaßen sicher sein kann, dass ihre Interessen zumindest grundsätzlich implizit von der Mehrheit berücksichtigt werden, weil beide bei aller Pluralität Teil eines Ganzen sind, das die demokratisch unabdingbaren Anker Zusammengehörigkeit und Zugehörigkeit beinhaltet. Nur dann werden Mehrheitsentscheidungen von der unterlegenen Minderheit akzeptiert, ohne dass sie ihre Freiheit verliert. Bei ausgeprägter, numerisch relevanter Inhomogenität und zwangsläufig daraus folgenden gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Spannungen wächst dagegen die Gefahr einer „ordnenden“ Autokratie.

Das demokratisch notwendige Zusammengehörigkeitsgefühl übermittelt sich über eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die nicht in Frage gestellt werden und sich über Jahrhunderte entwickelt haben. Im Zentrum steht die gleiche Sprache, in der gleiche Erinnerungen, Haltungen, Einstellungen transportiert werden, die gemeinsame Geschichte und Kultur. Man nennt das Nation. Abweichungen davon sind nach allen Erfahrungen nur in Grenzen demokratietheoretisch und -praktisch tolerabel. Dies ist in jedem Land zu beobachten, wo verschiedene Volksgruppen zusammenleben, ob es das ehemalige Jugoslawien ist oder derzeit sogar Großbritannien.

Die Nation als Garantieraum für Demokratie

Die Behauptung, dass sich die Nation überlebt hat, ist Unfug. Das glatte Gegenteil ist der Fall, gerade in Europa, wo die Zahl der Nationen/Staaten in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das liegt ganz einfach daran, dass die Propheten des Untergangs der Nation nur ihre Übersteigerung im Blick haben, aber nicht ihre sichernde Bedeutung für die Demokratie. Auch wenn die Idee der Nation immer wieder fürchterlich missbraucht und überhöht wurde und wird, so ist sie damit mitnichten erledigt. Sie ist vielmehr bisher der einzige Garantieraum für Demokratie und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben. Die Demokratie gibt es, auch wegen der enormen Bedeutung einer öffentlichen Debatte und Kontrolle durch entsprechende Medien, nur zusammen mit der Nation, denn nur dort gibt es diese interessierte Öffentlichkeit. Schon in Europa existiert diese Öffentlichkeit nicht, darauf wurde schon vielfach hingewiesen, weshalb Europa als einheitlicher Staat demokratisch kaum denkbar scheint. Dafür sind die Interessen der einzelnen europäischen Völker zu inhomogen und wo das im Konkreten hinführt, sehen wir gerade beim Euro, wo es kein gemeinsames Währungsverständnis gibt.

Nur in der relativ homogenen Nation können sich Untergruppierungen (Reiche, Arme, Unternehmer, Arbeitnehmer, Rentner etc.) einigermaßen sicher sein, nicht fremdbestimmt zu werden. Freiheit, um die es hier geht, gibt es nur in der Demokratie durch Selbstbestimmung. Damit sich diese Selbstbestimmung aber nicht gegen die anderen Teile einer Gesellschaft stellt, muss sie weitgehend homogen mit der Selbstbestimmung der anderen gesellschaftlichen Gruppen sein. Das lässt sich einfach verdeutlichen z.B. in der Bildungspolitik.

Hier braucht es zwingend einen selbstverständlichen Konsens über nur schon die Sprache, in der unterrichtet wird. In einer „bunten Republik“ könnte bereits dieses in Frage stehen, und schon gleich noch viel mehr ein Streit über die Inhalte entstehen, denn bei einer manifesten Inhomogenität empfände das eine Gruppe doch schnell als Fremdbestimmung durch eine andere, wenn sie nur groß genug geworden ist. Das lässt sich für alle weiteren relevanten gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Grundlagen durchdeklinieren. Bei zu wenig Homogenität muss es zu harten Auseinandersetzungen kommen und die Demokratie gerät in Gefahr und mit ihr die Freiheit.

Sowohl als auch geht nicht

Deshalb ist das Ideal der Multikulturalität von vornherein ein scharfer Widerspruch zur Demokratie und in sich selber gewesen. Es kann in einer Demokratie nicht substantiell unterschiedliche Kulturen gleichrangig nebeneinander geben. Es kann nicht gleichzeitig die Trennung von Staat und Kirche und die bedingungslose Unterwerfung unter einen Gott geben, versehen mit der imperialistischen Forderung, dass sich dem alle anderen ebenfalls zu unterwerfen haben. Es kann nicht gleichzeitig die Gleichberechtigung der Frau und ihre Unterwerfung unter den Mann geben. Es kann nicht gleichzeitig den Rechtsstaat und eine religiös-totalitäre Gesellschaftsideologie geben. Es kann nicht gleichzeitig die Moderne und religiös verkleidetes Hardcore-Spießertum (um einmal in der Sprache der 68er zu reden) bis hin zur Ermordung Andersdenkender geben. Wenn sich die Demokratie kulturell und strukturell behaupten will, kann sie diese existentiellen Widersprüche nicht übersehen.

Allenfalls ist ein Multifolklorismus denkbar, bei dem es nicht um Grundsätzliches geht. Wenn jedoch jede Bevölkerungsgruppe ihre eigenen Maximen mitbringt und auslebt, muss dies das austarierte Zusammenspiel von Mehrheit und Minderheit sprengen. Dann reduziert sich das Zusammenleben auf eine reine Machtfrage: Wann ist eine divergierende Gruppe stark genug, ihre Gesellschaftsauffassung gegen die anderen durchzusetzen?

Ein Stück aus dieser Art Kulturkampf erleben wir gerade in den USA, bei dem offenbar die „Autochthonen“ revoltiert und die Machtfrage diesmal für sich entschieden haben; am EU-Austritt Großbritanniens lässt sich ähnliches ablesen. Das zeigt, dass Vorstellungen wie die von der bunten Republik künstliche Gebilde sind, die versuchen, das Politische mit einer instrumentalisierten Moralität zu überformen. Dies ist in den USA am Willen der Mehrheit des Volkes zerschellt. Deshalb sind auch die politische-mediale Elite in den USA und in Europa und der sozialindustrielle Komplex so perplex. Da hat sich doch tatsächlich das amerikanische Volk nicht um die vielen Erziehungsmaßnahmen und moralischen Nötigungen geschert und macht sein eigenes Ding.

Dass dies einen wenig sympathischen Kandidaten auf den Präsidententhron gehoben hat, ist aber vor allem die Verantwortung derer, die so wenig die elementaren Interessen der eigenen Leute im Blick haben. Diese hatten in den etablierten politischen Kräften offenbar keinen glaubwürdigen Ausdruck ihrer Selbstbestimmung und überhaupt den Eindruck, dass ihnen diese entgleitet. Wenn nun auch in Europa Alternativen entstehen, die nicht stubenrein sind, dann weist auch dies zuerst auf das Versagen der etablierten Parteien, die die Homogenität zugunsten immer neuer anspruchsvoller Sondergruppen und Immigranten ruinieren.

Andreas Abs war lange Jahre Zeitungs- und Radio-Korrespondent in Bonn und Berlin, unter anderem für WAZ und Deutschlandfunk – zuletzt Sprecher eines Industrieverbandes.

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