Steuern als Instrument der Umerziehung: Wer nicht hören will, muss zahlen

In Zeiten digitaler Steuerakten wäre eine gewaltsame Erstürmung eines Finanzamts mit der Zerstörung von Akten wie damals der Moselwinzer sinnlos. Aber vielleicht ist es Zeit, über zeitgemäße friedliche Formen des Steuerprotests nachzudenken.

Notleidende Moselwinzer erreichten 1926 mit ihrem Steuerprotest und der Erstürmung des Finanzamts Bernkastel etwas historisch wohl Einmaliges: die Abschaffung einer Steuer – nämlich der Weinsteuer. Diese Protestaktion ist längst dem allgemeinen Vergessen anheimgefallen. Nicht einmal der Steuerzahlerbund hält die Erinnerung wach. Die Bürger lassen sich die ihnen auferlegten Steuer- und Abgabenverpflichtungen klaglos gefallen. Proteste dagegen gibt es nicht.

Steuereinnahmen von 2005 bis 2015 um fast 50 % gestiegen, aber kein Mehrwert für den Bürger

Und das obwohl die deutschen Steuereinnahmen massiv gestiegen sind – von 2005 bis 2015 um fast 50 % (von 452 auf 673 Milliarden €). Auch um die Preissteigerung bereinigt ist das immer noch ein Anstieg von 33,4 %. Während dieses Zeitraums sind preisbereinigt der Hartz IV-Satz um 0 % (!) und die Durchschnittsgehälter um gerade einmal 9 % gestiegen.

Ein Mehrwert für den Bürger steht den wesentlich höheren Steuereinnahmen jedoch nicht gegenüber. Weder hat sich die sogenannte soziale Gerechtigkeit noch die Infrastruktur, die Bildung oder die innere Sicherheit von 2005 bis 2015 verbessert.

Gesinnungsstaat tritt zum Umverteilungsstaat hinzu

Doch der Staat begnügt sich nicht, den Bürgern unangemessen hohe Zahlungsverpflichtungen abzuverlangen. Vielmehr werden in verstärktem Maße Steuern auch als Instrument zur Lenkung und (Um-)Erziehung gebraucht und missbraucht. Zwar sind Steuern natürlich schon lange ein Instrument der Umverteilung und damit Gegenstand ideologischer Debatten. Zunehmend tritt jedoch der Gesinnungsstaat zum Umverteilungsstaat hinzu.

Neue Steuern zur Verhaltensänderung

Ob die diversen Erhöhungen der Tabaksteuer, ob die in Deutschland bereits eingeführte Alcopop-Steuer, ob CO2-Steuer (siehe z. B. Frankreich), eine Zuckersteuer (gibt es z. B. schon in Frankreich und Belgien, soll ab 2018 in England eingeführt werden), eine Fleischsteuer (z. B. von der Grünen Jugend gefordert), die von SPD-Wirtschaftsminister Gabriel propagierte flexible Benzinsteuer oder ob Steuern und Abgaben auf Kraftfahrzeuge und Autos als Mittel zur Abschaffung von Verbrennungsmotoren bei PKW ab 2030 (wie gerade vom Bundesrat parteiübergreifend beschlossen): Politiker und Verbandsvertreter fordern immer ungenierter neue Steuern oder Steuererhöhungen, die dem Ziel dienen, eine Verhaltensänderung bei den Bürgern herbeizuführen.

Ach wie schön ist Panama
Steueroasen wären leicht auszutrocknen
Und Gründe für erzieherische Steuervorschriften finden sich fürwahr genug: angeblich falsche Ernährung, Klimawandel, Tierschutz, Umweltschutz und so weiter und so weiter. Auch bei grundsätzlicher Bejahung eines Besteuerungsrechts des Staates ist diese zunehmende Ideologisierung und Umerziehungsabsicht des Steuerrechts neben der gänzlich unangemessen hohen Steigerung der Steuereinnahmen ein Faktor, die die Legitimation des gegenwärtigen Steuersystems beeinträchtigt.

Steuern als Mittel der Lenkung und Umerziehung: das war nicht immer so. Vor gar nicht so langer Zeit war die Steuer einmal ein bloßes Mittel zur Staatsfinanzierung, nämlich „eine Geldzahlung, die dem Unterthanen durch die öffentliche Gewalt auferlegt wird schlechthin zur Vermehrung der Staatseinkünfte aber nach einem allgemeinen Maßstabe“ – so der Wegbereiter der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft, der Jurist Otto Mayer 1895. Dessen Definition von Steuer lag der Reichsabgabenordnung zugrunde, die von 1919 bis immerhin 1977 galt.

Heute: Steuern als Lenkungsinstrument

Erst mit der Abgabenordnung von 1977 wurde der Zusatz eingefügt: „Die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“ Damit legte die damalige SPD/FDP-Koalition gesetzlich fest, was allerdings schon zuvor auch ohne diesen Zusatz allmählich Eingang in die Praxis gefunden hatte, nämlich dass Steuern ein zentrales Lenkungsinstrument der Politik sind.

Selbst Steuern wie die Tabak- oder Sektsteuer, die heute typische Lenkungssteuern sind und neben der Einnahmeerzielung auch der Verhaltensänderung dienen, waren das nicht von Anfang an. Denn zunächst dienten diese Steuern nicht der Verbesserung der Gesundheit der Bürger, sondern schlicht dem Generieren von Einnahmen, indem man lieber ein bestimmtes Konsumgut der zusätzlichen Besteuerung unterwarf als ein lebensnotwendiges Produkt wie z. B. Brot.

Wer nicht hören will, muß zahlen

Solange sich die Lenkung in einem überschaubaren Rahmen bewegte, war sie wohl oder übel hinzunehmen. Doch mit der zunehmenden Indoktrination in allen Lebensbereichen (von Kindergarten/Schule mit Früsexualisierungsplänen, über Bildchen auf Zigarettenverpackungen bis zur gender-verunstalteten Sprache) – mal ganz offen, mal durch subtile Beeinflussung (sogenanntes Nudging) – erhöht sich gleichermaßen der politische Wille, auch durch Steuern und Abgaben auf die Bürger und ihr Verhalten Einfluss zu nehmen. Frei nach dem Motto: wer nicht hören will, muss zahlen.

Der Steuer-Staat als Zwangsbeglücker

Ging es bei Steuerdiskussionen früher zumeist um Fragen der Umverteilung, insbesondere bei Einkommens- und Vermögenssteuern, und musste der von Steuererhöhungen betroffene Steuerzahler dann eben einfach mehr Steuern zahlen, geht es immer häufiger um den „richtigen“ Konsum und das „richtige“ Verhalten der Bürger. Der Staat als Zwangsbeglücker seiner Bürger – nun auch vermehrt mittels Steuern. Die Wegnahme durch Steuern, kombiniert mit ideologischer Gängelung – eines besonders unappetitliche Form des Zwangs. Der Bürger muss nicht mehr nur auf hohem Niveau mehr Steuern zahlen – was ärgerlich genug sein mag -, sondern sich dabei auch noch lenken und umerziehen lassen. Man will den Bürgern ein System moralischer Wertvorstellungen aufzwingen und ihnen vorschreiben, was sie zu denken haben und wie sie leben sollen.

Ist die zwangsweise Erhebung von Steuern Machtausübung par excellence, aber wohl grundsätzlich hinzunehmende Notwendigkeit (wenn man auch über Ausformung, Höhe etc. diskutieren kann und muss), hat die ideologisierte Steuererhebung mit dem Ziel der Umerziehung und Verhaltensänderung demütigenden Charakter.

Durch-Ideologisierung der gesamten Gesellschaft – auch zunehmend im Steuerrecht

Wie in allen Lebensbereichen wird den Bürgern auch im Steuerrecht die Ideologisierung immer mehr aufgezwungen – und dies auch unabhängig von der geschilderten Umerziehungsfunktion. Bestes und aktuellstes Beispiel ist die Erbschaftsteuer. Mit unerbittlicher Verve wird diese Steuer als angeblich unabdingbarer Ausfluss der Gerechtigkeit propagiert. Dabei ist der einzig sinnvolle Maßstab, ob bzw. wie diese Steuer praktikabel und rechtssicher ausgestaltbar ist. Ganz einfach, ganz un-ideologisch.

Zurück zu den Wurzeln: Steuererhebung nur zur Einnahmeerzielung

Wie viel wäre daher schon gewonnen, wenn Otto Meyers Definition von Steuern als Geldleistungen zur Einnahmeerzielung wieder mehr Geltung verschafft würde und die Ideologie dann dem Geldverteilen vorbehalten bliebe.

Wie hieß es noch bei den Moselwinzern 1926 beim historisch einmaligen Steuerprotest in Deutschland: „Wer sich nicht wehrt, ist entehrt.“ In Zeiten digitaler Steuerakten und Überweisungen wäre eine gewaltsame Erstürmung eines Finanzamts mit der Zerstörung von Akten völlig sinnlos. Aber vielleicht wird es Zeit, über zeitgemäße friedliche Formen des Steuerprotests nachzudenken. Das Motto der Moselwinzer von 1926: ein Leitspruch, der auch über das Steuerrecht hinaus Geltung beanspruchen kann.

Ansgar Neuhof (46) ist Rechtsanwalt und Steuerberater mit Kanzlei in Berlin.

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