Über eine fast vergessene europäische Marketinglehre

Es ist normal, amerikanisches Marketing ungeprüft zu übernehmen. Dabei kennzeichnet europäische Marken, dass sie ihre Wertschätzung über die Pflege und Weiterentwicklung handwerklich-technischer Kompetenzen erreicht haben.

© Daniel Berehulak/Getty Images

Und immer wieder heißt es: Die Zukunft der Wirtschaft spielt weit draußen, an den Küsten des Pazifiks, irgendwo in  den Tälern Kaliforniens: Tesla, Snapchat, Alphabet säßen eben nicht in Wuppertal oder Fürth. Ganze Heerscharen von Managern und Meinungsmachern verabschieden sich für Wochen aus ihren klinisch aufgeräumten Vorstandsbüros und machen sich ausgestattet mit einer sorgsam gebügelten „Ripped Jeans im Used Look“ und merkwürdig gepflegten 13-Tage Bart auf in die Zukunft. Sie buchen zielsicher eine Silicon Valley-Rundtour mit selbstnavigierenden Auto sowie integrierten „CEO-Meet-and-Greets“ und postulieren bei ihrer Rückkehr deutlich, dass es so wie bisher in „good old Europe“ nicht weitergeht. Unlängst musste sogar der bemitleidenswerte Dr. Zetsche seine Autosalon-Rede in Fetzenjeans und Sneakern absolvieren, weil findige Imageberater den „New Economy“-Stil, wenn schon nicht in der Werkshalle, dann aber eben auf der Bühne begründen möchten – Menschen haben seit jeher auf Basis konkreter Sachverhalte abstrakte Generalsierungen vorgenommen. Der Kleidung nach zu urteilen, ist Mercedes-Benz heute eine richtige „Tech-Bude“. So einfach ist das in Zeiten der Oberfläche.

Amerika und Europa – Kurz- versus Langfristig

Der Glaube an die Kraft der Zukunft ist Bestandteil des US-amerikanischen Selbstverständnisses. Verbunden mit einem ausgeprägten „Siegerwillen“ hat die oftmals totgesagte amerikanische Wirtschaft es vermocht, sich stets zu konsolidieren und  gestärkt aus jeder Krise hervorzugehen. Es ist ihr sogar gelungen, ihre Marken global zu multiplizieren: McDonalds, Coca Cola oder Kelloggs sind heute weltweite Ikonen der Konsumkultur. Auch Kleidermarken wie Polo Ralph Lauren oder die Jugendmarke Hollister sind – von Jugendlichen geschätzt von Eltern gefürchtet –  Standards in den Kleiderschränken dieser Welt. Amerikanische Marken kennzeichnet ihre globale Prägekraft für die Alltagskultur.

Verschiebt sich allerdings der Fokus von Konsumgütern zu hochwertigen und langlebigen Waren „Made in USA“, dann sind Erfolgsgeschichten rar: Apple mag einfallen oder Harley Davidson. Dann wird es still.  Die europäische Markenlandschaft dagegen kennzeichnet eine Fülle von verankerten Leistungskörpern: Mercedes-Benz, BMW, Hermes, Brioni sind kollektiv verankerte Kulturkörper, die global wirksam sind auch wenn sie die wenigsten wirklich besitzen. Wie ist es zu diesem strukturellen Unterschied gekommen und was bedeutet er für die jeweiligen Volkswirtschaften?

Marken als positive Vorurteile

Marken sind kollektiv geteilte positive Vorurteile. Sie sind Ergebnis von Unternehmensleistungen die über längere Zeit zuverlässig erbracht wurden und bestimmte Erwartungshaltungen prägen. Kein geringerer als Che Guevara formulierte einmal ziemlich richtig: „Qualität ist Respekt vor dem Volk.“

Marken sind, wollen sie erfolgreich sein, stets ein klares Bekenntnis. Das Eingeständnis, dass die Führung einer Marke auch Demut erfordert, eben diesen vorgeprägten Erwartungshaltungen zu entsprechen ist wahrscheinlich die schwerste Herausforderung für eine Generation von Führungsegomanen. Die kreativen Freiheitsgrade des Managements sind bei starken Marken äußerst gering. Die Geschichte gibt den Kurs für die Zukunft vor und darf nicht den „Visionen“ eines Einzelnen oder einer Entscheidergruppe entsprechen. Kurzum: Marken sind keine demokratischen Systeme.

Starke Marken sind Sender, niemals Empfänger. Dabei markiert ihr Interpretationswille eine klare Grenze: Erst aus dem klaren Bekenntnis, dass einige Menschen explizit anzieht und andere explizit fernhält, entsteht die Anziehungskraft einer Marke. Abgrenzung ist ihr eigentliches Kraftfeld.  An einer bestimmten Stelle des Universums interpretiert sie die Welt auf ihre ganz spezifische Weise und ist deshalb überhaupt erst erkennbar. Sie markiert. Dabei ist unser ästhetisches Urteil hinsichtlich einer Marke immer frei: Niemand kann befehlen, eine bestimmte Marke zu mögen.

Wirtschaft als Kampf der Vorurteile

Wirtschaft ist vor einem markensoziologischen Hintergrund der Kampf der stärksten Vorurteile gegeneinander. Wer über starke positive Vorurteile verfügt, muss nicht mehr (kostspielig) überzeugen. Nicht ohne Grund formulierte Ludwig Erhard „Nichts ist für eine Volkswirtschaft ärgerlicher als ein missratener Markenartikel.“ Die Kundschaft vertraut dem Anbieter in bewusster Unnachdenklichkeit. Ein treuer Kunde hat sich aus der Kampfstellung des bösen Verdachts und angestrengten Prüfens zurückgezogen.

Marke ist übersetzt eine Verpflichtung, die der Hersteller gegenüber dem Kunden eingeht und beiden Kalkulationssicherheit schenkt.

Vorurteile? Kaum ein Begriff ist so negativ besetzt, wie das Vorurteil. Dabei wusste bereits der gute, alte Max Horkheimer, dass sich die Sozialwissenschaften gerne mit den negativen Vorurteilen befassen, aber das positive Vorurteil ebenso wirksam unseren Alltag strukturiert. Der Grandseigneur der Vorurteilsforschung formulierte 1963: „Kein Vorurteil wäre heftiger als die Tatsache, kein Vorurteil zu haben.“ Man stelle sich die Wahl eines Joghurts im Supermarkt vor ohne den Rückgriff auf Vorurteile – die meisten Menschen wären vor dem Kauf erfroren und verhungert.

Das Vorurteil ordnet. Jeder sucht Ordnung: In der eigenen Wohnung, im Beruf, in der Familie. Nicht weil Ordnung an sich ein Wert ist, sondern weil Ordnung befreit – vom permanenten Zweifeln, Abwägen und Entscheiden …

Wie wirkt sich die Dynamik von Marken auf die Steuerung wirtschaftlicher Prozesse aus?

Zwei Systeme – eine Lehre

Die Ursachen für die Strahlkraft europäischer Marken liegt in der kleinteiligen Wirtschaftstruktur: Europa, vor allem Deutschland, entwickelt seine wirtschaftliche Kraft vor allem auf Basis des Mittelstands – auch heute noch und obwohl zahlreiche Medien vom Ausverkauf des deutschen Mittelstandes schwadronieren. Es ist eine Binsenwahrheit, aber Unternehmen, die von einer Generation auf die andere weitergegeben werden, meist mit solider Eigenkapitalquote und eingespielten Branchennetzwerken auf regionaler und nationaler Ebene, unterliegen anderen Durchsetzungsdynamiken als Konzerne. Dagegen kommt der klassische Mittelstand in den USA äußerst selten vor – stattdessen prägen Start-up Unternehmen oder Großkonzerne die Märkte. Klar ist: Es ist ein Unterschied ob mit größtenteils eigenerwirtschafteten Geldern und festangestellten Mitarbeitern Marktchancen langfristig entwickelt werden müssen oder der Erfolg vom Überzeugungstalent der Manager abhängen in kurzer Zeit große Beträge von potentiellen Investoren einzusammeln. Denn dieses Geld wird genutzt, um die Marke in einem Schwall werbetechnischen Überschwangs bekannt zu machen und dann (ohne das der wirtschaftliche Erfolg bewiesen ist) im Rahmen einer sog. „Exit-Strategie“ zu verkaufen … die Protagonisten, euphorisch „Gründer“ betitelt, ziehen sich mit 26 Jahren als Philantrophen zurück und widmen sich dem ökologischen Landbau in Bulgarien, eröffnen Ecodesign Hotels mit eigenem Kräutergarten oder führen einen belletristischen Verlag um schick gestaltete Monografien mit dickem Einband zu verlegen.

Das „schnelle Geschäft“ und das Ergreifen von „schnellen Marktchancen“, also das amerikanische Marketing ist das Gegenteil einer Geschäftspolitik, die das „öffentliche Vertrauen“ und das geschäftssichernde positive Vorurteil verankern will. Im Gegenteil: Markenaufbau erfordert ebenso wie Vertrauensaufbau zwischen zwei Menschen Zeit. Gerade dem sollten wir nicht vertrauen, der ständig ruft „Vertrau mir!“. Wenn es aber darum geht Investoren schnellstmöglich zu gewinnen, dann ist Zeit der Feind.

Awareness hat nichts mit Wertschöpfung zu tun

Schnelligkeit und Langfristigkeit als Handlungskonzepte sind für sich weder besser noch schlechter. Allerdings resultieren enorme Schwierigkeiten für die Unternehmen, wenn diese hochgradig unterschiedlichen Varianten mit den identischen Instrumenten und Methoden behandelt werden. Es ist Normalität, dass die Erfahrungen des amerikanischen Marketings ungeprüft übernommen werden und auf diese Art und Weise die Spezifität der europäischen Unternehmen und ihrer Marken und besonderen globalen Strahlkraft in Gefahr bringen. Dabei kennzeichnet europäische Marken, dass sie ihre Wertschätzung über die Pflege und Weiterentwicklung handwerklich-technischer Kompetenzen erreicht haben. Das heißt: Image entsteht nie durch Image, sondern einzig und allein durch gute Leistungen. Oder: Auch der Mythos Ferrari entsteht in der Werkshalle. Er ist nicht durch Werbung „erzielt“ worden. Werbung hilft allenfalls dabei, den guten Ruf zu streuen.

Diese Klarstellung ist wichtig, weil die heutige Währung für Unternehmen der Netzwirtschaft selten die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse sind, sondern der sog. „Awareness-“ oder der Bekanntheitsgrad. Der Erfolg einer Kampagne oder Strategie wird nicht mehr daran bemessen, ob am Tag nach dem Werbespot tatsächlich mehr verkauft wurde, sondern allein, ob die Sympathiewerte der Marke angestiegen sind. Das Problem: Mit Awareness konnte bis heute kein Geschäftsführer seine Mitarbeiter oder den Maschinenpark finanzieren. Für ein Unternehmen, dass allerdings darauf angelegt ist, seine sog. „Performance“ schnell zu optimieren, ist der Parameter „Awareness“ viel einfacher zu steuern: Alles eines Frage des Marketingbudgets. Ob sich die Marke auch faktisch, d. h. ökonomisch sinnvoll entwickelt, ist dabei sekundär. Für ein mittelständisches Unternehmen aber eben nicht.

Langfristig und ökonomisch erfolgreich

In Universitäten und Hochschulen wird heute eben diese, d.h. amerikanische Form der Verkaufsförderung gelehrt, obwohl es auch eine europäische Form der Markenentwicklung gibt. Hans Domizlaff schrieb in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das erste explizite Markenhandbuch unter dem Titel: „Markentechnik – Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens“. Der 1892 in Frankfurt am Main geborene Grafiker und Werbemann hatte zuvor die werblichen Strategien für bis heute bekannte Marken wie Reemtsma oder die Deutsche Grammphon erdacht.

Die besondere Sensibilität in Bezug auf das Gut Marke wird in den einleitenden Worten seines Buches deutlich: „Die Marke selbst ist tatsächlich ein Produkt der Masse, in deren Gehirn sie sich als Bestandteil der Vorstellungswelt bilden muß. Man sagt zwar, dass der Markentechniker eine Marke schafft, aber das ist nur eine sprachliche Vereinfachung […] Das Leben kann ihr erst die Masse einhauchen, aber das kann man nicht erzwingen, sondern nur anregen.“

Dementsprechend plädiert er für die konsequente Kultivierung des Stils eines „ehrbaren Kaufmanns“ – in Abgrenzung der auf kurzfristige Verkäufe abzielenden „Marktschreier“.

Dieser Kaufmann ist weniger ein besonders empathischer „Konsumentenversteher“ als vielmehr ein Schöpfer, der die konkreten Leistungen mit den kulturellen Wirkgesetzen der Vertrauensvertiefung verknüpft und auf diese Weise die Marke in den Köpfen der Menschen verankert. Die Anwendung dieser Kulturgesetzmäßigkeiten geschieht nicht zufällig, beschwört nicht den kreativen Genius, sondern folgt bestimmten Wirkgesetzen, so dass Domizlaff von einer „Technik“ schreibt.

Viele Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, erlebt diese an der europäischen Wirtschaftsstruktur orientierte Methode seit den 1990er Jahren ihr stetiges Comeback. Domizlaff selber wird in der Marken-Fachliteratur inzwischen wieder gerne erwähnt – trotz kritischer Anmerkungen aus der Kommunikationswissenschaft bezüglicher seinem Lebensweg und seinem tendenziell elitären Menschenbild.

Die Markentechnik ist heute mehr als nur eine folkloristische Referenz. Vielmehr ist sie eine wirksame Methodik, die in Zeiten von 3.000 Werbebotschaften pro Tag und einer Digitalwirtschaft, die sich allein über einen zweidimensionalen Bildschirmauftritt (und meist den Preis) differenzieren sucht, Orientierung durch Langfristigkeit sicherstellt. Denn, so schrieb Domizlaff: „Wenn die gesamte Wirtschaft eines Landes in den Stil eines Jahrmarktrummels gedrängt bleibt, werden die größten Schreier unzweifelhaft beachtliche Vorteile nachweisen, aber eben doch nur kurzfristig und niemals für ein später erhofftes geordnetes Gemeinwesen verwertbar.“

Gerade wenn die europäischen Unternehmen in den hochkompetitiven Verdrängungsmärkten der Moderne bestehen wollen, gilt es sich den Anpassungs- und damit Angleichungsbestrebungen zu widerstehen und die Spezifik der jeweiligen Unternehmensbiografien herauszuarbeiten. Denn jede Marke hat ihre eigenen Erfolgsgesetze, die sich nicht mit vermeintlichen „Rezepten“ steuern lassen. Diese Erkenntnis ist wahrscheinlich nicht so anregend wie der Blick auf den ungestümen Pazifik und der Anzug mag auch eher zwicken als die Fetzenjeans, aber er bietet seinen Kunden etwas einstmals sehr europäisches: Verlässlichkeit – die Basis jedes langfristigen wirtschaftlichen Erfolges.

Dr. Oliver Errichiello ist Sozioökonom und Psychologe. Er ist Geschäftsführer der Markenberatung Büro für Markenentwicklung in Hamburg und Dozent für Markensoziologie an der Universität Hamburg und der Hochschule Luzern. Errichiello ist Autor mehrerer Bücher zu den Themen „Markenführung“ und „Individualisierungswahn“.

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Kommentare ( 2 )

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Deli Delinix
7 Jahre her

Umso besser. Für MICH ist die Sache mit den Facheuten allerdings ungeheuer wichtig … ich habe inzwischen die Nase gestrichen voll von dieser stümperhaften Politik… manchmal sind die Entscheidungen ja derart hirnrissig, dass man am Verstand der Politiker zweifeln muss – und das oft nicht nur, weil es keine Fachleute sind, sondern weil die IDEOLOGIE bei ihnen immer im Vordergrund stehen muss. Da werden an sich gute Lösungen in die Tonne getreten, nur weil die Konkurrenz oder gar die bösen Rechtspopulisten sie AUCH haben. Nur unter dem Druck der jetzt entstandenen „Notlage“ werden jetzt z.B. die Lösungsvorschläge der AfD kopiert… Mehr

Swengoessouth
7 Jahre her

Sitzen in Brüssel Beamte oder Unternehmer? Kein Wunder, dass es bis heute kein europäisches Google gibt. Mehr als Richtlinien, die einem als Unternehmer das Leben schwer machen bekommen, die doch nicht hin. Die müssen ihren Bürokratie komplett entrümpeln und das was noch übrig ist dann am besten auch noch entsorgen, dann könnte so etwas wie Google entstehen. Unternehmertum entsteht nicht dadurch, dass man alles tut um Unternehmertum zu verhindern. Mein größter Feind im Berufsleben (sonst habe ich keine Feinde) ist das Finanzamt. Selbst als Kleinunternehmen wird man mit Steuerprüfungen überzogen bei denen dann noch kleinste Beträge zusätzlich herausgequetscht werden. Der… Mehr