Armutsbericht – The same procedure as last year?

Wie jedes Jahr ist der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, was seine Zurechtbiegungen und Auslassungen (Armut statt Armutsgefährdung und Vernachlässigung des realen Wohlfahrtsniveaus), aber insbesondere seine immer gleichen Schlüsse betrifft (mehr Staat), auch 2016 ein selbstausgestelltes Armutszeugnis.

The same procedure as every year! Ausnahmsweise mal nicht ganz. Die aktuelle Pressemittelung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zum Armutsbericht 2016 ist beinahe eine kleine Sensation: Sie kommt tatsächlich ohne Superlativ aus. Sonst hieß es Jahr für Jahr genauso geschichtsvergessen wie weltfremd, die Armut in Deutschland sei so hoch wie nie zuvor. Jetzt wird „nur“ ein Verharren der Armutsquote auf hohem Niveau beklagt. Tatsächlich hat sich die Quote sogar minimal verbessert, aber das wird von den selbsternannten Fürsorgerwächtern als nicht nennenswert abgetan – ein Schelm, wer da an deren Existenzberechtigung denkt.

Nichts geändert hat sich freilich an dem Verfahren, kein Wort darüber zu verlieren, dass es sich um eine relative Betrachtung handelt. Armut – richtigerweise eigentlich Armutsgefährdung, aber das klingt offenbar zu wenig reißerisch – Armutsgefährdung ist bei uns definiert als 60 Prozent des Medians der Nettoäquivalenzeinkommen. Die Armutsgefährdungsquote, Armutsquote genannt, also der Anteil der Bundesbürger, die in Haushalten mit dementsprechend relativ unterdurchschnittlichen Einkommen leben.

Das reale Haushaltseinkommen ist entscheidend

Wenn der Anteil der Personen, die relativ zum Durchschnitt ein Stück weniger Einkommen haben, gleich bleibt, heißt das aber nun nicht, dass es nicht trotzdem allen besser geht. Entscheidend für die tatsächliche Wohlfahrt ist das absolute und reale Niveau des Haushaltseinkommens. Was schert es mich, wenn andere mehr verdienen, wenn ich selbst mein Auskommen habe?

Die Einkommensverteilung eines Landes mit einer Schere zu vergleichen, ist darum auch mehr als irreführend. Ein viel besseres Bild wäre ein Turm. Da gibt es fraglos Höhenunterschiede zwischen oben und unten, zwischen reich und arm. Wenn aber der ganze Turm höher wird, hat man unten auch schon ganz gute Aussichten. In Deutschland wächst der Turm allen Krisen zum Trotz stetig – zum Beispiel im letzten Jahr mit 2,5 Prozent höheren Reallöhnen. Und bei einem Rekordhoch von 581.000 offenen Arbeitsstellen gibt es auch durchaus Chancen aus eigener Kraft hochzusteigen.

Wenn nach dem Armutsbericht die stärkste von Armut(gefährdung) betroffene Gruppe „Erwerbslose“ sind, dann darf man sich nach der gegebenen Arbeitsmarktsituation doch durchaus die Frage nach der Eigenverantwortung stellen – und nicht nur die Forderung nach mehr Umverteilung und höheren Steuern, wie es Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, macht. Gesucht werden nämlich beileibe nicht nur Hochqualifizierte, sondern insbesondere auch Leute im Verkauf, in der Logistik, im Gastgewerbe oder bei Sicherheitsdiensten. Dazu sind freilich auch mehr oder weniger Qualifikationen nötig, aber nichts, was man bei den gegebenen staatlichen Bildungs- und Förderangeboten nicht mit entsprechendem Willen stemmen könnte.

Systematische familien- und sozialpolitische Unterlassungen

Das zweite groß beklagte Fazit des Armutsberichts ist der hohe Anteil Alleinerziehender und ihrer Kinder unter den vermeintlich Armen. Zum einen könnte man hier anmerken, dass diese Gefährdung per se temporär ist. Viel wichtiger ist aber auch hier das eklatante Defizit der Eigenverantwortung. Wenn inzwischen jeder fünfte Haushalt mit minderjährigen Kindern ein alleinerziehender Haushalt ist und gerade das nun offenbar vielerorts prekäre Verhältnisse erzeugt, dann müsste doch dringend einmal die gemeinsame elterliche Verantwortung für das materielle Kindeswohl eingefordert werden. Und nicht, wie es der Paritätische Wohlfahrtsverband macht, systematische familien- und sozialpolitische Unterlassungen – was an dieser Stelle immer zu wenig staatliche Fürsorge bedeutet.

Und auch beim letzten Schwerpunkt schwingt mangelnde Eigenverantwortung mit. Über lange Zeiten waren die Rentner deutlich weniger von Armut bedroht als der Rest der Bürger. Das wandelt sich gerade. Die Armutsgefährdungsquote unter den Ruheständlern nimmt rapide zu. Nunmehr bald 20 Jahre ausführliche öffentliche Diskussion, dass das öffentliche Rentensystem unbedingt durch Eigenvorsorge ergänzt werden muss, sind scheinbar verpufft. Luft dazu wäre da gewesen: Die Nettoäquivalenzeinkommen sind zwischen 1995 und 2014 von 13.439 auf 19.733 Euro gestiegen. Ein Anstieg um 47 Prozent, mit Inflation lassen sich dabei nur 34 Prozent erklären. Also reale Zuwächse – trotz Dotcom-, Subprime- und Euro-Staatsverschuldungskrise.

Wie jedes Jahr ist der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, was seine Zurechtbiegungen und Auslassungen betrifft (Armut statt Armutsgefährdung und vollständige Vernachlässigung des realen Wohlfahrtsniveaus), aber insbesondere was seine immer gleichen Schlüsse betrifft (mehr Staat), auch 2016 ein selbstausgestelltes Armutszeugnis.

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